Viehdiebstähle in Brandenburg

"Zustände wie im Wilden Westen"

Ein zwei Tage altes Kalb
Ein zwei Tage altes Kalb © picture alliance / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 07.03.2018
Am Morgen war der Stall leer, die 56 Kälber waren weg: Der Viehdiebstahl bei Landwirt Daniel Schacht ist kein Einzelfall. In Brandenburg häufen sich derartige Fälle. Die Ermittler vermuten professionelle Banden hinter dem Rinderklau.
Landwirt Daniel Schacht erinnert sich, als sei es gestern gewesen:
"Wenn man so geradezu guckt, da ist der Weg, wo die Diebe hochgekommen sind. Die haben natürlich die Güllezufahrt genommen, die am wenigsten genutzt wird und auch am meisten versteckt ist, müssen sie gut ausspioniert haben. Man sieht ja hier ringsherum Wald und wir müssen über lange Zeit beobachtet worden sein. Weil, die haben ja auch ein recht enges Zeitfenster gefunden, in dem sie hier zugeschlagen haben. Die wussten genau: Wie sieht die Anlage aus, was ist hier los, wie viele Tiere sind hier wussten die ziemlich genau."
Irgendwann zwischen Mitternacht und kurz vor drei Uhr morgens waren hier Profis am Werk: Da ist sich der 32 Jahre alte Geschäftsführer der DAREZ Agrar GmbH in Baruth im südlichen Brandenburg ganz sicher. Die Viehdiebe kamen mit zwei unauffälligen kleineren Transportern. Das stellten die Ermittler der "Sonderkommission Koppel" anhand der Reifenspuren fest.

Nur ein kleiner Bulle bleibt zurück

Die Täter agieren blitzschnell: Rein in den Kälberstall, in kurzer Zeit 56 Zuchttiere verladen und weg. Eine kleine Melkanlage und 250 Kilo Milchpulver nehmen sie auch noch mit. Als die Mitarbeiterin der Frühschicht kommt, ist der Kälberstall leer. Fast leer. Ein kleiner schwarz-bunter Stier steht mutterseelenallein im Stroh.
"Der hat eine Lungenentzündung und die konnten im Dunklen erkennen, ob die Tiere gesund oder krank sind. Also sind es Leute, die mit Tieren arbeiten, die auch oft mit Kälbern zu tun haben. Berufskollegen, kann man so sagen, ja. Auf jeden Fall Profis, Viehhändler oder Landwirte."
Dutzende solcher Fälle gab es in den vergangenen drei Jahren in Brandenburg. Oft fanden sich heraus geschnitten Ohrmarken am Tatort. Ministerpräsident Dietmar Woidke sprach von "unhaltbaren Zuständen wie im Wilden Westen". Im Landeskriminalamt wurde darum die "Soko Koppel" gegründet. Oft seien besonders hochwertige Zuchttiere verschwunden, erzählt der Präsident des Landes-Bauernverbandes, Henrik Wendorff. Er nimmt an, dass die Tiere andernorts die Herden veredeln sollen.
"In Deutschland wäre das alles fast nicht denkbar, denn kein Schlachthof würde ein Tier mit einer nicht registrierten Ohrmarke schlachten. Geht nicht. Aber ich glaube in anderen europäischen Ländern ist da wahrscheinlich die Kontrolle nicht ganz so genau."

Die Tiere werden wahrscheinlich nach Osteuropa gebracht

Hierzulande wird jedes Tier sofort nach der Geburt in einer bundesweiten Datenbank registriert, erklärt Wendorff. Und auf der Ohrmarke mit Kennnummer sind Geburtsdatum, Betrieb, Rasse und Geschlecht vermerkt. Wendorff fordert, der Polizei Zugriff auf das sogenannte Herkunftsinformationssystem Tierhaltung zu geben. Derzeit sei das auch aus Datenschutzgründen nicht möglich. Die Ermittler vermuten professionelle Banden hinter dem Rinderklau. Die Tiere verschwinden wahrscheinlich östlich der EU-Grenzen, nach einem Transit durch Polen.
"Und da ist natürlich Brandenburg mit der Grenznähe sehr gut geeignet."
Baruth liegt zudem wie die anderen betroffenen Höfe auch an einer Bundesstraße, die in wenigen Kilometern zu einer Autobahnauffahrt führt. Die DAREZ Agrar GmbH war denn auch schon vor dem letzten großen Coup Opfer von Diebstählen:
"Ich bin erst seit drei Jahren hier im Unternehmen, kurz bevor ich kam, wurden zwei Radlader geklaut, erst mal der alte und ein paar Wochen später dann der neue. Seitdem ich hier bin, wurde noch mal Maissaatgut geklaut und wurde auch eingebrochen und Technik dabei beschädigt und zweimal jetzt Kälber, einmal 19 und dann noch mal 56 Kälber."
Der alte Radlader war noch 25.000 Euro wert, der Neue hatte fast 60.000 gekostet. Schacht muss im Quartal für die Betriebshaftpflicht, die Einbruch und Diebstahl abdeckt, 15.000 Euro berappen. Die Selbstbeteiligung von 5000 Euro soll nun steigen und auch die Prämie noch teurer werden.
"Die wollen mich jetzt so langsam loswerden, also ist jetzt so weit. Für mich natürlich eine Katastrophe, weil, die eine Versicherung hat uns schon rausgeschmissen und jetzt haben wir die nächste Versicherung und die mussten jetzt eben auch schon drei Fälle regulieren und keine Ahnung, wo es da hingeht."

