Verzögerte Erregung
Bayer baut diese Pipeline derzeit unterirdisch zwischen seinen Werken Dormagen und Krefeld. Die Leitung wird am Ende 67 Kilometer lang sein. Durch sie soll Kohlenmonoxid zur Kunststoffherstellung nach Krefeld geliefert werden.
Die Pipeline wurde nach einem 2004 begonnenen öffentlichen Verfahren genehmigt. Das dafür nötige Enteignungsgesetz sichert Bayer in der Bauphase Wegerechte durch private Grundstücke. Doch erst seit Frühsommer 2007 gibt es Proteste aus der Bevölkerung: zwölf Privatklagen sowie Sicherheits- und Rechtsgutachten gegen die Pipeline.
Baustelle
Dem Mann auf dem roten Bagger macht seine Arbeit sichtlich Freude. Gefühlvoll lässt er die große Schaufel im fetten Ackerboden graben. Die Hubbelrather Hügel vor den Toren Düsseldorfs sind nur einer von vielen Standorten im Kreis Mettmann, an denen Bayer seine umstrittene CO-Pipeline bauen lässt. 67 Kilometer soll sie am Ende lang sein, den Rhein zweimal unterqueren und die beiden konzerneigenen Werke in Dormagen und Krefeld-Uerdingen miteinander verbinden. Bayer braucht die Pipeline, um Kohlenmonoxid vom einen Standort an den anderen zu leiten – das hochgiftige Gas ist ein wichtiger Bestandteil für die Kunststoffproduktion in Uerdingen.
Baustelle
Schmal, aber tief ist die lange Furche, in der die Rohre versenkt werden. Ein paar Zentimeter über dem Boden sind sie aufgebockt: schwarz ummantelter Stahl, 25 Zentimeter Durchmesser. Im Erdreich daneben viele Fußabdrücke. Immer wieder muss sich Bauleiter Manfred Blum mit Spaziergängern auseinandersetzen. Die meisten von ihnen erweisen sich als besorgte Anwohner.
Blum: „Ja, sie gucken sich das an, und manche fragen, ob das jetzt die Leitung ist hier? Ja, und da gibt man Auskunft, so weit, wie wir können, und das war’s dann, ja? Sie sehen manchmal an der Reaktion von den Leuten, wie sie reagieren, aber wir haben ja hier die Freigabe, und dann wird eben weiter gemacht.“
Ginge es nach den Leuten im Kreis Mettmann, dürfte Bayer nicht weiter machen mit dem Bau der Leitung. 67.000 Unterschriften haben Bürger-Initiativen bislang gegen das Projekt gesammelt, das bei ihnen unter dem Titel „Giftgas-Pipeline“ firmiert. Kohlenmonoxid – farb-, geruch- und geschmacklos – ist ein schleichendes Gift, lebensgefährlich. Wer zuviel davon einatmet, erstickt. Außerdem ist es hochentzündlich. Und dieser Stoff soll nun also durch dicht besiedeltes Gebiet geleitet werden. In der Region machen sie mobil.
Straße
Die Stadt Monheim begrüßt ihre Gäste am Ortseingang mit dem freundlichen Hinweisschild „Willkommen in der Todeszone!“. Bürgermeister Thomas Dünchheim hat sich an die Spitze der Bewegung gegen die CO-Pipeline gesetzt. Er fühlt sich für 44.000 Einwohner verantwortlich – und hat genau ausrechnen lassen, was ihnen droht, würde die Rohrleitung beschädigt.
Dünchheim: „Ein Loch von vier Millimetern hieße in Monheim, dass 270 Menschen betroffen, und betroffen heißt dann: tot und nicht mehr lebendig wären, geborgen werden müssten und nicht mehr gerettet werden könnten. Die Kalkulation bei 20 Millimetern lautet ungefähr 5000, 6000 betroffene Monheimer Bürger, und der Vollbruch entlang der Pipeline in diesem – ich hab’s mal bezeichnet als Gefahrenzone oder Todeszone – heißt, dass 29.464 Menschen ihr Leben ließen, wenn die Fremdeinwirkung entsprechend da wäre.“
Muhr: „Neulich war ein Leserbrief in der Zeitung, da sagte die Frau: Ich würd’ mich als Terrorist kaputt lachen. Ich kriege das Gas, was ich brauche, um die Menschen umzubringen, direkt frei Haus geliefert, da steht ja überall dran, wo die Leitung liegt in 1,40 Meter Tiefe. Da hat ein normaler Mensch in zwei Stunden ein Loch gebuddelt bis da ran und setzt dann an verschiedenen Stellen hier im Kreis Mettmann Bomben rein, und die werden dann zu einem bestimmten Zeitpunkt nachts über Handy gezündet – dann kann man sich die Katastrophe schon vorstellen.“
Heinz-Josef Muhr ist nur einer von Vielen, die mit dem Schlimmsten rechnen. Seit Monaten kämpft der 73-jährige Landwirt gegen das Bayer-Projekt. Die Pipeline läuft durch einen Teil seines 120 Hektar großen Anwesens. Dafür hat Bayer ihn entschädigt – allerdings war die Summe nicht sehr hoch.
Muhr: „Dann krieg’ ich hier so ein paar Almosen dafür. Das ist so ähnlich, als wenn ich mir ’nen dicken Hammer nehme und demolier das Auto oder die Privatkutsche von dem Regierungspräsident – und sag’: Hier haste 20 Euro, Auto fährt ja noch, ist zwar nicht mehr so schön, aber Du kannst damit fahren.“
Der Düsseldorfer Regierungspräsident, Jürgen Büssow, ist ein Sozialdemokrat mit gewerkschaftlichen Wurzeln und offenkundig wenig Verständnis für die Ängste vor der CO-Pipeline. Er ist schnell zum Buhmann geworden. Im Fernsehen hat er erklärt, die unterirdische Gas-Leitung sei so sicher wie ein Atomkraftwerk. Er wollte die Menschen beruhigen – und hat das Gegenteil erreicht. Bayer ist ein Industrie-Gigant. Was dem Konzern nutzt, kann der Region nicht schaden, findet der Regierungspräsident.
