VfL Gummersbach in der Krise

Tradition trifft keine Tore

24:09 Minuten
Ein Spieler des VfL Gummersbach zieht sich beim letzten Heimspiel in der Bundesliga das Trikot über den Kopf. Im Hintergrund ist ein Tor zu erkennen.
Es hilft kein Verstecken: Am 9. Juni 2019 stieg der VfL Gummersbach in die zweite Liga ab. © Picture Alliance / dpa / Alexander Keppler
Von Knut Benzner · 20.10.2019
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Früher gehörte der Handballverein VfL Gummersbach zur Weltspitze. Doch das ist vorbei. In der letzten Saison stieg der Klub, der mittlerweile eine GmbH ist, in die zweite Liga ab. In der Stadt aber gibt es einige, die noch Hoffnung haben.
"Heimat des Handballs", so steht es auf der Webseite jenes Vereins, der einst der erfolgreichste Handballverein der Welt war: der VfL Gummersbach. In der 50.000-Einwohner-Stadt im Oberbergischen Kreis wurde über Jahrzehnte Sportgeschichte geschrieben.
Die Erfolgsstory begann 1966 mit dem ersten Deutschen Meistertitel. Bis Ende der 1980er-Jahre prägten Spieler wie Hansi Schmid, die Brüder Klaus, Jochen und Heiner Brand, Helmut Kosmehl und Klaus Kater nicht nur den VfL, sondern auch die Bundesliga.
Die beeindruckende Bilanz: zwölfmal Deutscher Meister, sechsmal Vizemeister, fünfmal Pokalsieger, fünfmal Sieger im Europapokal der Landesmeister. Dann kam der Bruch: finanzielle Probleme, vorläufige Lizenzverweigerung, sportliches Mittelmaß statt Meistertitel, der Kampf gegen den Abstieg.

Ludwigshafen bleibt in der Bundesliga

Am letzten Spieltag der vergangenen Saison war es dann tatsächlich so weit: Der VfL verabschiedete sich am 9. Juni 2019 in die 2. Liga. Die SG BBM Bietigheim, Tabellenvorletzter, spielt gegen den punktgleichen und einen Platz vor Bietigheim stehenden VfL Gummersbach. Damals gewann die Die Eulen Ludwigshafen bei ihrem Heimspiel mit einem Tor Vorsprung. Für den VfL bedeutet das Ergebnis der Abstieg.
Ein Tor. Ein einziges Tor. Bei einer Tordifferenz der Ludwigshafener von minus 153 und der der Gummersbacher von minus 154. Und einem Torverhältnis von 802:955 beziehungsweise 809:963.
"Ein Tor, ein Wurf, irgendwo, wo wir auch mal mit zehn Toren verloren haben", sagt Tobias Schröter. Der 26-Jährige spielt auf der Position Rechtsaußen und ist seit zwölf Jahren im Verein. "Das kann man nicht begreifen und dann muss man sehen, wo die Reise hingeht."

Viele Dörfer, eine Stadt

26 Niederlagen, zwei Unentschieden, lediglich sechs Siege: Gummersbach. Als dort Gebürtiger gefragt, wo man herkomme und eben Gummersbach angibt, verändert sich das Gesicht des Gegenübers zu einem wissenden Lächeln: Ah, der VfL. Gleichwohl weiß niemand, wo Gummersbach liegt.
Oberbergisches Land, Marienheide, Meinerzhagen, Wiehl, Bergneustadt, Rheinisches Schiefergebirge, wiewohl der Rhein selbst, namentlich Köln, 50 Kilometer westlich von Gummersbach ist. 30.000 Einwohner, mit Ortsteilen wie Dieringhausen, Derschlag, Niederseßmar, Niedernhagen, Halstenbach, Hunstig und so weiter 50.000, wenngleich diese Ortsteile im eigentlichen Sinne keine sind, sondern um Gummersbach herum liegen.
1861 wurde in Gummersbach ein Turnverein gegründet, 1923 kam der Handball hinzu. Feldhandball, denn an Hallenhandball war noch nicht zu denken, der erste Hallenhandballmeister wurde im Westen wie im Osten 1950 ermittelt und mit Vereinen im Westen wie dem SV Polizei Hamburg, Frisch Auf Göppingen oder Grün-Weiß Dankersen, egal ob auf dem Feld oder in der Halle, konnte Gummersbach sowieso nicht mithalten.
Das sollte sich ändern: Derschlag, einer der erwähnten Stadtteile Gummersbachs. Wollte man von hier in die Halle des VfL, wären es sieben Kilometer.
Hans-Günther "Hansi" Schmidt, 77 Jahre – und der Spitzname "Hansi" wirkt bei einem Mann, der immer noch 1,96 Meter ist, ein wenig grotesk –, Hansi Schmidt und seine aus Gummersbach kommende Frau Karin sind der Gegend treu geblieben.
"Ja, mein Name ist Hans-Günther Schmidt", sagt der ehemalige Spieler. "Unter Hansi Schmidt kennt man mich, ich habe zwölf Jahre in Gummersbach gespielt, das war so die erfolgreichste Zeit des VfL Gummersbach und eine wunderbare Zeit."

