Verzettelte Innenwelten
Zettel, Zeichnungen, Fotos, Leinwände und Spiegel – sieben "Ensembles" sind im Saal des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart zu sehen. Diese ausufernden Arrangements der 1993 verstorbenen Künstlerin Anna Oppermann untersuchen unter Titeln wie "Anders sein" wesentliche Aspekte individueller Existenz in Gesellschaft und Kultur.
Zettel und Zeichnungen soweit das Auge reicht; Fotos und Leinwände, Spiegel, Pappfiguren und Podeste, wohin man auch blickt. Sie wuchern vom Boden über die Wände bis zur Decke, wachsen aus Nischen und Ecken in den Raum. Der Raum ist riesig, 36 x 36 Meter, und darin erleben wir die Aufführung eines Papiertheaters, eine bizarre Mischung aus Hausaltar, Puppenstube und Schaubühne.
Sieben so genannte "Ensembles" sind in dem Saal verteilt, sie bestehen aus Tausenden von Einzelteilen. Ute Vorkoeper, die Kuratorin, hat sie aus unzähligen Kisten, Tüten und Kartons gekramt und in wochenlanger, geduldiger Regiearbeit rekonstruiert:
"Es ist ein ästhetischer Prozess, eine solche Arbeit in den Raum zu übertragen, und egal wie viel vorgegeben ist, es ist ein plastisches Werk, das entstehen muss, und es entsteht ganz langsam."
Die ästhetischen Archivalien der Anna Oppermann, das ist ein wirres Chaos aus bildnerischem Trödel, Texten und Thesen auf den ersten Blick, und doch hat jetzt in dieser Plunderkammer alles seinen festen Platz.
Fast 70 solcher Ensembles hat Anna Oppermann geschaffen, ein Zehntel des Gesamtwerks ist damit hier zu sehen. Etwa 40 Quadratmeter misst das größte der Ensembles, es trägt den Titel "Anders sein", wurde 1970 begonnen und wenn Anna Oppermann nicht 1993 gestorben wäre, wäre es vermutlich noch immer nicht fertig. In der Arbeit umkreist Oppermann ihre eigenen Ängste als Außenseiterin in Kunst und Gesellschaft. Frauen, die ihr Gesicht hinter Händen, Haaren oder Masken verbergen, versinnbildlichen den Konflikt zwischen Anpassung und Verweigerung, zwischen Selbstdarstellung und Maskerade.
Oppermanns Arbeitsprinzip war ebenso einfach wie komplex. Jedes Werk, sagt die Kuratorin, begann mit einem Ausgangsobjekt:
"Das waren manchmal einfach Phrasen, eine Gedichtzeile, es waren Lindenblütenblätter oder ein blauer Glasschrein oder der Spiegel. Und aus diesen arrangierte sie erste Stillleben. Also man kann sich das vorstellen, auf einem Tisch, auf einem kleinen Podest ausgestellt, und die zeichnete sie dann, stellte die Zeichnung dazu, sie hat Notizen gemacht, hat Zitate gesammelt und Kommentierungen hinzugefügt, dann wieder analytisch das Ganze abgezeichnet und in verschiedenen Formen beleuchtet, das Stillleben, um diese neuen Ansichten wachsen lassen, fotografiert und auch da wieder neue Auswahlen getroffen. Und so ist das dann über die Jahre immer größer geworden."
Ein Spiegel war in einem Fall das auslösende Motiv für diese monomanische Methode; ein Mittel, um die Welt zu verfremden und zu zersplittern, um die Wirklichkeit zu reflektieren, aufzubrechen, zu verschieben. Eine andere Arbeit widmet sich dem Thema Liebe und Sexualität. "Porträt Herr S." heißt es und ist ganz in Rottönen gehalten.
" Das Porträt Herr S. geht um einen immer unbekannt bleibenden Herrn S. Also niemand weiß, wer es denn sein soll. Aber es dreht sich um Formen, also um den Körper, um Lust, um Begehren, auch um religiöse und andere konventionelle Verstellungen der Lust. Es ist halt an keiner Stelle pornografisch, sondern es ist eben ein Spiel mit Verbergen und Zeigen und mit dem Begehren des Anderen. "
Natürlich ist das autobiographisch, und die Künstlerin selbst, die über ihren langen Haaren gerne einen Turban trug, taucht darin immer wieder auf.