Büssow: „Wir stehen hier natürlich industriepolitisch auch mit dem Rücken an der Wand. Das ist ja vielleicht bemerkt worden: Wir leben schon auch in einer globalisierten Welt, und die Unternehmen, die hier produzieren – wir können ja auch froh sein, dass sie noch hier produzieren – produzieren zu Wettbewerbsbedingungen. Und sie werden sich natürlich genau durchrechnen: Wie teuer sind Standortkosten? Und wenn Standortkosten zu groß werden, kann ich mir aus Sicht der Betriebe vorstellen, dass sie dann überlegen, wie lange sie noch hier sind. Und ich hab’ die Politik der Landesregierung so verstanden – dieser wie jeder Landesregierung – dass wir auch ein Industriestandort bleiben wollen.“
Auch Bayer argumentiert mit Arbeitsplätzen – im Guten wie im Schlechten. Mit der Pipeline werde der Standort NRW strukturell gestärkt, verspricht der zuständige Projektleiter Werner Breuer – ohne sie drohe über kurz oder lang eine Verlagerung wichtiger Produktionsstandorte.
Breuer: „Wenn es mit dem Projekt nicht klappt, ist es natürlich dann immer eine Frage, wie weit man dann eigentlich alles das, was man an weiteren Weiterungen, Ausbauten oder weiterer Produktentwicklung vorhat – wie weit man das dann eben halt unter den Bedingungen, die sonst so im europäischen und ausländischen Raum da sind, weiter verfolgen kann. Muss man prüfen dabei.“
Wie viele Arbeitsplätze gesichert, gar geschaffen und wie viele gestrichen werden könnten, sagt Breuer nicht. Selten erwähnt er, dass Bayer jahrelang eine CO-Pipeline betrieben hat – zwischen Dormagen und Leverkusen. Störungslos und unbeachtet. Häufig wiederholt er ein Versprechen, das ihm zum Mantra geworden ist in den letzten Monaten.
Breuer: „Die Pipeline ist sicher. Wir tun alles dafür, um ein absolutes Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten für die Pipeline.“
Dafür kann der Bayer-Mann gute Argumente liefern: Vor allem die übererfüllten Sicherheitsstandards. Die Pipeline verläuft 1,40 Meter unter der Erde – gesetzlich vorgeschrieben ist ein Meter; die Leitung ist auf einen Druck von hundert bar ausgelegt – betrieben wird sie bei knapp fünfzehn bar. Das Leckagen-Erkennungssystem ist auf dem neuesten Stand. Bloß wollen die Leute im Kreis Mettmann all das gar nicht hören. Wenn das Giftgas sie nicht schreckt, sollen die von Bayer doch selbst neben die Leitung ziehen. So ist die Stimmung. Und Werner Breuer ist ihr hilflos ausgeliefert. Möglich, dass mehr Offenheit in einer früheren Phase dem Konzern einiges erspart hätte. Jetzt ist es zu spät. Macht Bayer Zugeständnisse, wird es als Schuldeingeständnis gewertet. Macht Bayer keine Zugeständnisse, bestätigt der Konzern, nur auf Profit aus zu sein. Projektleiter Breuer steckt in einem Dilemma. Etwas hölzern lädt er zu einem „vernünftigen Dialog“ ein.
Breuer: „Wir wollen eigentlich ganz deutlich den Bürgern mitteilen: Wir verstehen die Bedenken. Und das ist eigentlich das, was wir aufnehmen möchten, auch mitteilen: Dass wir verstehen, welche Bedenken die Bürger haben, und wir versuchen dann eigentlich auch, den Bürgern eigentlich mit unseren Argumenten die Ängste zu nehmen, zu sagen das, was wir vorhaben und wie wir’s umsetzen möchten. Das ist ganz wichtig dabei. Und dann müssen wir sehen dabei, in wie weit wir das eben auch in eine sachliche Diskussion ’reinbringen können, und das ist die Frage dabei.“
Anmoderation Stadtgespräch: „Willkommen zum WDR-Stadtgespräch aus der Stadthalle Langenfeld! Es sind hunderte Bürgerinnen und Bürger gekommen. Sie haben Fragen, und Sie machen Ihrem Ärger Luft. Ihr Thema ist auch unseres heute: Gefahr vor der Haustür? Bürgerprotest gegen die Bayer-Pipeline. Mein Name ist Andrea Benstein – und im Publikum begrüßt Sie Hakan Ekemen. Guten Abend! Schönen guten Abend!“
So animiert man Menschen zur Diskussion. Beim WDR-Stadtgespräch ist die Stadthalle in Langenfeld bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gegner des Projekts sind deutlich in der Überzahl.
Frau: „Ich wohne nicht direkt in dem Bereich, aber unsere Kinder haben da gebaut, und die sind schon beeinträchtigt, wenn durch Neusteffenhofen die Leitung gelegt würde.“
Mann: „Ich wohne circa zwei Kilometer von der Leitung weg, und ich habe einfach vermisst, dass die Städte da rechtzeitig gegen opponiert haben.“
Frau: „Mein Grundstück ist 30 Meter von der Pipeline entfernt, und ich sehe Tag und Nacht auf diese Leitung. Wir haben kleine Kinder im Haus, und ich weiß nicht, ob ich die Kinder überhaupt noch im Garten spielen lassen kann. Kinder, die ein Recht darauf haben, ohne Angst und Schrecken aufwachsen zu können. Da wird einem so eine Pipeline vor die Nase gesetzt. Ich kann nicht mehr.“
Gegen solche Emotionen ist schlecht anargumentieren. Jens Baganz, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium, versucht es trotzdem.
