Video-Pionier Gerd Conradt

Der lange Weg zur Meisterschaft

34:01 Minuten
In seinem neuen Dokumentarfilm Face_It! startet der Regisseur und Videopionier Gerd Conradt einen Exkurs zur Codierung des Gesichts. Hier ist er zu Gast im Kanzleramt bei Dorothee Bär.
Aufnahmen zu "Face_It": Videokünstler Gerd Conradt im Kanzleramt mit Dorothee Bär. © missingfilms
Moderation: Britta Bürger · 24.07.2019
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Als Student war Gerd Conradt hoch politisiert, heute gilt er als Pionier der Videokunst. Sein neuestes Projekt heißt "Face_It!" und beschäftigt sich mit der Vermessung des Gesichts im öffentlichen Raum.
Anlass für den Dokumentarfilm "Face_It!" war ein Projekt der Bundespolizei. Am Berliner Bahnhof Südkreuz wurden die Gesichter von Reisenden mit Kameras erfasst und automatisch identifiziert.
Der Filmemacher und Video-Pionier Gerd Conradt ließ sich davon inspirieren, gründsätzlicher über Gesichter nachzudenken:
"Das ist ein Phänomen, dass wir uns selbst nicht sehen. Dass wir von anderen gesehen werden, dass wir ständig andere sehen. Das Gesicht erzählt - die ganze Zeit."

Niemand kennt sein eigenes Gesicht

Für seinen neuen Film traf Conradt auch die Staatsministerin für Digitalisierung bei der Bundesregierung, Dorothee Bär. "Ich habe mich auf die Gesichter meiner Protagonisten konzentriert," erzählt Conradt. "Wer genau hinschaut, kann im Gesicht von Frau Bär einiges lesen."
Conradt hat eine bewegte Lebensgeschichte. Er war in dem politisch sehr polarisierten ersten Jahrgang der Berliner Filmhochschule dffb, dem auch der Filmemacher und spätere Terrorist Holger Meins angehörte.

Holger Meins ging in den Untergrund

Meins, ein Freund Conradts, ging später mit der RAF in den Untergrund und starb nach einem Hungerstreik im Gefängnis. Ein Weg, den Conradt vorhergesehen hatte – und auf dem er Meins nicht folgen wollte, wie er ihm in einem Gespräch vor seinem Untertauchen klar machte:
"Es war die Frage: Wird man Berufsrevolutionär oder was wird man? Für mich war in diesem Gespräch klar, dass ich gesagt habe: 'Holger, das mache ich nicht.' Ich habe erstmal ein Kind, ich habe Familie, und zweitens habe ich Angst davor, zu sterben. Weil: Das ist ein Selbstmordkommando. Ich will mich nicht opfern."

Sehnsucht nach Meisterschaft

Conradt ging einen anderen Weg. Er wurde Anhänger der Lehren von Bhagwan Shree Rajneesh, später bekannt als Osho, trug Orange und eine Holzkette und reiste zu seinem Meister ins indische Pune.
"Lange war Jesus meine Leitfigur. Dann Mao. Und dann Osho. Ich hatte zwischendurch eine Depression. Menschen, die ich kannte, kamen mit leuchtenden Augen auf mich zu, rot gekleidet, und sagten: Versuch' es doch mal mit dynamischer Meditation. Und da habe ich verstanden: Das ist es."
Die Erlaubnis, aus sich herauszugehen und "verrückt" zu sein, habe ihn in der von Grenzerfahrungen geprägten Gemeinschaft der Sanyassins der Weisheit und der Meisterschaft ein Stück näher gebracht, berichtet er.

Der Weg des Künstlers

Als Dozent ist Conradt inzwischen nüchterner: Er versucht seine Studenten davon zu überzeugen, den Dokumentarfilm als sehr realistische Sache zu betrachten.
"Junge Menschen glauben, sie könnten mit dem Film auch persönliche Fragen beantworten. Ich versuche ihnen klar zu machen, dass Dokumentarfilm auch ein Gebrauchsgegenstand ist."
Ein Künstler muss Conradts Ansicht nach auf seinem Weg auch Antworten darauf finden, ob und wie er sich und Angehörige ein Leben lang ernähren will: "Ich habe mich diszipliniert und habe meine Aufträge als freier Mitarbeiter streng ausgeführt. Da habe ich gelernt, mich an die Vorgaben zu halten."
(AB)
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