Aus Rumänien nach Gummersbach

Schmidt, geboren im rumänischen Teremia Mare, Marienfeld, war Ende des Jahres 1963 nach einem Turnier mit der rumänischen Junioren-Handballnationalmannschaft nicht mehr nach Rumänien zurückgekehrt. Der Banater Schwabe landete in Gummersbach – und 1966 wurde der VfL erstmals Deutscher Meister.
"Ja, das waren ausgezeichnete Spieler allesamt", sagt Schmidt, "ob der nun Klaus Westebbe hieß, Klaus Kater, Bernd Podak, die Gebrüder Brand." Gemeint sind Klaus und Jochen. "Das waren schon alles Leute, die sehr, zum einen bodenständig, es waren Leute hier aus der Region, ganz wenige kamen aus der Fremde so wie ich. Das war eine gute Zeit, die ungeheuer erfolgreich war."
Deutscher Meister 1966, 1967, 1969, Vizemeister 1968 und 1970, dann Deutscher Meister von 1973 bis 1976, Vizemeister 1970 und 1972, Schlagheck, Deckarm, inzwischen auch Heiner Brand, Schmidt spielte noch, hinzu kamen in jener Zeit vier Titel im Europapokal der Landesmeister. Die Spieler waren es nicht allein:
"Man stellte das eigene Ich nicht in den Mittelpunkt", erläutert Schmidt. "Der Mittelpunkt war eben diese VfL-Mannschaft. Das waren die Leute, die hinter den Kulissen gearbeitet haben, die haben exzellente Arbeit geleistet und wir hatten eigentlich nur zu spielen. Wir fühlten uns gut aufgehoben, wir kamen sehr gut zurecht und die Leute, die die Verantwortung trugen, die machten das mit Hingabe."

Kaufmann und Handball-Obmann

Da war der Trainer, Dr. Horst Dreischang, Mecklenburger aus Alt Pannekow, später am Institut für Leibesübungen in Greifswald und seit 1959 in der Bundesrepublik. Und da war Eugen Haas.
"Ja, der Eugen Haas war die Seele der Mannschaft", so Schmidt. "Ein Mann, der mit einer Intelligenz, Bauernschläue ausgestattet war, er hatte tolle Beziehungen, er hat jedem von uns das Gefühl vermittelt, dass wenn Du mich brauchst, bin ich für Dich da. Er war eben ein Mann von Wort, wenn er was sagte, dann hat er das auch getan und so was gab´s damals glaube ich nicht."
Haas hatte selbst Handball gespielt und war Kaufmann für Büromaschinen, Büromöbel und Bürobedarf. Haas kümmerte sich um Wohnungen und Wagen, Haas fand Lösungen. Und so heißt es in der Dokumentation "100 Jahre Handball":
"Haas findet Lösungen, sein Credo ist simpel, nur ein zufriedener Spieler ist ein guter Spieler. Er organisiert Arbeitsfreistellungen für seine Spieler, um bereits am Vortag zu Auswärtsspielen zu fahren. Haas wird zum Vorbild aller Manager."
Bis 1991 nannte man ihn Obmann, Handball-Obmann. Offizielle Verträge? Gab es bis in die 80er-Jahre nicht – es wurde per Handschlag geregelt.
Eines regelte er nicht, weil er es nicht regeln konnte: Schmidt, dem Banater Schwaben, Helmut Kosmehl, dem Magdeburger, der ab 1964 für den VfL spielte, sowie Horst Dreischang, dem Trainer, auch aus der DDR, wurden bis in die Mitte der 70er die Einreisen zu Auswärtsspielen in den Ostblock untersagt. Mal gab es keine Visa, mal erschien es schlicht zu gefährlich. Durch den Hin- und Rückspielmodus konnten mögliche Niederlagen wett gemacht werden, was fast immer gelang.