Baganz: „Es ist ja nicht die erste Pipeline, die in Deutschland gebaut wird, davon haben wir ja noch ein paar mehr. Bayer hat diesen Antrag gestellt auf Planfeststellung, und dann hat es ein jahrelanges Verfahren gegeben. Das ist ja nicht von heute auf morgen gestartet worden, das ist 2004 gestartet worden, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.“
Der Staatssekretär erinnert sich richtig. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Pipeline-Streits, dass er erst in diesem Frühjahr ausgebrochen ist. Vorher gab es ein Raumordnungs-, ein Planfeststellungs- und ein Genehmigungsverfahren – alles öffentlich und jedermann zugänglich. Wer wollte, konnte wissen. Der Landtag beschloss – einstimmig und ohne Beratung – ein Enteignungsgesetz, das Bayer in der Bauphase Wegerechte auf privatem Grund sichert. Die Politiker sagten ja, die Bürger nicht nein, die Bürgermeister blieben stumm. Erst als die Bagger kamen und erster Protest sich regte, schwangen sie sich zu Stadtvätern auf, bereit, ihre Bürgerfamilie zu beschützen – gegen wen auch immer, und seien es die eigenen Parteifreunde in der CDU-geführten Landesregierung.
Stähler: „Ich hab’ zwar das CDU-Parteibuch, aber ich heiße ja in meiner Funktion „Bürgermeister“ – und das impliziert automatisch, daß ich mich um die Interessen der Bürgerschaft zu kümmern habe und nicht um die Parteiinteressen in diesen Fällen. Und insofern ist es für mich ganz klar, dass ich hier vor Ort, bei meiner Bürgerschaft bin und die Sorgen und Ängste sehr, sehr ernst nehme. Und wir versuchen, die Dinge im Dialog mit den entsprechenden Oberbehörden, Ministerien aufzuklären und hoffentlich einer guten Lösung zuzuführen.“
Sagt Magnus Stähler, Bürgermeister in Langenfeld. Wie seinen Kollegen im Kreis Mettmann, behauptet er, war auch ihm lange nicht bewusst, dass Kohlenmonoxid gefährlich sein kann. Die Moderatorin erteilt Nachhilfeunterricht.
Moderatorin: „Hatten Sie in der siebten Klasse Chemie?“
Stähler: „Wie bitte?“
Moderatorin: „Hatten Sie in der siebten Klasse Chemie?“
Stähler: „Ob’s in der siebten war, das kann ich jetzt nicht mehr beurteilen, es könnte auch die achten gewesen sein.“
Moderation: „Also, in der siebten Klasse ist es so, dass CO ein Thema ist. Das heißt, es wird schon darüber gesprochen, wie gefährlich das ist, das wird den Schülern beigebracht.“
Die Lacher hat sie trotzdem nicht auf ihrer Seite. Keiner hier möchte sich belehren lassen – aber der ganze Saal hängt an den Lippen eines Arztes und des Kreisbrandmeisters. Der eine erklärt, wie schlecht die Krankenhäuser in der Region auf einen CO-Unfall vorbereitet sind, der andere, dass die Feuerwehr im gleichen Fall überfordert wäre. Das hat sich das Publikum schon gedacht. Empörung brandet auf. Immer wieder. Einsam macht einer im Publikum sich ausdrücklich für die Pipeline stark.
Betriebsratsvorsitzender: „Also, ich bin kein Gegner der Pipeline und muss auch ganz ehrlich sagen: Ich bin erschrocken. Ich bin im übrigen der Konzernbetriebsratsvorsitzende bei Bayer und – ja, ich wusste, dass da oder Gelächter oder Buhrufe kommen, war mir schon klar. Eigentlich müssten wir uns darüber unterhalten, dass die ganzen Chemie-Produktionen in Uerdingen, Dormagen, Leverkusen alle abgebaut werden und entfernt werden. Das Leben ist nicht ohne Risiken, und jetzt müssen wir doch dafür sorgen, dass die Risiken minimiert werden. Und deshalb bin ich da etwas erstaunt über diese Diskussion.“
Baganz: „Diese beiden Dinge: vertrauensbildende Maßnahmen vor Ort und im übrigen Abwarten der Prozesse – das ist, glaube ich, das, was jetzt, in den nächsten Monaten und wahrscheinlich auch Jahren geschehen wird.“
Das Schlusswort von Jens Baganz. Der Staatssekretär würde gern Frieden an der CO-Front stiften. Draußen vor der Tür zeigt sich noch einmal, wie aussichtslos dies Unterfangen ist. An der Bar im Foyer sind ein paar Gewerkschafter aus der Chemie-Industrie im Clinch mit einem älteren Ehepaar aus dem gehobenen Bürgertum.
Streit an der Bar: „Warum bauen Sie denn da nicht?! – Mir wird angst und bange um den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen, wenn ich so was höre, ja, da wird mir angst und bange. – Ja, ja, jetzt kommt gleich der Weihnachtsmann. Es wird nur noch gemacht, was Bayer will. – Das sind 80 Prozent im öffentlichen Dienst, die hier protestieren. – Ja, mir geht’s doch nur um die Sicherheit. – Hier geht’s nur noch um Geld, und sonst nichts! – Sie vergessen eins hier: Es geht hier um Sicherheit – das ist das erste, und der Wert einer Immobilie.“
Die einen machen sich Sorgen um Leib und Leben – und um ihre Eigenheime, deren Wert kleiner wird, je größer ihre Nähe zur CO-Pipeline ist. Die anderen sorgen sich um Arbeitsplätze in der Region.
Streit an der Bar: „Nicht nur Bayer guckt da genau hin. Es gibt viele andere große Firmen, die ebenfalls ganz genau gucken, was da passiert. Die sagen: Wenn wir keine Planungssicherheit mehr in Deutschland haben, dann müssen wir uns andere Länder angucken. Und ich möchte mal wissen, wie Ihre Enkelkinder vielleicht auch mal darüber denken, denn die möchten ja auch mal irgendwann einen Job haben. Wenn Sie sich mal angucken, was von der chemischen Industrie alles abhängt: Der Boden, die Schuhe… – Mich interessiert das nicht, ich hab’ keine Kinder, tut mir leid, da kann ich nicht mitreden.“
Nicht mitgeredet haben zunächst auch die Politiker in Nordrhein-Westfalen. Die haben gepennt, sagen abschätzig betroffene Bürger. Inzwischen sind sie aufgewacht. Spät aber gründlich haben viele begriffen: Wer gegen die Pipeline ist, darf auf Sympathien, vielleicht auf Wähler hoffen. So erklärt sich, dass Wirtschaftsministerin und Wissenschaftsminister sich eine Weile gegenseitig die fachliche Zuständigkeit für das Bayer-Projekt zugeschoben haben. Auch die Opposition will Schwarzer Peter spielen, mit der Regierung. Als die Proteste im Sommer die überregionalen Zeitungen und Rundfunkstationen erreichten, war Hannelore Kraft, Frontfrau der SPD im Land, als eine der ersten zur Stelle.