Oppermanns Werke sind im Grunde Denkmodelle, sie zeigen, wie Denken funktioniert, wie es sich verzettelt, verändert, und vernetzt, wie es auf Impulse reagiert, sich in Assoziationen verfängt, wie es Spuren speichert, aber auch nach außen drängt, nach Kommunikation.
" Das denke ich schon. Einerseits dieses Vernetzen, Öffnen, und andererseits das Fortschreiben von Traditionen. Und das macht es ganz besonders interessant, denn neben die ganze Vernetzung und in die Breite gehen, Verlinkung, hat sie natürlich immer einen Aspekt des Bewahrens und des Sammelns und des Erinnerns in ihrer Arbeit, nämlich weg von dem rein horizontalen Vernetzungsgedanken auch immer wieder auf solche Schnittstellen, wo Traditionen sich verfugen, was sie besonders aktuell macht. "
Einer wie Jonathan Meese, das gehätschelte Schmuddelkind der deutschen Kunstszene, geht heutzutage ähnlich vor, assoziativ und synthetisch. Aber kunstmarkttechnisch klappt das nur, weil Meese auch ein Selbstdarsteller ist.
Oppermann war das nicht, trotz ihrer Documenta- und Biennale-Erfolge. "Künstler sein" heißt eine Arbeit, die sich analytisch mit dem Künstlerdasein befasst, auch mit dem Dilemma der ökonomischen Vermittlung dieser medialen Metastasen. "Mach kleine, überschaubare, verkäufliche Objekte", riet man ihr – und sie machte ein Objekt daraus, ironisch abgekürzt "MKÜVO". Aber natürlich wurde daraus wieder ein Ensemble von kaleidoskopisch überbordender Fülle, zwanghaft, verzweigt.
Letztlich bleiben uns Anna Oppermanns verzettelte Innenwelten ohnehin verschlossen. Sie sind bei aller Sinnlichkeit ein beklemmendes Erlebnis auf den Spuren einer Frau, die uns den ästhetischen Ausdruck ihrer persönlichen Problembewältigung hinterlassen hat als ein intellektuelles Abenteuer. Und das ist, wie man sieht, anregend und anstrengend zugleich.
Service:
Die Ausstellung "Anna Oppermann – Revisionen der Ensemblekunst" ist im Württembergischen Kunstverein Stuttgart bis zum 12. August 2007 zu sehen.
Sieben so genannte "Ensembles" sind in dem Saal verteilt, sie bestehen aus Tausenden von Einzelteilen. Ute Vorkoeper, die Kuratorin, hat sie aus unzähligen Kisten, Tüten und Kartons gekramt und in wochenlanger, geduldiger Regiearbeit rekonstruiert:
"Es ist ein ästhetischer Prozess, eine solche Arbeit in den Raum zu übertragen, und egal wie viel vorgegeben ist, es ist ein plastisches Werk, das entstehen muss, und es entsteht ganz langsam."
Die ästhetischen Archivalien der Anna Oppermann, das ist ein wirres Chaos aus bildnerischem Trödel, Texten und Thesen auf den ersten Blick, und doch hat jetzt in dieser Plunderkammer alles seinen festen Platz.
Fast 70 solcher Ensembles hat Anna Oppermann geschaffen, ein Zehntel des Gesamtwerks ist damit hier zu sehen. Etwa 40 Quadratmeter misst das größte der Ensembles, es trägt den Titel "Anders sein", wurde 1970 begonnen und wenn Anna Oppermann nicht 1993 gestorben wäre, wäre es vermutlich noch immer nicht fertig. In der Arbeit umkreist Oppermann ihre eigenen Ängste als Außenseiterin in Kunst und Gesellschaft. Frauen, die ihr Gesicht hinter Händen, Haaren oder Masken verbergen, versinnbildlichen den Konflikt zwischen Anpassung und Verweigerung, zwischen Selbstdarstellung und Maskerade.
