Viel Lärm um ganz wenig

Von Michael Laages |
Ein Skandal, der keiner war: Nur ein kleines Häuflein von Demonstranten hat gegen das religionskritische Stück "Gólgota Picnic" am Hamburger Thalia Theater protestiert. Die Aufführung selbst langweilte mit längst verblichenen Provokationen.
Strenggläubige Christen hatten seit Wochen lauthals protestiert gegen ein Theatergastspiel, und sie wollten gestern demonstrieren vor der Bühne des Hamburger Thalia Theaters, auf der das "Gólgota Picnic" des argentinischen Regisseurs Rodrigo Garcia gezeigt werden sollte. Und was geschah gestern tatsächlich? Ein Häuflein von maximal eineinhalb Dutzend Protestierern stand gegenüber vom Eingang zum Theatergelände, hielt Kerzen in den kalten Wind und sang gottesfürchtige Lieder. Und wer an diesem Gesangsverein ins Theater gelangte, sah nicht mal ein Stück, das den Streit wert gewesen wäre – das Stück des Argentiniers ist eine ermüdend langweilige Beschwörung längst verblichener Theater-Provokationen; nicht umsonst zählt er im Text auch die unheiligen Rituale des österreichischen Aktionskünstlers Hermann Nitsch zur Ahnenschaft der Sinn- und Götter- und Dämonen-Suche, wie er sie versteht. Lange und intensiv spielt er mit den Bildern des "gefallenen Engels", also von Satan persönlich, und vom Mann am Kreuz. Die Figuren vermischen sich, und in Garcias wortreichen Bekenntnis-Litaneien, mäßig theatralisch auf Darsteller und eine Darstellerin verteilt, teilen dem Publikum vor allem mit, dass weder Gott noch Teufel der Menschheit noch irgendetwas mitzuteilen haben könnten. Auch den grausigsten Schrecken haben die Erdlinge schon selber erfunden.

Zur Konsum-Ikone des Big Macs aus dem Haus McDonalds pflegt Garcia schon seit Langem (er war Gast der Ruhrfestspiele 2004) eine besondere Hassliebe. Diesmal ist die Bühne komplett mit den handelsüblich-pappigen Brötchen gepflastert, einmal werden einige davon als Leckerei mit Regenwürmern angerichtet, einmal isst ein Ensemblemitglied beharrlich Burger und lässt das Zerkaute gleich wieder aus dem Mund fallen ... echt lecker. Auch mit Farbe wird gesprüht, Körper verschlingen sich ineinander; und immer sind die weniger appetitlichen Bilder per Close-up-Video zu sehen, zusammen mit den Untertiteln – wer die verstehen will, muss also auch die Bilder ertragen. Alles zusammen ist laut und langweilig; dass ein Pianist zum Finale nackt Haydn spielt, rettet das fahle Gewurschtel auch nicht.

Aber Blasphemie? Nein - kein Staatsanwalt, kein Ordnungsamt spielt mit beim Christen-Wunsch nach Verbot. Derlei Affentheater gibt's im liberalen Hamburg schon gar nicht. Und vor die einstweilige Verfügung, gar vor ein richtiges Verbot hat die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland bekanntlich generell und grundgesetzlich die Freiheit der Kunst gesetzt. So musste das Thalia Theater im Grunde nur ein halbes Dutzend stämmiger Jungs vom Ordnungsdienst vor die zentrale Einfahrt zum Theater-Gelände stellen, um schon dort recht streng die Eintrittskarten zu kontrollieren. Der Aufruhr, wenn's denn einer war, blieb draußen vor der Tür; im Theater gingen gerade mal drei Besucher vor der Zeit. Ohne Worte des Protests – kein Wunder: Wem aus dem fundamentalen Christen-Lager ist das eigene Bekenntnis schon 20 Euro und mehr für ein Ticket wert?

Nein und noch mal nein - wenn Protestler in Fragen der Künste wirklich wirken wollen würden, dann nur hart am Rande oder außerhalb der Legalität; beim Gastspiel dieser ästhetisch ziemlich vorgestrigen Aufführung in Paris ging der Widerstand – wie zu hören war - durchaus härter zur Sache. Wer nicht wenigstens den energischen Einsatz der Polizei riskieren will (wenn etwa die Zufahrt zum Veranstaltungsort fantasievoll gestört würde), wer sich nicht bis nah an die Gefahr der Verhaftung begibt (wenn etwa das normale Publikum genötigt oder gar attackiert werden sollte), der hat keine Chance in so einem Fall – und wirkt nur elend lächerlich. Wie diese Sternsinger vor der Theatertür - frierend harrten sie aus im Hamburger Schmuddelwetter, gierig umschwirrt im Grunde nur von der lokalen Journaille ... aber mehr Skandal als der immer wiederkehrende (und überhaupt nicht ironisch gemeinte) Ruf "Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!" war einfach nicht zu haben. Viel Lärm also um ganz wenig - und die angeblich so vehement fortschreitende Renaissance der Religionen in diesen aufgeklärten Zeiten auch bei uns hat schiitische Ausmaße halt noch lange nicht erreicht. Vom Verbrennen dänischer Flaggen wie im Streit um die Mohamed-Karikaturen sind wir weltenweit entfernt.

Und das ist auch gut so. Mit einer sicher leicht kontroversen, aber friedlichen Publikumsrunde danach ist die Sache fürs erste wieder beigelegt. Und fast sträubt sich ja das journalistische Bewusstsein, derlei schlechte PR-Scherze überhaupt zur Kenntnis zur nehmen; von der Pius-Bruderschaft zumal, der mit dem englischen Nazi-Bischof zumal! Hat also der Skandal, der keiner war, sonst noch wem genützt? Ja. Dem Thalia Theater. Der Run auf die Karten gestern Abend war beträchtlich.

Insofern: Glückwunsch.
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