Kraft: „Wir haben hier ’ne Entscheidung im Landtag getroffen, ohne dass es ’ne breite Diskussion gab, das ist hier durchgelaufen. Aber wir müssen natürlich jetzt sehen, wie die Situation ist. Ich nehme die Befürchtungen der Bevölkerung da sehr ernst, und ich glaub’, da muss man genau hinschauen. Ich bin gespannt, wie die Regierung damit umgehen wird.“
Dabei haben im Landtag nicht nur alle Parteien ja gesagt zum Enteignungsgesetz für die CO-Pipeline – das Projekt war noch unter rot-grüner Regierungsverantwortung überhaupt auf den Weg gebracht worden. Da fällt es schwer, Gründe zu finden, nachträglich nun doch dagegen zu sein. Die Grünen haben es, wie die SPD, zunächst mit der Forderung nach einem vorübergehenden Baustopp versucht. Kürzlich brachten sie ein Gesetz ein, mit dem das Enteignungsgesetz – im Sprachgebrauch der Kritiker: lex Bayer – zurückgenommen werden soll. Auch im Düsseldorfer Parlament ging es rasch hoch her.
Remmel: „Eine umfassende rechtliche Prüfung hat für uns ergeben, dass das vom Landtag 2006 beschlossene Gesetz für den Bau der Rohrleitung nicht verfassungsgemäß ist. Die Bayer-CO-Pipeline dient ausschließlich wirtschaftlichen Interessen des Konzerns und nicht dem Allgemeinwohl,“
AUT begründete Johannes Remmel von den Grünen die Volte seiner Partei. Und rief damit prompt die Christdemokraten auf den Plan.
„Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Droste?“
Remmel: „Sehr gern. – Bitte, Herr Droste.“
Droste: „Dies Gesetz ist im Jahre 2006 einstimmig verabschiedet worden, und ich hoffe, dass Sie das Zugeständnis machen, dass Sie – da Sie ja mit gestimmt haben zu diesem Gesetz – offensichtlich einen Fehler einräumen, den Sie jetzt wieder gut machen wollen.“
Remmel: „Ich hatte das, glaube ich, eben erwähnt, dass wir an der Gesetzgebung seinerzeit beteiligt waren. Wir haben damals gemeinsam dieses Gesetz auf den Weg gebracht, insofern haben wir heute auch ’ne gemeinsame Verantwortung zu überprüfen: War das richtig? Wir kommen zu dem Ergebnis, es hatte offensichtlich Fehler.“
Weshalb bitte schön auch die anderen Parteien sich nunmehr gegen das Gesetz wenden sollen. Lutz Lienenkämper von der CDU lehnte umgehend ab.
Lienenkämper: „Wir sollen an der politischen Willensbildung der Bevölkerung mitwirken, meine Damen und Herren, das heißt nicht, dass wir dem gebildeten Willen des Volkes in jedem Fall hinterherlaufen. Kollege Remmel, bei Ihrem Antrag hab’ ich das Gefühl gehabt, ein Stück weit versuchen Sie das heute.“
Wieder ein Zwischenruf – diesmal von der grünen Fraktionsvorsitzenden:
Lienenkämper: " Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Löhrmann? – Aber selbstverständlich. – Damit hatte ich gerechnet, Herr Kollege. – Bitte schön, Frau Löhrmann. – Es gibt einen schönen Spruch: Wer a sagt, muß nicht b sagen, er kann auch erkennen, dass a falsch war. Wie bewerten Sie diese Aussage im Zusammenhang der jetzigen Diskussion? – Frau Kollegin Löhrmann, diese Frage beantworte ich ganz eindeutig mit einem b. Wir sagen b, nachdem wir a gesagt haben, weil a nicht erkennbar – zum jetzigen Zeitpunkt – falsch ist.“
So sieht das auch die Rechtsprechung. Bisher jedenfalls. In ersten Urteilen hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf Klagen von Pipeline-Gegnern abgelehnt. Der Planfeststellungsbeschluss wurde bestätigt, die rechtlichen und technischen Vorgaben seien erfüllt.
Aber der Weg durch die Instanzen ist lang. Er kann bis vors Bundesverfassungsgericht führen. Die Pipeline-Gegner lassen sich noch lange nicht entmutigen. Auch wenn gleich neben ihrer Mahnwache vor dem Landtag Bayer mit einer Charme-Offensive, mit CO-haltigen Produkten (vom Fußball bis zur nadellosen Spritze) und mit Video-Filmen für die Gasleitung wirbt.
Bayer-Werbung:
" Also, das ist kein Ofenrohr, was wir da verbauen. – Ja, aber ich war im Krieg, ich hab’ furchtbare Dinge miterlebt. Und jetzt kommt so etwas wieder, ich hab’ Enkel und Kinder und so weiter. – Was heißt denn ‚so etwas’? – Wo so viel Menschen wohnen, wissen Sie, das ist mein Problem. Wenn Sie das woanders gebaut hätten oder gemacht hätten, in Wäldern oder irgendwo, in der Sahara, wo keine Menschen sind. – Ja, und weil hier eben so viele Menschen wohnen, bauen wir das Ding so sicher, wie’s irgend geht. Das ist die sicherste Pipeline, die’s in Deutschland gibt.“
In der Nachbarschaft zum Bayer-Zelt nehmen Demonstranten derweil ein zwei Meter großes Skelett aus Sperrholz auseinander.
