Viel Gegenwind

Von Katja Barton |
Viel Wind wird derzeit um Windkraftanlagen im nordöstlichen Teil Brandenburgs gemacht. Die einen trommeln für Windkraftanlagen an allen möglichen Stellen in der Landschaft, die anderen heben warnend den Finger und rufen "Rettet die Uckermark". Die einen verweisen nicht zu Unrecht auf die Umwelt, die anderen bringen nicht zu Unrecht die Landschaft ins Spiel.
Es ist die Gegend, in der Mundartdichter den Kiefernwind, den Wacholderwind, den Wiesenwind und die "heiße Stirne im kühlen Wind" besingen. Den Wind, "der nirgends ankommt und nirgends beginnt". Und hier ist viel Gegenwind. Im nordöstlichen Teil Brandenburgs. Die einen trommeln für Windkraftanlagen an allen möglichen Stellen in der Landschaft, die anderen heben warnend den Finger, rufen "Rettet die Uckermark".

Die einen verweisen nicht zu Unrecht auf die Umwelt, die anderen bringen nicht zu Unrecht die Landschaft ins Spiel. Ragten früher erst nur die Bäume, später dann Kirchen und schließlich Schlote in die Luft, so sind es jetzt immer häufiger auch Windkraftanlagen.

Prenzlau. Kreisstadt und Zentrum der Uckermark, dem flächenmäßig größten Landkreis Deutschlands. Die Uckermark ist größer als das Saarland. Und sie ist eine der dünn besiedelsten Regionen hierzulande - eine strukturschwache Region mit hoher Arbeitslosigkeit. Viel Land und wenig Menschen. Wie viele Windmühlen mittlerweile auf einen Einwohner kommen, wer weiß die Zahl. "Windmühlen", so nennen sie die Uckermärker.

Egal, welche Himmelsrichtung - Windräder stehen überall rund um Prenzlau und in der Uckermark. Die älteren Modelle ragen 80 Meter hoch, die neueren gut 120 Meter über den Acker. Doch nicht alle Uckermärker sind einverstanden damit, dass in ihrer Heimat die Flügel der Windräder kreisen.

Frau: "Erneuerbare Energien sind schon gut, aber halt nicht die Landschaft damit zupflastern, sollte immer noch ein Stück Landschaft übrigbleiben davon."

Eine junge Frau in Prenzlau. Sie spricht für sich und für andere. Bei der letzten Kreistagswahl kam die Wählergemeinschaft "Rettet die Uckermark" in den Kreistag. Elf Prozent der Wähler dachten wie die Prenzlauerin. Denn "Rettet die Uckermark" zieht gegen die - wie sie es nennen - "Verspargelung der Landschaft" zu Felde.

Fraktionsvorsitzender der Wählergemeinschaft ist ein Berliner: Hans Joachim Mengel. Der Politikprofessor wohnt in dem von ihm gepachteten Schloss im Dorf Wartin.

Mengel: "Wir haben erkannt, dass diese Planung, die dazu gedacht war, eben Konzentrationsflächen für die Windenergie zu schaffen, in nicht optimaler Weise verlief, sondern sehr von wirtschaftlichen Interessen bestimmt war. Und wir wollten einfach durch die Bürgerinitiative dann auf den Planungsprozess mit einwirken und den Willen der Bevölkerung, so wie wir ihn meinten erkannt zu haben, zur Geltung bringen."

Die wirtschaftlichen Interessen, die Mengel meint, werden in der Uckermark vorrangig durch die Firma Enertrag vertreten. Ihren Firmensitz hat sie bei Prenzlau. Die Enertrag ist mit 250 Millionen Euro Jahresumsatz und rund 80 Mitarbeitern das größte Windenergieunternehmen der Region. Zuständig für Planungsfragen ist bei der Enertrag Werner Diwald. Er ist, wenn man so will, der direkte Gegenspieler von Mengel. Denn Diwald ist derjenige, der auch auf Bürgerversammlungen im Namen der Enertrag spricht.

Diwald: "Wir können hier halt ganz viel geben, wir können ganz viel Energie geben, diesem Land. Den anderen Leuten, den anderen Menschen. Und das sogar und das muss man ganz klar sagen nicht nur, weil wir so sozial sind, sondern da profitieren wir hier von. Wir kriegen hier Arbeitsplätze, wir zahlen hier in Millionenhöhe Gewerbesteuern, wo wir in der Region wieder von profitieren können."

Wenig verwunderlich, Mengel sieht das naturgemäß anders.

Mengel: "Da sagen die schlichtweg in ihrer wirklich durchdachten, langsamen Art: Ja, was denn? Wir haben unseren Teil beigetragen. Und tragen auch unseren Teil noch bei, indem wir auf unsere Dächer Solarthermen machen, indem die Bauern Biostoffe anbauen. Aber wir sind nicht bereit, für eine Firma unsere Uckermark als Betriebsgelände zur Verfügung zu stellen."