Der Dreikampf in der Liga beginnt

Schmidt wurde einmal Rumänischer Meister, 1963, fünfmal Deutscher Meister, viermal Europapokalsieger der Landesmeister und fünfmal hintereinander Torschützenkönig der Handball-Bundesliga.
Er wechselte 1976 vom Oberbergischen ins Niederbergische, zum Turnerbund Wülfrath, und war ferner Lehrer. Danach begann die Zeit des TV Großwallstadt. Und dann begann der Dreikampf zwischen Großwallstadt, Gummersbach und TUSEM Essen.
Und jetzt? "Man hat in den letzten Jahren doch auf die falschen Leute gehört", meint Schmidt. "Die ganzen Rahmenbedingungen, die müssen geschaffen werden von kompetenten Leutchen. Die hatten wir nicht die letzten Jahre."

Tragischer Held

Joachim Deckarm, 65, ist die tragische Geschichte des VfL: dreimal Deutscher Meister, zweimal Europacup-Sieger, Weltmeister 1978, aufgebaut als Nachfolger von Hansi Schmidt. Er verunglückte im März 1979 im Halbfinalrückspiel im ungarischen Tatabánya schwer. Er stieß bei einem Tempogegenstoß mit seinem Gegenspieler unglücklich zusammen und fiel zu Boden. Sein Kopf schlug auf den nur mit einer dünnen PVC-Schicht überzogenen Betonboden. Doppelter Schädelbasisbruch, Gehirnhautriss, Gehirnquetschungen, Koma, Pflegefall. Seit 2018 ist der gebürtige Saarbrücker wieder in Gummersbach, der Verein bindet ihn ein.
In einem Besprechungsraum sitzt auch der 65-jährige Gerd Rosendahl, Weltmeister 1978. Vlado Stenzel hatte ihn nach Gummersbach geholt.
"Hatte eine sehr erfolgreiche Zeit hier", erzählt Rosendahl. "1983 haben wir alle Titel gewonnen, international und national. Ich habe hier Maschinenbau-Produktionstechnik studiert, gehe jetzt aber im Oktober in den Ruhestand."
Die zweite Generation, Rosendahl zählt seine ehemaligen Mitspieler auf: "Joachim Deckarm, Heiner Brand, Erhardt Wunderlich, Andreas Thiel, Rudolf Rauer, Thomas Krokowski, am Kreis Klaus Westebbe, Klaus Fey, Frank Dammann."
Und natürlich: "Ja, Petre Ivanescu war hier ein sehr erfolgreicher Trainer, also das war auch die Zeit, wo die meisten Erfolge errungen wurden."

Wenn ein Sponsor wegbricht

Deutscher Meister ’82 und ’83, Vizemeister ’80 und ’81, Pokalsieger ’82 und ’83, IHF-Pokal ’82, Europapokal der Landesmeister ’83, Europameister der Vereinsmannschaften ’79 und ’83. Man versuchte, oben mitzuspielen.
"Da die Sponsorenweite hier nicht ganz so groß ist, war natürlich die Konzentration auf wenige, aber große, wenn dann mal einer dieser Sponsoren weggebrochen ist, dann war direkt Not am Mann", erzählt Rosendahl. "Der VfL hat es sicherlich geschafft, die verschiedenen Vorstellungen von den Geschäftsführungen, dass der VfL weiter existieren konnte, aber man hat sicherlich sehr viele Jahre am Limit von der finanziellen Seite gekämpft."
Doch auch sportliche Fehler wurden gemacht. Rosendahl: "Wenn man so alter Internationaler ist, dann fällt einem das eine oder andere dazu ein. Wir müssen gemeinsam nach vorne schauen. Der Eugen Haas hat gesagt, wir müssen an dem blau-weißen Strick ziehen. Jetzt müssen wir sehen, dass wir aus der zweiten Liga wieder in die erste kommen und nicht fragen, wer war Schuld an was oder was hätte man anders machen können, das ist sowieso vergossene Milch."
Eugen Haas starb 1995. Damals hatte er mit dem VfL bereits ein paar Jahre nichts mehr zu tun – obwohl Haas unaufhörlich mit dem VfL zu tun hatte.