Morgen schon wird das an Tod und Siechtum gemahnende Skelett erneut Verwendung finden. Dann bauen es die Pipeline-Gegner wieder in Düsseldorf zusammen. Zum bisher größten Protestzug haben sich viele tausend Demonstranten angemeldet, außerdem Johannes Remmel von den Grünen und eine Samba-Gruppe aus Hilden.
Baustelle
Dem Mann auf dem roten Bagger macht seine Arbeit sichtlich Freude. Gefühlvoll lässt er die große Schaufel im fetten Ackerboden graben. Die Hubbelrather Hügel vor den Toren Düsseldorfs sind nur einer von vielen Standorten im Kreis Mettmann, an denen Bayer seine umstrittene CO-Pipeline bauen lässt. 67 Kilometer soll sie am Ende lang sein, den Rhein zweimal unterqueren und die beiden konzerneigenen Werke in Dormagen und Krefeld-Uerdingen miteinander verbinden. Bayer braucht die Pipeline, um Kohlenmonoxid vom einen Standort an den anderen zu leiten – das hochgiftige Gas ist ein wichtiger Bestandteil für die Kunststoffproduktion in Uerdingen.
Baustelle
Schmal, aber tief ist die lange Furche, in der die Rohre versenkt werden. Ein paar Zentimeter über dem Boden sind sie aufgebockt: schwarz ummantelter Stahl, 25 Zentimeter Durchmesser. Im Erdreich daneben viele Fußabdrücke. Immer wieder muss sich Bauleiter Manfred Blum mit Spaziergängern auseinandersetzen. Die meisten von ihnen erweisen sich als besorgte Anwohner.
Blum: „Ja, sie gucken sich das an, und manche fragen, ob das jetzt die Leitung ist hier? Ja, und da gibt man Auskunft, so weit, wie wir können, und das war’s dann, ja? Sie sehen manchmal an der Reaktion von den Leuten, wie sie reagieren, aber wir haben ja hier die Freigabe, und dann wird eben weiter gemacht.“
Ginge es nach den Leuten im Kreis Mettmann, dürfte Bayer nicht weiter machen mit dem Bau der Leitung. 67.000 Unterschriften haben Bürger-Initiativen bislang gegen das Projekt gesammelt, das bei ihnen unter dem Titel „Giftgas-Pipeline“ firmiert. Kohlenmonoxid – farb-, geruch- und geschmacklos – ist ein schleichendes Gift, lebensgefährlich. Wer zuviel davon einatmet, erstickt. Außerdem ist es hochentzündlich. Und dieser Stoff soll nun also durch dicht besiedeltes Gebiet geleitet werden. In der Region machen sie mobil.
Straße
Die Stadt Monheim begrüßt ihre Gäste am Ortseingang mit dem freundlichen Hinweisschild „Willkommen in der Todeszone!“. Bürgermeister Thomas Dünchheim hat sich an die Spitze der Bewegung gegen die CO-Pipeline gesetzt. Er fühlt sich für 44.000 Einwohner verantwortlich – und hat genau ausrechnen lassen, was ihnen droht, würde die Rohrleitung beschädigt.
Dünchheim: „Ein Loch von vier Millimetern hieße in Monheim, dass 270 Menschen betroffen, und betroffen heißt dann: tot und nicht mehr lebendig wären, geborgen werden müssten und nicht mehr gerettet werden könnten. Die Kalkulation bei 20 Millimetern lautet ungefähr 5000, 6000 betroffene Monheimer Bürger, und der Vollbruch entlang der Pipeline in diesem – ich hab’s mal bezeichnet als Gefahrenzone oder Todeszone – heißt, dass 29.464 Menschen ihr Leben ließen, wenn die Fremdeinwirkung entsprechend da wäre.“
Muhr: „Neulich war ein Leserbrief in der Zeitung, da sagte die Frau: Ich würd’ mich als Terrorist kaputt lachen. Ich kriege das Gas, was ich brauche, um die Menschen umzubringen, direkt frei Haus geliefert, da steht ja überall dran, wo die Leitung liegt in 1,40 Meter Tiefe. Da hat ein normaler Mensch in zwei Stunden ein Loch gebuddelt bis da ran und setzt dann an verschiedenen Stellen hier im Kreis Mettmann Bomben rein, und die werden dann zu einem bestimmten Zeitpunkt nachts über Handy gezündet – dann kann man sich die Katastrophe schon vorstellen.“
Heinz-Josef Muhr ist nur einer von Vielen, die mit dem Schlimmsten rechnen. Seit Monaten kämpft der 73-jährige Landwirt gegen das Bayer-Projekt. Die Pipeline läuft durch einen Teil seines 120 Hektar großen Anwesens. Dafür hat Bayer ihn entschädigt – allerdings war die Summe nicht sehr hoch.
Muhr: „Dann krieg’ ich hier so ein paar Almosen dafür. Das ist so ähnlich, als wenn ich mir ’nen dicken Hammer nehme und demolier das Auto oder die Privatkutsche von dem Regierungspräsident – und sag’: Hier haste 20 Euro, Auto fährt ja noch, ist zwar nicht mehr so schön, aber Du kannst damit fahren.“
Der Düsseldorfer Regierungspräsident, Jürgen Büssow, ist ein Sozialdemokrat mit gewerkschaftlichen Wurzeln und offenkundig wenig Verständnis für die Ängste vor der CO-Pipeline. Er ist schnell zum Buhmann geworden. Im Fernsehen hat er erklärt, die unterirdische Gas-Leitung sei so sicher wie ein Atomkraftwerk. Er wollte die Menschen beruhigen – und hat das Gegenteil erreicht. Bayer ist ein Industrie-Gigant. Was dem Konzern nutzt, kann der Region nicht schaden, findet der Regierungspräsident.
Büssow: „Wir stehen hier natürlich industriepolitisch auch mit dem Rücken an der Wand. Das ist ja vielleicht bemerkt worden: Wir leben schon auch in einer globalisierten Welt, und die Unternehmen, die hier produzieren – wir können ja auch froh sein, dass sie noch hier produzieren – produzieren zu Wettbewerbsbedingungen. Und sie werden sich natürlich genau durchrechnen: Wie teuer sind Standortkosten? Und wenn Standortkosten zu groß werden, kann ich mir aus Sicht der Betriebe vorstellen, dass sie dann überlegen, wie lange sie noch hier sind. Und ich hab’ die Politik der Landesregierung so verstanden – dieser wie jeder Landesregierung – dass wir auch ein Industriestandort bleiben wollen.“
Auch Bayer argumentiert mit Arbeitsplätzen – im Guten wie im Schlechten. Mit der Pipeline werde der Standort NRW strukturell gestärkt, verspricht der zuständige Projektleiter Werner Breuer – ohne sie drohe über kurz oder lang eine Verlagerung wichtiger Produktionsstandorte.
Breuer: „Wenn es mit dem Projekt nicht klappt, ist es natürlich dann immer eine Frage, wie weit man dann eigentlich alles das, was man an weiteren Weiterungen, Ausbauten oder weiterer Produktentwicklung vorhat – wie weit man das dann eben halt unter den Bedingungen, die sonst so im europäischen und ausländischen Raum da sind, weiter verfolgen kann. Muss man prüfen dabei.“
Wie viele Arbeitsplätze gesichert, gar geschaffen und wie viele gestrichen werden könnten, sagt Breuer nicht. Selten erwähnt er, dass Bayer jahrelang eine CO-Pipeline betrieben hat – zwischen Dormagen und Leverkusen. Störungslos und unbeachtet. Häufig wiederholt er ein Versprechen, das ihm zum Mantra geworden ist in den letzten Monaten.
Breuer: „Die Pipeline ist sicher. Wir tun alles dafür, um ein absolutes Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten für die Pipeline.“
Dafür kann der Bayer-Mann gute Argumente liefern: Vor allem die übererfüllten Sicherheitsstandards. Die Pipeline verläuft 1,40 Meter unter der Erde – gesetzlich vorgeschrieben ist ein Meter; die Leitung ist auf einen Druck von hundert bar ausgelegt – betrieben wird sie bei knapp fünfzehn bar. Das Leckagen-Erkennungssystem ist auf dem neuesten Stand. Bloß wollen die Leute im Kreis Mettmann all das gar nicht hören. Wenn das Giftgas sie nicht schreckt, sollen die von Bayer doch selbst neben die Leitung ziehen. So ist die Stimmung. Und Werner Breuer ist ihr hilflos ausgeliefert. Möglich, dass mehr Offenheit in einer früheren Phase dem Konzern einiges erspart hätte. Jetzt ist es zu spät. Macht Bayer Zugeständnisse, wird es als Schuldeingeständnis gewertet. Macht Bayer keine Zugeständnisse, bestätigt der Konzern, nur auf Profit aus zu sein. Projektleiter Breuer steckt in einem Dilemma. Etwas hölzern lädt er zu einem „vernünftigen Dialog“ ein.
Breuer: „Wir wollen eigentlich ganz deutlich den Bürgern mitteilen: Wir verstehen die Bedenken. Und das ist eigentlich das, was wir aufnehmen möchten, auch mitteilen: Dass wir verstehen, welche Bedenken die Bürger haben, und wir versuchen dann eigentlich auch, den Bürgern eigentlich mit unseren Argumenten die Ängste zu nehmen, zu sagen das, was wir vorhaben und wie wir’s umsetzen möchten. Das ist ganz wichtig dabei. Und dann müssen wir sehen dabei, in wie weit wir das eben auch in eine sachliche Diskussion ’reinbringen können, und das ist die Frage dabei.“
Anmoderation Stadtgespräch: „Willkommen zum WDR-Stadtgespräch aus der Stadthalle Langenfeld! Es sind hunderte Bürgerinnen und Bürger gekommen. Sie haben Fragen, und Sie machen Ihrem Ärger Luft. Ihr Thema ist auch unseres heute: Gefahr vor der Haustür? Bürgerprotest gegen die Bayer-Pipeline. Mein Name ist Andrea Benstein – und im Publikum begrüßt Sie Hakan Ekemen. Guten Abend! Schönen guten Abend!“
So animiert man Menschen zur Diskussion. Beim WDR-Stadtgespräch ist die Stadthalle in Langenfeld bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gegner des Projekts sind deutlich in der Überzahl.
Frau: „Ich wohne nicht direkt in dem Bereich, aber unsere Kinder haben da gebaut, und die sind schon beeinträchtigt, wenn durch Neusteffenhofen die Leitung gelegt würde.“
Mann: „Ich wohne circa zwei Kilometer von der Leitung weg, und ich habe einfach vermisst, dass die Städte da rechtzeitig gegen opponiert haben.“
Frau: „Mein Grundstück ist 30 Meter von der Pipeline entfernt, und ich sehe Tag und Nacht auf diese Leitung. Wir haben kleine Kinder im Haus, und ich weiß nicht, ob ich die Kinder überhaupt noch im Garten spielen lassen kann. Kinder, die ein Recht darauf haben, ohne Angst und Schrecken aufwachsen zu können. Da wird einem so eine Pipeline vor die Nase gesetzt. Ich kann nicht mehr.“
Gegen solche Emotionen ist schlecht anargumentieren. Jens Baganz, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium, versucht es trotzdem.
Baganz: „Es ist ja nicht die erste Pipeline, die in Deutschland gebaut wird, davon haben wir ja noch ein paar mehr. Bayer hat diesen Antrag gestellt auf Planfeststellung, und dann hat es ein jahrelanges Verfahren gegeben. Das ist ja nicht von heute auf morgen gestartet worden, das ist 2004 gestartet worden, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.“
Der Staatssekretär erinnert sich richtig. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Pipeline-Streits, dass er erst in diesem Frühjahr ausgebrochen ist. Vorher gab es ein Raumordnungs-, ein Planfeststellungs- und ein Genehmigungsverfahren – alles öffentlich und jedermann zugänglich. Wer wollte, konnte wissen. Der Landtag beschloss – einstimmig und ohne Beratung – ein Enteignungsgesetz, das Bayer in der Bauphase Wegerechte auf privatem Grund sichert. Die Politiker sagten ja, die Bürger nicht nein, die Bürgermeister blieben stumm. Erst als die Bagger kamen und erster Protest sich regte, schwangen sie sich zu Stadtvätern auf, bereit, ihre Bürgerfamilie zu beschützen – gegen wen auch immer, und seien es die eigenen Parteifreunde in der CDU-geführten Landesregierung.