Oppermanns Arbeitsprinzip war ebenso einfach wie komplex. Jedes Werk, sagt die Kuratorin, begann mit einem Ausgangsobjekt:
"Das waren manchmal einfach Phrasen, eine Gedichtzeile, es waren Lindenblütenblätter oder ein blauer Glasschrein oder der Spiegel. Und aus diesen arrangierte sie erste Stillleben. Also man kann sich das vorstellen, auf einem Tisch, auf einem kleinen Podest ausgestellt, und die zeichnete sie dann, stellte die Zeichnung dazu, sie hat Notizen gemacht, hat Zitate gesammelt und Kommentierungen hinzugefügt, dann wieder analytisch das Ganze abgezeichnet und in verschiedenen Formen beleuchtet, das Stillleben, um diese neuen Ansichten wachsen lassen, fotografiert und auch da wieder neue Auswahlen getroffen. Und so ist das dann über die Jahre immer größer geworden."
Ein Spiegel war in einem Fall das auslösende Motiv für diese monomanische Methode; ein Mittel, um die Welt zu verfremden und zu zersplittern, um die Wirklichkeit zu reflektieren, aufzubrechen, zu verschieben. Eine andere Arbeit widmet sich dem Thema Liebe und Sexualität. "Porträt Herr S." heißt es und ist ganz in Rottönen gehalten.
" Das Porträt Herr S. geht um einen immer unbekannt bleibenden Herrn S. Also niemand weiß, wer es denn sein soll. Aber es dreht sich um Formen, also um den Körper, um Lust, um Begehren, auch um religiöse und andere konventionelle Verstellungen der Lust. Es ist halt an keiner Stelle pornografisch, sondern es ist eben ein Spiel mit Verbergen und Zeigen und mit dem Begehren des Anderen. "
Natürlich ist das autobiographisch, und die Künstlerin selbst, die über ihren langen Haaren gerne einen Turban trug, taucht darin immer wieder auf.
Oppermanns Werke sind im Grunde Denkmodelle, sie zeigen, wie Denken funktioniert, wie es sich verzettelt, verändert, und vernetzt, wie es auf Impulse reagiert, sich in Assoziationen verfängt, wie es Spuren speichert, aber auch nach außen drängt, nach Kommunikation.
" Das denke ich schon. Einerseits dieses Vernetzen, Öffnen, und andererseits das Fortschreiben von Traditionen. Und das macht es ganz besonders interessant, denn neben die ganze Vernetzung und in die Breite gehen, Verlinkung, hat sie natürlich immer einen Aspekt des Bewahrens und des Sammelns und des Erinnerns in ihrer Arbeit, nämlich weg von dem rein horizontalen Vernetzungsgedanken auch immer wieder auf solche Schnittstellen, wo Traditionen sich verfugen, was sie besonders aktuell macht. "
Einer wie Jonathan Meese, das gehätschelte Schmuddelkind der deutschen Kunstszene, geht heutzutage ähnlich vor, assoziativ und synthetisch. Aber kunstmarkttechnisch klappt das nur, weil Meese auch ein Selbstdarsteller ist.
Oppermann war das nicht, trotz ihrer Documenta- und Biennale-Erfolge. "Künstler sein" heißt eine Arbeit, die sich analytisch mit dem Künstlerdasein befasst, auch mit dem Dilemma der ökonomischen Vermittlung dieser medialen Metastasen. "Mach kleine, überschaubare, verkäufliche Objekte", riet man ihr – und sie machte ein Objekt daraus, ironisch abgekürzt "MKÜVO". Aber natürlich wurde daraus wieder ein Ensemble von kaleidoskopisch überbordender Fülle, zwanghaft, verzweigt.
Letztlich bleiben uns Anna Oppermanns verzettelte Innenwelten ohnehin verschlossen. Sie sind bei aller Sinnlichkeit ein beklemmendes Erlebnis auf den Spuren einer Frau, die uns den ästhetischen Ausdruck ihrer persönlichen Problembewältigung hinterlassen hat als ein intellektuelles Abenteuer. Und das ist, wie man sieht, anregend und anstrengend zugleich.
Service:
Die Ausstellung "Anna Oppermann – Revisionen der Ensemblekunst" ist im Württembergischen Kunstverein Stuttgart bis zum 12. August 2007 zu sehen.