Spieler verzichten auf Gehalt

Man tingelte über die Dörfer, um Geld zu generieren. 1991 mit der zwölften die letzte Deutsche Meisterschaft, Heiner Brand verlässt den Verein als Trainer, kommt allerdings wieder, sein Bruder Klaus als abermaliger Retter, dann wird der Klub an einen Konzern verkauft. Arno Ehret, wie Rosendahl und Heiner Brand ebenfalls Weltmeister, bleibt als Trainer nur ein halbes Jahr.
Enorme finanzielle Probleme werden bekannt, Spieler mussten auf Teile ihres Gehaltes verzichten oder verkauft werden. Die VfL Handball Gummersbach GmbH wird gegründet, der Profihandball aus dem Stammverein ausgegliedert und eine finanzielle Konsolidierung erreicht, drohende Lizenzverweigerung.
Dass die Spieler aus Gummersbach, wie die Brands, Westebbe und Schlagheck, oder aus dem Umland kamen, ist schon lange nicht mehr so.
Gerd Rosendahl, der gebürtige Duisburger:
"Definitiv, das ganze Geschäft ist internationaler geworden, Europa ist zusammengewachsen, auch im Handball. Deswegen ist das wie im Fußball wie im Handball so, man versucht, die Besten zu bekommen und da macht man nicht vor Bundesländern halt, auch nicht vor Deutschland, sondern guckt in Europa, was sind die Guten. Wobei ich dafür plädiere, dass man viel für die Eigengewächse tut und auch da es schafft, gute Leute nach oben zu bringen und auch dann mitspielen zu lassen."

Als Gummersbach "Mannschaft des Jahres" wurde

Rosendahl gegenüber sitzt der Bürgermeister:
"Mein Name ist Frank Helmenstein, ich bin 54 Jahre jung und seit dem 18.Oktober 2004 Bürgermeister meiner Heimatstadt, der Handballstadt Gummersbach. Mein Erinnerungsvermögen an den VfL, an den Handball, setzt mit der Saison 1976/77 ein, weil im Dezember ’76 wurde die Eugen-Haas-Halle bespielt, ich kam ’75 nebenan auf das Gymnasium. Ich habe als Kind, als Junge da auch Sportunterricht gehabt und natürlich ging man zum VfL.
Und weil dieses Jahr 1983 erwähnt wurde, das ist halt meine Generation, die hat das auf ewig im Kopf eingebrannt, dieses sensationelle Jahr, wo man alle Titel geholt hat, wo man vor dem FC Bayern München auch noch `Mannschaft des Jahres´ ist. Das ist, wenn man so will, eines unserer Probleme, dass wir diese, die glorreichen 60er-, 70er-, 80er-Jahre, und jetzt sind wir in der zweiten Bundesliga, die, das hat sich jetzt schon gezeigt, kein Waldspaziergang ist."
Wobei Platz genug dafür um Gummersbach vorhanden wäre. Die zweite Liga ist kein Waldspaziergang. In der Bundesliga gebe es, sagt Helmenstein, gebe es eine Drei-Klassen-Gesellschaft. In der zweiten Liga könnten sechs bis acht Mannschaften aufsteigen – und wenn es dann gegen den ruhmreichen VfL geht.

