Verwirrende Gesellschaft ohne Moral
August 1936, während der Olympischen Spiele in Berlin: Wie jedes Jahr hält Hermann Göring in seinem Jagdschloss Karinhall "ausschweifende Jagdlustbarkeiten" ab. Er will feiern, mit kalorienreichem Essen, maßlosem Trinken und perversen Orgien. Carl-Henning Wijkmarks "Die Jäger auf Karinhall" ist ein manchmal wild gewordener Mix aus Spionagethriller, Kolportage, Pornographie und Historiendrama.
August 1936, ein entscheidendes Datum. In Berlin finden die Olympischen Spiele statt, wichtiger aber: Weltpolitisch formieren sich die Allianzen, die sich drei Jahre später bekriegen sollten.
Wie jedes Jahr hält der zweite Mann des Dritten Reichs, Hermann Göring, in seinem Jagdschloss Karinhall in der Schorfheide, nördlich von Berlin, "ausschweifende Jagdlustbarkeiten" ab (wie es auf dem Buchumschlag heißt). Er lädt bedeutende Männer aus dem In- und Ausland ein, vor allem Politiker und Militärs. Er will die Stimmung in Europa und Deutschland erkunden, in erster Linie aber will er feiern, mit kalorienreichem Essen, maßlosem Trinken und perversen Orgien.
Es sind Feiertage, an denen er auch seine Vorliebe für phantasievolle Kleidung auslebt und an denen er zeigen kann, was in ihm steckt: seine Knallprotzigkeit, seine Eitelkeit, aber auch seine Verschlagenheit und ungeheure Kaltblütigkeit, wenn es darum geht, selbst verdiente Parteigenossen über die Klinge springen zu lassen.
In diesen illustren Prominentenreigen dringt ein englischer Spion ein, der sich als norwegischer Marathonläufer tarnt und vom selbstsicheren Göring mit gnädigem Wohlwollen, ja Sympathie aufgenommen wird.
Aber Roar Trögesen gerät in eine verwirrende Gesellschaft, in ein total absurdes Szenario konkurrierender Geheimdienste und Gegner aus den eigenen Reihen. Abwehrchef Canaris, Hitlergehilfe Bormann, SS-Chef Himmler - alle wollen ihr Schäfchen ins Trockene bringen, alle wollen Göring und einander ans Leder, alle wollen einander ausstechen und austricksen.
Gleichzeitig versucht Wijkmark zu zeigen, dass die moralischen Gesetze in totalitären Gesellschaften außer Kraft gesetzt sind. Frauen werden geordert, die den geladenen Herren zu Willen sein sollen, und manch eine dieser Stellen überschreitet, wenn es zum Beispiel um die wüsteste Vergewaltigung einer Minderjährigen geht, nicht nur die Grenze des guten Geschmacks.
"Die Jäger auf Karinhall" des Schweden Carl-Henning Wijkmark, geboren 1934 in Stockholm, kam im Original schon 1972 heraus und erschien sogar schon einmal auf deutsch, 1979, aber in einer zweifelhaften Übersetzung. Damals wurde es seltsamerweise kaum beachtet.
Denn es ist nicht nur wegen seiner "Stellen" ein monströses Buch, sondern es lebt in allen Belangen von der Großartigkeit, aber auch von der Maßlosigkeit der Szenen, Ideen, Entwürfe, Arrangements; es ist ein wilder und manchmal wild gewordener Mix aus Spionagethriller, Kolportage, Pornographie und Historiendrama.
Trotzdem ist es feinsinniger als etwa Thor Kunkels "Endstufe" (2004): Wijkmarks Buch, sein Debüt, besitzt zumindest im Ansatz schon die Klasse seiner späteren Bücher wie "Letzte Tage" oder "Der du nicht bist".
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Carl-Henning Wijkmark: Die Jäger auf Karinhall
Aus dem Schwedischen von Paul Berf.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2007, 368 Seiten, 22,80 Euro
Wie jedes Jahr hält der zweite Mann des Dritten Reichs, Hermann Göring, in seinem Jagdschloss Karinhall in der Schorfheide, nördlich von Berlin, "ausschweifende Jagdlustbarkeiten" ab (wie es auf dem Buchumschlag heißt). Er lädt bedeutende Männer aus dem In- und Ausland ein, vor allem Politiker und Militärs. Er will die Stimmung in Europa und Deutschland erkunden, in erster Linie aber will er feiern, mit kalorienreichem Essen, maßlosem Trinken und perversen Orgien.
Es sind Feiertage, an denen er auch seine Vorliebe für phantasievolle Kleidung auslebt und an denen er zeigen kann, was in ihm steckt: seine Knallprotzigkeit, seine Eitelkeit, aber auch seine Verschlagenheit und ungeheure Kaltblütigkeit, wenn es darum geht, selbst verdiente Parteigenossen über die Klinge springen zu lassen.
In diesen illustren Prominentenreigen dringt ein englischer Spion ein, der sich als norwegischer Marathonläufer tarnt und vom selbstsicheren Göring mit gnädigem Wohlwollen, ja Sympathie aufgenommen wird.
Aber Roar Trögesen gerät in eine verwirrende Gesellschaft, in ein total absurdes Szenario konkurrierender Geheimdienste und Gegner aus den eigenen Reihen. Abwehrchef Canaris, Hitlergehilfe Bormann, SS-Chef Himmler - alle wollen ihr Schäfchen ins Trockene bringen, alle wollen Göring und einander ans Leder, alle wollen einander ausstechen und austricksen.
Gleichzeitig versucht Wijkmark zu zeigen, dass die moralischen Gesetze in totalitären Gesellschaften außer Kraft gesetzt sind. Frauen werden geordert, die den geladenen Herren zu Willen sein sollen, und manch eine dieser Stellen überschreitet, wenn es zum Beispiel um die wüsteste Vergewaltigung einer Minderjährigen geht, nicht nur die Grenze des guten Geschmacks.
"Die Jäger auf Karinhall" des Schweden Carl-Henning Wijkmark, geboren 1934 in Stockholm, kam im Original schon 1972 heraus und erschien sogar schon einmal auf deutsch, 1979, aber in einer zweifelhaften Übersetzung. Damals wurde es seltsamerweise kaum beachtet.
Denn es ist nicht nur wegen seiner "Stellen" ein monströses Buch, sondern es lebt in allen Belangen von der Großartigkeit, aber auch von der Maßlosigkeit der Szenen, