Verzweifelte Suche nach Verständigung
Die Ich-Erzählerin in Maria Barbals Roman "Inneres Land" führt keine Anklage gegen ihre Mutter. Ihr Suchen nach einem Dialog ist vielmehr der Versuch, in das verschlossene Terrain der Gefühlswelt der Mutter vorzudringen. Diese war schon früh traumatisiert durch die Hinrichtung ihres Vaters durch die Franco-Truppen. Maria Barbals erzählt so durch das familiäre Drama von der düstersten Zeit Spaniens.
Es gibt diese Abrechnungstexte, in denen Kinder ihren Eltern den ganzen Schutt ihrer deformierten Persönlichkeiten vor die Füße werfen. Es sind Anklagen, die Wert auf die Wucht des Befreiungsschlags legen und nicht auf die Möglichkeiten einer Verständigung, kaum anderes als Straf- und Vernichtungstexte.
Maria Barbals Ich-Erzählerin ist dieser Gestus des Anklagens nicht völlig fremd. Die emotionalen Schmerzen und Verletzungen, die ihre Mutter ihr zugefügt hat, scheinen im Text episodisch immer wieder auf. Da kommt eine Schroffheit im täglichen Miteinander zur Sprache, die sich nicht selten in derb-vulgäre Sprüche kleidet. Momente der Gemeinschaftlichkeit, der familiären Wärme, werden zerstört, weil eine manische Betriebsamkeit beim Bewirtschaften des Haushalts solche Momente kaum aufkommen lässt. Strengste moralische Grundsätze verriegeln den Zugang zum vertraulichen Austausch über Fragen der Sexualität.
Und doch steht nicht die Abrechnung im Zentrum dieses Romans. Die Ich-Erzählerin sucht gleichsam den Dialog mit ihrer Mutter. Jenes "du", mit dem sie sie über den gesamten Text hinweg anspricht, suggeriert ein Gesprächsangebot, das freilich fiktiv bleibt, denn ein Finale der Aussöhnung, des emotionalen Zueinanderfindens findet nicht statt.
"Inneres Land", so nennt die Tochter die unzugängliche Gefühlswelt ihrer Mutter. Die geographische Metapher gibt dem Text die Richtung vor: Er beschreibt in detaillierter und hochsensibler Form, äußerlich fest gemacht an der Biographie der Ich-Erzählerin, eine Erkundungsreise in kompliziertes Terrain, vorsichtig tastend, suchend und aufnahmebereit, nicht (ver)urteilend. Die so entstehende Kartographie hat ein klares Zentrum.
Es ist das traumatische Ereignis, das das Leben der Mutter in ihrer Jugend geprägt hat. Ihr Vater, ein linker Republikaner, wurde 1938 beim Einmarsch der Franco-Truppen in Katalonien verhaftet, abtransportiert und irgendwo erschossen. Seine Familie kam in ein Lager, wurde dann aber entlassen und kehrte zurück ins heimatliche Pyrenäendorf. Denunziation und Verrat waren die Vorgeschichte dieses Ereignisses, Schweigen und Abweisung, das Gefühl, aussätzig zu sein und schwierige Lebensbedingungen waren seine Nachwirkungen.
Die Tochter erfährt früh von diesen Umständen im Leben ihrer Mutter, ihr eigener Lebensweg - von den 60er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart - führt sie immer wieder an die Abgründe, deren Überwindung zur Chronik einer zweifachen Emanzipation wird: von einer dominanten Mutter und von einem autoritären Regime, das diese Mutter zu einem Monster machte. Im konsequenten und feinnervigen Zusammenführen der größten familiären Privatheit und einer breiten gesellschaftlichen Umwälzung liegt die beachtliche literarische Leistung dieses Romans.