Bürgermeister sieht den Wirtschaftsstandort

Der Bürgermeister kommt aus Ründeroth, einer dieser Gummersbach umgebenden Orte. 1983 war er 18 Jahre alt. 1991 – die letzte Meisterschaft – bereits 26 und, das soll nicht verschwiegen werden, bei den allerletzten großen Erfolgen, 2009, 2010 und 2011, IHF-Pokal- beziehungsweise Europapokalsieger der Pokalsieger, schon einige Zeit im Amt.
"Sportlicher und wirtschaftlicher Erfolg, das sind kommunizierende Röhren", meint Helmenstein. "Ich habe so die alten Akten im Rathaus, nach dem Gewinn der ersten Deutschen Meisterschaft in der Halle gegen Leutershausen gab es einen Reisewecker. und nach dem Gewinn des Europapokals 1967 eine Armbanduhr. Und Handball spielt man heute aber nicht für einen Kasten Bier. Der VfL Gummersbach ist natürlich auch ein Wirtschaftsunternehmen und das ist wirklich auch kein Selbstläufer. Weil wir hier im ländlichen Raum sind, wir sind keine Metropole, auch keine Metropolregion.
Da zu gucken, dass wir neben den Fans, die ideell und auch materiell unsere Basis sind, ist es aber ganz wichtig, auch die Wirtschaft hier für den VfL zu gewinnen. Ich verfolge es jetzt ganz dicht seit 15 Jahren. Gucken Sie mal, wenn Sie Europa- oder Weltmeisterschaften sich angucken, wer dann alles mal beim VfL Gummersbach gespielt hat, aber dann eben nach zwei, drei Jahren auch verkauft werden musste, prominente Beispiele sind Julius Kühn und Simon Ernst, das sind Jungs, die hier bei uns groß geworden sind, Europameister, Nationalspieler und die wir dann eben aus der wirtschaftlichen Not heraus verkaufen mussten. Diese personelle Kontinuität, die halte ich für eine Basis des Erfolgs."
Dass Spieler einen Verein nach dem Abstieg verlassen, im Falle des VfL waren es vor ein paar Monaten Carsten Lichtlein, 220 Spiele für die Nationalmannschaft, zum HC Erlangen - o.k., er ist Franke. Moritz Preuss ging zum SC Magdeburg und Ivan Martinović zum aufstrebenden TSV Hannover-Burgdorf.

Spielstätte in Köln – ein Fehler

Die Hallen, die Sporthallen, waren historisch ebenfalls ein Problem.
"Die hat ein Fassungsvermögen von 2.100, also gut 2.000 Zuschauern", erläutert Helmenstein. "Davor gab es dann aber noch die alte Kreissporthalle in der Reininghauser Straße, wo man von 1959 bis ’73 gespielt hat, und dann hat man in der Interimsphase, also bis die Eugen-Halle an den Start ging, in Bielstein gespielt, von ’73 bis ’76."
Und das Intermezzo in Köln in der Lanxess-Arena von 2001 bis 2008.
"Ja, das war nicht gut", unterstreicht Helmenstein. "In vielfacher Hinsicht nicht gut, ich sag mal so: Der VfL Gummersbach ist das Herzstück unserer lokalen Identität und der gehört hier hin und wir hatten in Köln, wie ich immer sage, teilweise ein Operettenpublikum. Die Lanxess-Arena, die 19.200 Zuschauer umfasst, die war teilweise nur mit 8.000 Zuschauern gefüllt. Da war also nicht diese kompakte, diese dicht gedrängte Stimmung kam da nicht auf. Es war auch für uns misslich. Sehr oft waren die Spiele mitten in der Woche, dann die Hin-und-Her-Fahrerei. Ich glaube auch, ohne aus dem Nähkästchen plaudern zu wollen, es war in wirtschaftlicher Hinsicht auch nicht so gut, weil sie haben dann natürlich auch ein immensen Unkostenapparat, das muss sich rechnen. Das hat es dann im Ergebnis finanziell nicht getan. Das, was man sich erhofft hatte, dass man die Fanbasis erweitern könnte, das ist so nicht eingetroffen."

Rückkehr nach Gummersbach

Die Schwalbe-Arena, auch eine Multifunktionshalle wie das Riesending in Köln, aber kleiner und mitten in der Stadt, ist seit 2013 die Spielstätte des Vereins, 4.130 Zuschauer, sehr kompakt, benannt nach dem Sponsor und Fahrrad- und Rollstuhl-Reifen-Produzenten aus Reichshof, neben Bergneustadt, sowie dem Tischtennisverein TTC Schwalbe aus Bergneustadt, neben Gummersbach, errichtet auf dem alten Steinmüller-Gelände, Dampfkessel- und Anlagenbau, 2002 kongenial in Konkurs gegangen, 3.500 Arbeitsplätze.
"Als Ende ’99 im November hier die industrielle Fertigung aufhörte, das war, muss man sagen, mit Sicherheit das traumatischste Erlebnis, was Gummersbach zu verkraften hatte", sagt Bürgermeister Helmenstein. "Jammern füllt keine Kammern, wir haben dann das Gelände gekauft und so bespielt, dass sich hier Menschen aus der ganzen Welt, Fachpublikum das angucken, wie man eine ehemalige Industriebrache, die anderthalb Mal so groß ist wie die bestehende Innenstadt, wie man die zu neuem Glanz und neuen Leben erweckt."
Der VfL: Geduld sei gefragt, die Wirtschaft ist willkommen. Selbst Handball gespielt hat der Bürgermeister nie: "Nee, ich habe immer nur Schule gemacht."

