Video-App Tiktok

Vom Tanzvideo zum Aktivismus

07:11 Minuten
Ein Mädchen nutzt Tiktok.
Politik spielt auf der Video-App Tiktok inzwischen eine wachsende Rolle. © picture-alliance/NurPhoto/Tharaka Basnayaka
Dennis Kogel im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 09.07.2020
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Die Video-App Tiktok ist politischer geworden, sagt der Netzexperte Dennis Kogel: Angesichts drängender Zukunftsthemen melden sich junge Leute in der digitalen Öffentlichkeit zu Wort und nutzen verschiedene Plattformen.
Viele junge Menschen äußern sich heute im virtuellen öffentlichen Raum politisch und nutzen dafür auch zunehmend die Video-App Tiktok. Sie war eigentlich als Plattform für Tanz- und Musikvideos bekannt geworden, aber der Spaß steht schon länger nicht mehr im Vordergrund.
Tiktok sei inzwischen eine politische Plattform, sagt der Journalist und Netzexperte Dennis Kogel. Forscher der TU München hätten in einer Studie herausgefunden, dass Politik für Nutzer und Nutzerinnen in den USA sehr wichtig sei. Deshalb werde beispielsweise auf der Plattform über die Präsidentschaftswahlen im November debattiert.

Blamage für Trump

Für Aufsehen gesorgt hatte kürzlich in den USA eine Aktion von Tiktok-Nutzerinnen und Nutzern gegen einen Auftritt von US-Präsident Donald Trump in Oklahoma. Zehntausende folgten einem Video-Aufruf und reservierten Tickets für den Wahlkampfauftritt von Trump in Tulsa, ohne dann zu erscheinen. Viele Sitze in der Arena blieben deshalb leer.
"Das war eine gewisse Blamage für Trump und sein Team", sagt Kogel. Allerdings sei es schwer zu sagen, welchen Anteil der Aufruf daran gehabt habe, dass die Veranstaltung schlecht besucht gewesen sei. Expertinnen und Experten warnten davor, diesen Einfluss zu überschätzen.
Leere Ränge bei der Wahlveranstaltung von Donald Trump in Tusla
Bei der Wahlkampfveranstaltung von US-Präsident Donald Trump in Tusla blieben viele Plätze leer - auch weil Tiktok-Nutzerinnen und -Nutzer Karten kauften ohne zu kommen. © picture-alliance/AP
"Junge Menschen entdecken im Moment ganz generell ihre politische Stimme", so Kogel. "Das sehen wir auch deutlich auf Social Media." Das gelte für Tiktok, aber eben auch für andere Plattformen.
Anders als bei Facebook oder Twitter gehe es bei Tiktok nicht darum, Artikel oder Kommentare zu teilen oder zu diskutieren. "Die Nutzerinnen und Nutzer stehen selber im Fokus, müssen also selbst ihr Gesicht in die Kamera halten und auch sagen, wofür sie stehen."

Vielfalt unter jungen Leuten

Es gebe derzeit so viele wichtige Themen, wie den Klimawandel oder die Covid-19-Pandemie. "Die Zukunft, in der junge Menschen leben werden, die wird jetzt entschieden", so Kogel. Deshalb wollten sie mitreden.
Der Journalist warnte aber davor, daraus ein eindeutiges Generationsbild abzuleiten. US-amerikanische und israelische Forscher hätten untersucht, dass junge Leuten auf Tiktok sehr unterschiedlich seien. "Es gibt auch konservative Stimmen, es gibt rechtsextreme Verschwörungstheoretiker und es gibt natürliche junge Menschen, die gar kein Interesse an Politik zeigen."

Das Verhältnis zu Peking

Auf das Verhältnis des in China gegründeten Videoportals zur Regierung in Peking gebe es keine einfache Antwort, sagt Kogler. Das zeige sich auch daran, dass sich die Plattform aus Hongkong zurückgezogen habe. Eine Regierungsnähe hätten die Betreiber immer wieder abgestritten und betont, dass sie nicht etwa mit der chinesischen Regierung zusammen arbeiteten. Geleitet werde Tiktok von Kalifornien aus mit einem US-amerikanischen Vorstandschef.
"Tiktok tut also sehr viel, um von dieser Kritik wegzukommen." Dennoch gebe es Anzeichen, dass bestimmte politische Äußerungen und Inhalte in der App unsichtbar gemacht würden. "Dazu gehören auch Proteste in Hongkong." Wenn das rauskomme, dann rudere das Unternehmen gleich zurück und verweise beispielsweise auf den Jugendschutz. "Wenn man sich ganz plakativ die Frage stellt, ist Tiktok gut oder böse – darauf gibt es keine eindeutige Antwort."
(gem)
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