Videobotschaften in Coronakrise

Streamen nur mit akademischem Bildhintergrund

04:16 Minuten
Eine aufgezeichnete Video-Botschaft von Prinz Charles, dem Prince of Wales wird während der Eröffnung des Dragon's Heart Hospital am 20. April 2020 im Principality Stadion in Cardiff, Wales, auf einer Leinwand abgespielt. Das Dragon's Heart Hospital ist ein Feldkrankenhaus mit 2000 Betten, das in einem Fußball-Stadion befindet.
Perfekt inszeniert: Videobotschaft von Prinz Charles. © Getty Images / Matthew Horwood
Eine Glosse von Tobi Müller · 23.04.2020
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In Coronazeiten wird aus den eigenen vier Wänden gestreamt: die Royals, Intellektuelle oder scheinbar allwissende Virologen verraten dadurch so einiges über sich als Privatperson. Was man sieht, deutet Kulturjournalist Tobi Müller.
Nicht jeder kann mit Prince Charles mithalten. Der Thronfolger des Vereinigten Königreiches ist auch dann hervorragend angezogen, wenn er, frisch von Covid-19 genesen, eine kleine Videoansprache auf dem schottischen Landsitz hält.
Von Links fällt Tageslicht auf das etwas errötete Gesicht, die andere Hälfte bleibt leicht im Schatten. Das Sakko, die Krawatte und das Einstecktuch spiegeln raffiniert das hellgraue Haar und das tiefzarte Rosa seiner Hautfarbe.
Bei Prince Charles ist die Bücherwand perfekt, nun ja: kuratiert. Ein Band über Botanik darf beim Pflanzenliebhaber so wenig fehlen wie ein Kinderfoto eines Enkels. Am deutlichsten zu erkennen ist aber ein Buchrücken des Krimiautors Dick Francis.
Wie bitte, Charles liest Krimis? Kontaktscheu mit dem Trivialen verspüren nur jene, die nach oben wollen, und gerade nicht jene, die schon oben sind. Doch selbst das Krimisignal ist subtil: Dick Francis war auch Jockey, und zwar der liebste Rennreiter der Queen Mum, der Oma von Charles.

Meine Wohnung, das bin ich!

In Deutschland lassen manche öffentlichen Geistesfiguren viel Vorsicht walten, was sie über ihre Bildung verraten wollen. Im Homeoffice von Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur des bildungsaffinen Wochenblatts "Die Zeit", sind keine Bücher im Hintergrund zu sehen. Da hängt etwas Kunst, das Zimmer ist geräumig, das Licht diffus: So tritt di Lorenzo als Co-Moderator der Talk Show 3nach9 auf, die er mit der Nachrichtensprecherin Judith Rakers leitet.
Das wirkt so luftig und leger wie di Lorenzos offenes Hemd und soll wohl niemanden erschrecken. Rakers, ein Bildprofi, achtet auf monochrome Farben. Die Kontur bleibt selbst dann klar, wenn Moderatorin oder Moderator zu Briefmarken schrumpfen, die Gäste aber groß im Bild zu sehen sind.
Wie zum Beispiel Sigmar Gabriel, ehemaliger Vizekanzler. Er sitzt in einer weißen Ecke mit weißer Lampe, nichts deutet auf Tradition hin. Dafür sorgen ein dunkelblaues Jackett und ein weißes Hemd für Kontrast. Das Bild sagt: Meine Wohnung, das bin ich. Aber kehren wir zurück zu den Intellektuellen.

Sichtbar platziert: Suhrkamps Wissenschaftsreihe

Harald Welzer, deutscher Soziologe, tritt im "After Corona Club" auf den ersten Blick klassisch im Büro vor dem Bücherregal auf. Welzer, der darüber forscht, warum wir wider besseren Klimawissens im Winter in den Sommerurlaub fliegen, setzt seinen schönen Teint mit einem schwarzen Pullover und einer Goldrandbrille in Szene. Studierende und alle, die es mal waren, sehen eine kleine Serie von Taschenbüchern aus Suhrkamps Wissenschaftsreihe.
Kunstbände sind gemein, weil groß: Sofort fällt der japanische Aktfotograf Araki auf. Aber genau diesen Band fürs Fernsehen aus dem Bild zu verbannen, wäre zuviel der Prüderie.

Künstliche Hintergründe zwischen Berlin und Star Wars

Der Frauenanteil bei den aktuellen Welterklärern ist gering. Bis die Geschlechtergleichheit zunimmt, müssen die Männer von Profis wie Prince Charles lernen.
Eine Videokonferenz war diese Woche beispielhaft. Der Bundesverband für mittelständische Wirtschaft lud zum Gespräch mit dem Gerichtsmediziner Klaus Püschel, der in Covid-19 keine außergewöhnliche Gefahr sieht, und mit dem emeritierten Mainzer Epidemiologen Sucharit Bhakdi. Der sagt, die Wirtschaft müsse keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen treffen
Bakhdi und – noch deutlicher – Püschel schauen von oben herab in die Kameras. Das verschiebt den Fokus ungünstig auf die Nasenlöcher und wirkt eher unheimlich als vertrauenswürdig.
Hans-Jürgen Völz, der Gastgeber vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft, war schon weiter: Er saß vor einem künstlichen Hintergrundbild, die man nun bei den meisten Anbietern installieren kann. Unklar blieb, ob das Bild den Potsdamer Platz in Berlin oder eine Stadt aus Star Wars abbilden sollte. Unwirklich wirkt ja gerade beides.

Tobi Müller ist Kulturjournalist und Autor in Berlin. Er schreibt über Pop- und Theaterthemen und leitet Gesprächsrunden. Sein Dokumentarfilm "A1 – Ein Streifen Schweizer Strasse" hat 2016 den Zürcher Fernsehpreis erhalten (mit Mike Müller). Sein Theaterstück "Die Akte Bern – Ein Theaterbericht von Fichen bis Facebook" wurde im Mai 2018 uraufgeführt.

© Wolfgang Stahr
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