Stähler: „Ich hab’ zwar das CDU-Parteibuch, aber ich heiße ja in meiner Funktion „Bürgermeister“ – und das impliziert automatisch, daß ich mich um die Interessen der Bürgerschaft zu kümmern habe und nicht um die Parteiinteressen in diesen Fällen. Und insofern ist es für mich ganz klar, dass ich hier vor Ort, bei meiner Bürgerschaft bin und die Sorgen und Ängste sehr, sehr ernst nehme. Und wir versuchen, die Dinge im Dialog mit den entsprechenden Oberbehörden, Ministerien aufzuklären und hoffentlich einer guten Lösung zuzuführen.“
Sagt Magnus Stähler, Bürgermeister in Langenfeld. Wie seinen Kollegen im Kreis Mettmann, behauptet er, war auch ihm lange nicht bewusst, dass Kohlenmonoxid gefährlich sein kann. Die Moderatorin erteilt Nachhilfeunterricht.
Moderatorin: „Hatten Sie in der siebten Klasse Chemie?“
Stähler: „Wie bitte?“
Moderatorin: „Hatten Sie in der siebten Klasse Chemie?“
Stähler: „Ob’s in der siebten war, das kann ich jetzt nicht mehr beurteilen, es könnte auch die achten gewesen sein.“
Moderation: „Also, in der siebten Klasse ist es so, dass CO ein Thema ist. Das heißt, es wird schon darüber gesprochen, wie gefährlich das ist, das wird den Schülern beigebracht.“
Die Lacher hat sie trotzdem nicht auf ihrer Seite. Keiner hier möchte sich belehren lassen – aber der ganze Saal hängt an den Lippen eines Arztes und des Kreisbrandmeisters. Der eine erklärt, wie schlecht die Krankenhäuser in der Region auf einen CO-Unfall vorbereitet sind, der andere, dass die Feuerwehr im gleichen Fall überfordert wäre. Das hat sich das Publikum schon gedacht. Empörung brandet auf. Immer wieder. Einsam macht einer im Publikum sich ausdrücklich für die Pipeline stark.
Betriebsratsvorsitzender: „Also, ich bin kein Gegner der Pipeline und muss auch ganz ehrlich sagen: Ich bin erschrocken. Ich bin im übrigen der Konzernbetriebsratsvorsitzende bei Bayer und – ja, ich wusste, dass da oder Gelächter oder Buhrufe kommen, war mir schon klar. Eigentlich müssten wir uns darüber unterhalten, dass die ganzen Chemie-Produktionen in Uerdingen, Dormagen, Leverkusen alle abgebaut werden und entfernt werden. Das Leben ist nicht ohne Risiken, und jetzt müssen wir doch dafür sorgen, dass die Risiken minimiert werden. Und deshalb bin ich da etwas erstaunt über diese Diskussion.“
Baganz: „Diese beiden Dinge: vertrauensbildende Maßnahmen vor Ort und im übrigen Abwarten der Prozesse – das ist, glaube ich, das, was jetzt, in den nächsten Monaten und wahrscheinlich auch Jahren geschehen wird.“
Das Schlusswort von Jens Baganz. Der Staatssekretär würde gern Frieden an der CO-Front stiften. Draußen vor der Tür zeigt sich noch einmal, wie aussichtslos dies Unterfangen ist. An der Bar im Foyer sind ein paar Gewerkschafter aus der Chemie-Industrie im Clinch mit einem älteren Ehepaar aus dem gehobenen Bürgertum.
Streit an der Bar: „Warum bauen Sie denn da nicht?! – Mir wird angst und bange um den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen, wenn ich so was höre, ja, da wird mir angst und bange. – Ja, ja, jetzt kommt gleich der Weihnachtsmann. Es wird nur noch gemacht, was Bayer will. – Das sind 80 Prozent im öffentlichen Dienst, die hier protestieren. – Ja, mir geht’s doch nur um die Sicherheit. – Hier geht’s nur noch um Geld, und sonst nichts! – Sie vergessen eins hier: Es geht hier um Sicherheit – das ist das erste, und der Wert einer Immobilie.“
Die einen machen sich Sorgen um Leib und Leben – und um ihre Eigenheime, deren Wert kleiner wird, je größer ihre Nähe zur CO-Pipeline ist. Die anderen sorgen sich um Arbeitsplätze in der Region.
Streit an der Bar: „Nicht nur Bayer guckt da genau hin. Es gibt viele andere große Firmen, die ebenfalls ganz genau gucken, was da passiert. Die sagen: Wenn wir keine Planungssicherheit mehr in Deutschland haben, dann müssen wir uns andere Länder angucken. Und ich möchte mal wissen, wie Ihre Enkelkinder vielleicht auch mal darüber denken, denn die möchten ja auch mal irgendwann einen Job haben. Wenn Sie sich mal angucken, was von der chemischen Industrie alles abhängt: Der Boden, die Schuhe… – Mich interessiert das nicht, ich hab’ keine Kinder, tut mir leid, da kann ich nicht mitreden.“
Nicht mitgeredet haben zunächst auch die Politiker in Nordrhein-Westfalen. Die haben gepennt, sagen abschätzig betroffene Bürger. Inzwischen sind sie aufgewacht. Spät aber gründlich haben viele begriffen: Wer gegen die Pipeline ist, darf auf Sympathien, vielleicht auf Wähler hoffen. So erklärt sich, dass Wirtschaftsministerin und Wissenschaftsminister sich eine Weile gegenseitig die fachliche Zuständigkeit für das Bayer-Projekt zugeschoben haben. Auch die Opposition will Schwarzer Peter spielen, mit der Regierung. Als die Proteste im Sommer die überregionalen Zeitungen und Rundfunkstationen erreichten, war Hannelore Kraft, Frontfrau der SPD im Land, als eine der ersten zur Stelle.