Eine Ehre, hier Trainer zu sein

Der Trainer kommt: Torge Greve.
"Nein, in unserer aktuellen Situation geht es eigentlich nicht darum, schön zu spielen, sondern es geht darum, erfolgreich Handball zu spielen, weil das Gummersbacher Publikum ist die letzten Jahre sehr leidgeprüft."
Man hatte Denis Bahtijarević nach zwei Jahren, in denen der VfL jeweils beinahe abgestiegen wäre, entlassen und Torge Greve vom VfL Bad Schwartau zehn Spieltage vor Ende der Saison verpflichtet: Der VfL war 16. von 18.
"Ich bin dann angetreten mit der Mission, dass wir eventuell die Klasse halten können", erzählt Greve. "Das haben wir, wie es jeder mitbekommen hat, ja leider nicht geschafft am letzten Spieltag. Aber ich bin auch gern bereit, den Aufbau hier wieder mit anzunehmen."
Greve blieb also. "Das ist schon eine große Ehre, hier als Trainer arbeiten zu dürfen, auch wenn es jetzt, in Anführungsstrichen, nur die zweite Liga ist. Es ist einfach eine tolle Aufgabe."
Ortswechsel: im ersten Hotel der Stadt. Karl Höver war zwölf, als er Mitglied des VfL wurde. Dreischang, der Mann aus Mecklenburg, war sein Sport- und Biologielehrer. Die Spieler der ersten Meisterschaften Idole. Höver war ebenfalls Trainer, hat die Geschäftsstelle geleitet, war Spielbeobachter im Ostblock, ist Mitglied beziehungsweise Vorstandsmitglied im Freundeskreis Blau-Weiß, den Vereinsfarben, und ist inzwischen 67 Jahre alt.
Der VfL ist Teil von Hövers Leben. Das Personen-, das Personalkarussell hat er daher mitbekommen. Personen, die von Außen kamen, sich versuchen wollten und scheiterten.

Handball kommt vom Dorf

"Die Fluktuation insbesondere in der Betriebsgesellschaft, in der Handball GmbH in den Jahrzehnten war schon recht hoch", meint Höver, "und wir hatten in den Jahren eigentlich alle Arten von Geschäftsführern hier in Gummersbach vertreten. Wir haben Geschäftsführer gehabt, die eigentlich von ihrer Ausbildung her den Job sehr gut gemacht haben, sind aber dann trotzdem irgendwann auf Grund dieser kleinstädtischen oder dörflichen Streitigkeiten und Zänkereien irgendwann von uns weggegangen. Es ist halt vielleicht auch kein einfaches Pflaster in Gummersbach. Sie wissen selber sicherlich, der Handball, der Bundesliga-Handball, Hallenhandball kommt vom Dorf, Großwallstadt ist ein Dorf, Schutterwald ist ein Dorf, Hochdorf oder Leutershausen oder wohin wir blicken, das sind alles früher Dorfvereine gewesen, die dann in die Bundesliga hochgekommen sind und es hat dort auch ein Wandel stattgefunden. Heute haben wir eigentlich an der Spitze der Handball-Bundesliga die Großstädte: Kiel ist kein Dorf, Hamburg auch nicht, Berlin schon mal gar nicht, Magdeburg war schon eine Nummer größer, die haben sich dann irgendwo gehalten. Aber bei den Dorfvereinen ist dann der Anschluss irgendwo verpasst worden."
Der SC Magdeburg sowie der SC DHfK Leipzig sind alte DDR-Struktur, zigmal Meister beide. Die Füchse Berlin, die Reinickendorfer Füchse, waren nichts anderes als ein Stadtteilverein. Der THW? Turnverein Hassee-Winterbeck, das Kiel kam später. Flensburg? SG Weiche-Handewitt. Ansonsten hat Höver Recht. Gummersbach war der Größte unter den Dorfvereinen.
"Wir versuchen jetzt einfach, das Gute aus der Vergangenheit, nämlich insbesondere die Marke VfL Gummersbach gesamthaft zu reanimieren", sagt Höver. "Das darf dann nicht ausschließlich vom Tabellenstand der Bundesliga abhängen. Die Tradition schießt keine Tore, hat Christoph Schindler, der Geschäftsführer der GmbH, jetzt monatelang zitiert. Mal schauen, wohin das noch geht, wohin das noch führt."