Der Raub wird zur Existenzbedrohung

Der junge Geschäftsführer beugt sich über die Abtrennung einer der Boxen, in denen die nach dem Diebstahl geborenen Kälbchen auf Stroh zusammen stehen. Schacht lässt eine kleine zukünftige Milchkuh an seinen Fingern nuckeln. 300 Holstein-Friesen hält die GmbH, 20 Mitarbeiter kümmern sich um die Tiere.
"Hier im Kälberstall sieht man eben die Buchten, die waren komplett voll, die linke und die rechte Seite. Und die waren von vorne bis hinten, also von einem Tier, das gerade zwei Tage alt war, bis einem Tier, was 85 Tage war, war alles weg und hauptsächlich unsere weiblichen, die wir ja eigentlich wieder haben wollen, dass sie in zwei Jahren bei uns eine Milchkuh werden."
Vor allem für kleinere Betriebe wie seinen bedeute solch ein Diebstahl eine Bedrohung der Existenz, wenn eine ganze Herde verschwindet, sagt Schacht. Mit dem niedrigen Milchpreis haben sie schon genug zu kämpfen. Und für die Landwirte sei so ein Viehraub auch emotional sehr belastend.
"Weil die Tiere ja auf jeden Fall gequält wurden. Also die wurden ja auf keinen Fall in guten Bedingungen dort transportiert, haben bestimmt auch nicht alle überlebt. Ist schon hart für die Tiere und für uns natürlich dann auch, gerade die Kollegen, die hängen ja an jedem einzelnen Tier."
Die Versicherung hat die gestohlenen Kälber zwar ersetzt, zahlte 15.000 Euro, aber:
"… 56 weibliche Tiere, wenn sie dann endlich in den Kuhstall kommen, kosten pro Tier 1000 Euro mindestens, 1000 bis 1200 Euro, also kann man sagen: Es sind da 50.000 Euro verschwunden."

Die Kälber fehlen in der Zucht

Denn der eigentliche Schaden entsteht erst in zwei Jahren.
"Wir hatten ja schon mal 19 Kälber verloren und die Tiere fehlen jetzt genau, die wären jetzt ein gutes Jahr alt, die würden wir jetzt besamen, die würden also jetzt tragend werden. Zwei Jahre braucht so eine Kuh, dann geht sie wieder in den Milchkuhstall und kann Milch geben. Wir werden es bei denen dann jetzt entsprechend in anderthalb Jahren extrem merken, dass uns drei Monate Nachzucht fehlen. Das heißt, kein weibliches Tier kommt nach in unseren Bestand. Wir brauchen immer eine gewisse Erneuerung in unserem Bestand und unser ganzer züchterischer Fortschritt quasi, der ist dahin und weg."
Bis auf das damals kranke Stierkälbchen. Sie haben es "Robin" genannt, nach "Robin Hood" und behalten, obwohl der männliche Nachwuchs sonst verkauft wird. "Robin" aber darf bleiben und wird hoffentlich künftig vor Langfingern besser geschützt sein:
"Also da kam so eine kleine Online-Meldung: 56 Tiere in Baruth gestohlen – und das ging bei Facebook eben viral, wie man das immer so schön sagt. Und dann hat meine Schwester mir gesagt: ‚Na, mach doch was mit Crowdfunding‘. Und da habe ich gedacht: Warum nicht? Probiert man es einfach mal und hat ja am Ende glücklicherweise auch so gut wie geklappt, also zumindest eine Alarmanlage haben wir und ein Großteil der Summe kam auch über diese Spendenaktion zusammen."
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