Kraft: „Wir haben hier ’ne Entscheidung im Landtag getroffen, ohne dass es ’ne breite Diskussion gab, das ist hier durchgelaufen. Aber wir müssen natürlich jetzt sehen, wie die Situation ist. Ich nehme die Befürchtungen der Bevölkerung da sehr ernst, und ich glaub’, da muss man genau hinschauen. Ich bin gespannt, wie die Regierung damit umgehen wird.“
Dabei haben im Landtag nicht nur alle Parteien ja gesagt zum Enteignungsgesetz für die CO-Pipeline – das Projekt war noch unter rot-grüner Regierungsverantwortung überhaupt auf den Weg gebracht worden. Da fällt es schwer, Gründe zu finden, nachträglich nun doch dagegen zu sein. Die Grünen haben es, wie die SPD, zunächst mit der Forderung nach einem vorübergehenden Baustopp versucht. Kürzlich brachten sie ein Gesetz ein, mit dem das Enteignungsgesetz – im Sprachgebrauch der Kritiker: lex Bayer – zurückgenommen werden soll. Auch im Düsseldorfer Parlament ging es rasch hoch her.
Remmel: „Eine umfassende rechtliche Prüfung hat für uns ergeben, dass das vom Landtag 2006 beschlossene Gesetz für den Bau der Rohrleitung nicht verfassungsgemäß ist. Die Bayer-CO-Pipeline dient ausschließlich wirtschaftlichen Interessen des Konzerns und nicht dem Allgemeinwohl,“
AUT begründete Johannes Remmel von den Grünen die Volte seiner Partei. Und rief damit prompt die Christdemokraten auf den Plan.
„Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Droste?“
Remmel: „Sehr gern. – Bitte, Herr Droste.“
Droste: „Dies Gesetz ist im Jahre 2006 einstimmig verabschiedet worden, und ich hoffe, dass Sie das Zugeständnis machen, dass Sie – da Sie ja mit gestimmt haben zu diesem Gesetz – offensichtlich einen Fehler einräumen, den Sie jetzt wieder gut machen wollen.“
Remmel: „Ich hatte das, glaube ich, eben erwähnt, dass wir an der Gesetzgebung seinerzeit beteiligt waren. Wir haben damals gemeinsam dieses Gesetz auf den Weg gebracht, insofern haben wir heute auch ’ne gemeinsame Verantwortung zu überprüfen: War das richtig? Wir kommen zu dem Ergebnis, es hatte offensichtlich Fehler.“
Weshalb bitte schön auch die anderen Parteien sich nunmehr gegen das Gesetz wenden sollen. Lutz Lienenkämper von der CDU lehnte umgehend ab.
Lienenkämper: „Wir sollen an der politischen Willensbildung der Bevölkerung mitwirken, meine Damen und Herren, das heißt nicht, dass wir dem gebildeten Willen des Volkes in jedem Fall hinterherlaufen. Kollege Remmel, bei Ihrem Antrag hab’ ich das Gefühl gehabt, ein Stück weit versuchen Sie das heute.“
Wieder ein Zwischenruf – diesmal von der grünen Fraktionsvorsitzenden:
Lienenkämper: " Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Löhrmann? – Aber selbstverständlich. – Damit hatte ich gerechnet, Herr Kollege. – Bitte schön, Frau Löhrmann. – Es gibt einen schönen Spruch: Wer a sagt, muß nicht b sagen, er kann auch erkennen, dass a falsch war. Wie bewerten Sie diese Aussage im Zusammenhang der jetzigen Diskussion? – Frau Kollegin Löhrmann, diese Frage beantworte ich ganz eindeutig mit einem b. Wir sagen b, nachdem wir a gesagt haben, weil a nicht erkennbar – zum jetzigen Zeitpunkt – falsch ist.“
So sieht das auch die Rechtsprechung. Bisher jedenfalls. In ersten Urteilen hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf Klagen von Pipeline-Gegnern abgelehnt. Der Planfeststellungsbeschluss wurde bestätigt, die rechtlichen und technischen Vorgaben seien erfüllt.
Aber der Weg durch die Instanzen ist lang. Er kann bis vors Bundesverfassungsgericht führen. Die Pipeline-Gegner lassen sich noch lange nicht entmutigen. Auch wenn gleich neben ihrer Mahnwache vor dem Landtag Bayer mit einer Charme-Offensive, mit CO-haltigen Produkten (vom Fußball bis zur nadellosen Spritze) und mit Video-Filmen für die Gasleitung wirbt.
Bayer-Werbung:
" Also, das ist kein Ofenrohr, was wir da verbauen. – Ja, aber ich war im Krieg, ich hab’ furchtbare Dinge miterlebt. Und jetzt kommt so etwas wieder, ich hab’ Enkel und Kinder und so weiter. – Was heißt denn ‚so etwas’? – Wo so viel Menschen wohnen, wissen Sie, das ist mein Problem. Wenn Sie das woanders gebaut hätten oder gemacht hätten, in Wäldern oder irgendwo, in der Sahara, wo keine Menschen sind. – Ja, und weil hier eben so viele Menschen wohnen, bauen wir das Ding so sicher, wie’s irgend geht. Das ist die sicherste Pipeline, die’s in Deutschland gibt.“
In der Nachbarschaft zum Bayer-Zelt nehmen Demonstranten derweil ein zwei Meter großes Skelett aus Sperrholz auseinander.
Morgen schon wird das an Tod und Siechtum gemahnende Skelett erneut Verwendung finden. Dann bauen es die Pipeline-Gegner wieder in Düsseldorf zusammen. Zum bisher größten Protestzug haben sich viele tausend Demonstranten angemeldet, außerdem Johannes Remmel von den Grünen und eine Samba-Gruppe aus Hilden.