Große Zeiten liegen in der Vergangenheit

Noch ein Mal ein Ortswechsel. Hamburg. Alexander Bommes, 43, war auch beim VfL:
"Von 2001 bis 2003 war ich Spieler beim VfL. Ich kam aus Dormagen, Trainer war Thomas Happe, der wurde dann im Frühjahr 2002 entlassen, dann kam Petre Ivanescu, rettete uns vor dem Abstieg. Dann habe ich noch ein Jahr mit Sead Hasanefendić verbringen dürfen, der dann neu verpflichtet kam zur Saison 2002/2003."
Bommes, der Kieler, ist Sportreporter und Moderator im Ersten und beim NDR.
"Das war die Zeit noch mit Stefan Hecker, Gott hab´ ihn selig, im Tor", erzählt Bommes. "Das hat mich ganz stark getroffen, die Nachricht von seinem Tod, dann unser Mannschaftskapitän war François-Xavier Houlet, genannt Sousou. Es spielte damals, das war natürlich die größte Ehre, Kyung-shin Yoon, einer der besten Handballer aller Zeiten."
In der Nachbetrachtung sei es gleichwohl Interessant, aber auch schmerzhaft zu sehen, dass er exakt damals auch in eine Art Falle gelaufen ist, erzählt Bommes. Das sei ähnlich wie bei den Fußballern, die in den vergangenen Jahren zum Hamburger Sportverein gekommen sind. "Die haben von Tradition gesprochen, von großen Namen, von Potenzial, und genau das hat mich damals als 25-Jähriger extrem gereizt. Das ist doch der große VfL, aber der große VfL war damals schon ein ganz kleiner VfL."
Es sei immer die Atmosphäre und es sollte werden wie früher. Doch was geschah?
"Da wurde dann hier übereinander geredet statt miteinander", berichtet Bommes. "Dann gab es keine Kohle, ganz handfest. Dadurch wurden Spieler unzufrieden und so zieht sich so etwas natürlich die ganze Zeit durch einen Verein. So wird Leistung irgendwann verunmöglicht."

Vielleicht gelingt es nochmal

Die kleinstädtische Kultur lässt Bommes nicht gelten:
"Es sind immer wir Menschen, die darüber bestimmen, wie wir in bestimmten Strukturen uns aufstellen – und wie wir sie bestmöglich nutzen. Und so eine kleinstädtische Struktur mit einem Dorfkern, mit den besten Freunden aus der Mannschaft, mit Tino und Nico, das sind die beiden Wirte da, die maßgeblichen, das kann eine unglaubliche Identifikation hervorrufen: Du bist der VfL, Du bist auf jeden Fall die Mannschaft, an der sich wirklich die ganze kleine Kreisstadt orientiert. Das ist per se erstmal super. In dem Moment, wo aber aus den eben genannten Gründen kein Erfolg da ist, dann sind es immer gerne die Leute, die verlagern und sagen, na gut, aber hier kannst du auch nicht, weil hier redet Dir jeder rein, hier hast du auch die ganzen Alten, die nur noch von Damals erzählen, das habe ich schon tausendmal gehört. Da gibt es nur eine Antwort, aber wer seid ihr denn, dass ihr euch davon irgendwie beeinflussen lasst."
Bommes hat mit dem jetzigen Trainer zusammengespielt und er hat mit dem Geschäftsführer zusammengespielt.
"Die Frage ist aber natürlich, in was für ein System gehe ich rein, und schaufele ich mir da möglicher weise mein eigenes Grab. Das formuliere ich wirklich komplett offen. Ich hoffe natürlich nicht für die beiden, dass das in Gummersbach der Fall ist. Ich kann die finanzielle Situation nicht beurteilen, ich kann nur hoffen, dass die beiden, die sich da viele Gedanken drüber gemacht haben, dann natürlich auch mit dem, was sie in sich tragen, belohnt werden."
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