Herr Diwald von der Enertrag bezweifelt, dass die Uckermärker tatsächlich mehrheitlich gegen die Windkraftnutzung sind. Auf Bürgerversammlungen hat er sich regelmäßig mit denjenigen auseinanderzusetzen, die neue Windräder in ihrer Nachbarschaft ablehnen:

Diwald: "Aber ich kann jedermann verstehen, der irgendwo sagt: Ich möchte das nicht hinter meinem Haus haben. Ich möchte jegliches nicht. Es geht nicht um die Windkraftanlage. Es geht auch um die Autobahnen - möchte ich nicht hinter meinem Haus haben. Und trotzdem möchte er vielleicht selbst die Autobahn haben. Aber dafür gibt es sicherlich ein Verständnis, aber trotzdem muss ich irgendwo – und das erwarte ich – objektiv abwägen. Okay, eigentlich wäre es schöner ohne, aber irgendwo möchte ich auch den Strom haben."

Güstow, ein 200 Einwohner Dorf bei Prenzlau, ist so ein "irgendwo", das auch Strom braucht. Seit den neunziger Jahren leben die Hiesigen in unmittelbarer Nähe eines Windkraftfeldes. Rund 40 Windräder drehen sich im Wind. Und Irmtraud Sausikat zum Beispiel war schon früher gegen Windmühlen in Güstow:

"Erst wegen die Umwelt, alles wegen die Tiere, die Vögel alles. Das hat, wenn ich hab rausgeguckt, ich hab genau dort früher den Grünacker. Jetzt hab ich die Spargeldinger immer vor dem Fenster. Dat hat mir nicht gefallen. Also dat war früher so schön, die Umwelt und dat. Die Dinger da, is ja auch kein schöner Anblick, darum hat es mir nicht gefallen."

Es gab Bürgersammlungen und Unterschriften gegen die Windräder. Die Gemeinde stimmte trotzdem für den Bau. Mittlerweile regt sich Sausikat nicht mehr auf. Die Windräder sind da und bleiben da.

Sausikat: "Ist die Gewohnheit, man hat sich dran gewöhnt. Man muss das akzeptieren. Man konnte nichts ändern. Also man hat sich dran gewöhnt."

Gerd Wolf ist stellvertretender Ortsbürgermeister von Güstow.

Wolf: "Ick bin ja nu auch ziemlich dicht hier dran an den Windmühlen. Also am Tage nimmt man dat nicht so wahr, aber abends, wenn alles ruhig ist, dann ist das, als wenn da oben auf dem Berg eine Autobahn ist, ne. "

So mancher in Güstow profitiert auch von der Windkraft. Einige Bauern haben ihr Land verpachtet, die Rotoren sammeln den Wind, machen ihn zu Geld und Strom. Doch öffentlich möchten die Bauern darüber nicht reden. Die Verpachtungen sind für Gerd Wolf auch der Grund dafür, dass man sich mit den Windrädern letztendlich abgefunden hat.

Wolf: " "Leute, also Einwohner hier von Güstow, die vorher so geschrieen haben, haben gesagt, wir sind dagegen, aber die auch Land besitzen, aber nu steht auf ihrem eigenen Land auch die Windmühlen. Nu sind se ganz ruhig, ne."

Güstow gehört mittlerweile zur Kreisstadt Prenzlau. Eingemeindet. Doch die Zahlungen der Windkraftbetreiber für das Wegerecht fließen dennoch weiterhin in die Gemeindekasse von Güstow. Ein Spielplatz und Gehwege wurden mit diesen Mitteln finanziert, demnächst soll eine Regenentwässerung installiert werden.

Schaut der alte Herr Stimm aus seinem alten Häuschen auf seinen Garten, dann hat er freie Sicht … auf Windräder.

Stimm: "Ja, (lacht) die sind gebaut worden und dat wird auch seine Richtigkeit haben, sonst hätte man se ja nicht gebaut. Bei uns ist nicht mehr viel zu retten. Agrarland, Arbeitslosigkeit...."

Herr Mengel von der Bürgerinitiative gegen die modernen Windmühlen war auch schon mal in Güstow, zum Unterschriftensammeln. Manchmal wird ihm vorgeworfen, dass er als Berliner von den Uckermärker nicht akzeptiert wird. Sausikat sieht das anders:

"Ick find dat gar nicht ... die anderen, die meisten reden nur und tun nischt und der hat was getan. Find ich nicht verkehrt, ganz und gar nicht."

Die Stimmung in der Kreisstadt Prenzlau ist nicht viel anders. So mancher kennt ihn gar nicht, doch wer schon einmal von "Rettet die Uckermark" gehört hat, der spricht wohlwollend über ihn. Bei einer Straßenumfrage zeigen sich die Prenzlauer geteilter Meinung in Bezug auf die Windkraftnutzung in der Gegend.