Zur Autorin
Maria Barbal wurde 1949 in einem Dorf in den katalanischen Pyrenäen geboren und lebt heute in Barcelona. Mit ihrem Debütband "Wie ein Stein im Geröll" (dt. 2007) erregte sie viel Aufmerksamkeit, der Roman "Inneres Land" schreibt diesen Erfolg fort - die Originalausgabe hat bereits die siebente Auflage erreicht.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Maria Barbal: Inneres Land
Roman. Aus dem Katalanischen von Heike Nottebaum
Transit Buchverlag, Berlin 2008
400 Seiten. 19,80 Euro
Maria Barbals Ich-Erzählerin ist dieser Gestus des Anklagens nicht völlig fremd. Die emotionalen Schmerzen und Verletzungen, die ihre Mutter ihr zugefügt hat, scheinen im Text episodisch immer wieder auf. Da kommt eine Schroffheit im täglichen Miteinander zur Sprache, die sich nicht selten in derb-vulgäre Sprüche kleidet. Momente der Gemeinschaftlichkeit, der familiären Wärme, werden zerstört, weil eine manische Betriebsamkeit beim Bewirtschaften des Haushalts solche Momente kaum aufkommen lässt. Strengste moralische Grundsätze verriegeln den Zugang zum vertraulichen Austausch über Fragen der Sexualität.
Und doch steht nicht die Abrechnung im Zentrum dieses Romans. Die Ich-Erzählerin sucht gleichsam den Dialog mit ihrer Mutter. Jenes "du", mit dem sie sie über den gesamten Text hinweg anspricht, suggeriert ein Gesprächsangebot, das freilich fiktiv bleibt, denn ein Finale der Aussöhnung, des emotionalen Zueinanderfindens findet nicht statt.
"Inneres Land", so nennt die Tochter die unzugängliche Gefühlswelt ihrer Mutter. Die geographische Metapher gibt dem Text die Richtung vor: Er beschreibt in detaillierter und hochsensibler Form, äußerlich fest gemacht an der Biographie der Ich-Erzählerin, eine Erkundungsreise in kompliziertes Terrain, vorsichtig tastend, suchend und aufnahmebereit, nicht (ver)urteilend. Die so entstehende Kartographie hat ein klares Zentrum.
Es ist das traumatische Ereignis, das das Leben der Mutter in ihrer Jugend geprägt hat. Ihr Vater, ein linker Republikaner, wurde 1938 beim Einmarsch der Franco-Truppen in Katalonien verhaftet, abtransportiert und irgendwo erschossen. Seine Familie kam in ein Lager, wurde dann aber entlassen und kehrte zurück ins heimatliche Pyrenäendorf. Denunziation und Verrat waren die Vorgeschichte dieses Ereignisses, Schweigen und Abweisung, das Gefühl, aussätzig zu sein und schwierige Lebensbedingungen waren seine Nachwirkungen.
Die Tochter erfährt früh von diesen Umständen im Leben ihrer Mutter, ihr eigener Lebensweg - von den 60er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart - führt sie immer wieder an die Abgründe, deren Überwindung zur Chronik einer zweifachen Emanzipation wird: von einer dominanten Mutter und von einem autoritären Regime, das diese Mutter zu einem Monster machte. Im konsequenten und feinnervigen Zusammenführen der größten familiären Privatheit und einer breiten gesellschaftlichen Umwälzung liegt die beachtliche literarische Leistung dieses Romans.
Zur Autorin
Maria Barbal wurde 1949 in einem Dorf in den katalanischen Pyrenäen geboren und lebt heute in Barcelona. Mit ihrem Debütband "Wie ein Stein im Geröll" (dt. 2007) erregte sie viel Aufmerksamkeit, der Roman "Inneres Land" schreibt diesen Erfolg fort - die Originalausgabe hat bereits die siebente Auflage erreicht.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Maria Barbal: Inneres Land
Roman. Aus dem Katalanischen von Heike Nottebaum
Transit Buchverlag, Berlin 2008
400 Seiten. 19,80 Euro