Frau: "Nicht wirklich vorteilhaft für die Landschaft hier. Weil die Windkrafträder beherrschen mittlerweile die Uckermark. Überall, wo man guckt, stellenweise kriegt man im Dunkel auf der Autobahn nen Schreck: Was leuchtet dahinten. Nicht wirklich schön."

Mann: "Windkraftanlagen, habe ich eigentlich keinen Einwand. Einmal könnte man sowieso nicht gegen tun. Lass es so laufen, wie es ist."

Frau: "Ist ja nicht schlecht, diese Windkraftanlagen. Auf der einen Seite liefern sie ja wirklich tolle Energie. Aber auf der anderen Seite wird die Umwelt auch ein bisschen verschandelt dadurch, find ich. Ist immer eine Medaille mit zwei Seiten."

Mit den zwei Seiten einer Medaille ist das so eine Sache. Selbst aktiv werden gegen die Windkraftanlagen, dass kommt für die Uckermärker kaum in Frage.

"Welche Möglichkeiten hab ich? Ich bin auch gegen Hartz IV, und? Kümmert sich jemand drum? Gehen die Leute auf die Straße? Nein, jeder hat Angst um seinen eigenen Arbeitsplatz. Nee."

Hans Joachim Mengel, der Anführer der Gegner der Windmühlen-Landschaft, erklärt sich den relativ gering ausgeprägten Protest in der Uckermark mit den Lebensumständen vor Ort.

"Was sollen Menschen in ihrem Leben machen, wenn sie von solchen Prozessen überrollt worden sind und dann das Ergebnis neben ihrem Dorf steht? Sie haben nicht viele Alternativen. Sie können in ihrer wirtschaftlichen Situation nicht wegziehen, sie müssen also in dem Dorf bleiben. Sollen sie sich entleiben? Sicher auch keine Alternative, also muss man versuchen, auch sich selbst innerlich zu sagen: Es ist ja nicht so schlimm, Du musst damit leben. Und das nennt man Resignation."

Bei Wind beugen sich die Leute, bei wirtschaftlicher Not ebenfalls. Gibt es also keine Alternativen zur expansiven Windkraftnutzung in der Uckermark?

"Tja, gibt es eine? Im Moment wüsste ich keine. Ne, gibt wohl keine im Moment. Bleibt zu überlegen."

Die Bürgerinitiative "Rettet die Uckermark" sieht im Tourismus die größte Chance für die künftige Entwicklung in der Region. Nur eben, leider, dieser könne sich aber bisher nicht richtig entwickeln - wegen der Windräder in Uckermärkischer Landschaft. Aber: War es denn vorher wirklich anders? Werner Diwald von der Enertrag ist skeptisch:

"Also ob Tourismus durch Windkraft verhindert wird, will ich mal stark bezweifeln. Dann würde es in Schleswig-Holstein keinen Tourismus mehr geben, da passiert genau das Gegenteil. Also ich halte das erst mal für ein Märchen. Schlichtweg nicht belegt. Was mir an der touristischen Entwicklung hier fehlt, sind einfach mal belegte Zahlen."

Mengel hält dagegen: "Also es ist vollkommener Unsinn zu sagen, hier gibt es keine touristischen Potenziale. Nur, auch im Westen hat doch die Erfahrung – ich komme aus Nordhessen – gezeigt, dass es schon mehr als ein Jahrzehnt dauert, eine Infrastruktur aus dem Nichts aufzubauen."

Eine Umfrage im vergangenen Jahr besagte: Rund 14 Prozent der Tagesgäste in der Uckermark sähen die Windräder als wichtigste Schwäche der Region. Soziale Probleme und schlecht ausgebaute Straßen werden allerdings als noch wichtigere Problemfelder angesehen. Und die Stadtinformation Prenzlau wird nicht gerade von enttäuschten Touristen bestürmt.

Antje Schmidt: "Also hier bei uns in der Stadtinformation in Prenzlau kommt das äußerst selten vor, dass die Touristen sich zu den Windkrafträdern äußern. Ganz, ganz selten gibt es mal ne Nachfrage, warum hier so viele stehen oder so in der Art. Aber kaum, jedenfalls bei uns hier nicht Beschwerden."

Ende Oktober tagte die Regionalversammlung Uckermark-Barnim. Sie ist für die Planung der Windkraftnutzung in der Uckermark zuständig. Mit breiter Mehrheit wurde ein überarbeiteter "Teilplan Wind" beschlossen. Der weist für die Uckermark acht weitere Windkraftfelder aus. Hans Joachim Mengel und "Rettet die Uckermark" hatten versucht, diese Entscheidung zu verhindern, doch es kam anders. In Prenzlau und Umgebung gingen die Uckermärker nicht auf die Straße, um gegen diese Entscheidung zu protestieren.

Der Stadtbus fährt Leute und Werbung durch Prenzlau. Ein Foto mit leuchtend gelben Rapsfeldern, am Horizont Windräder. Der Slogan unter der Fensterfront lautet: "Uckermark – ein Land voller Energie".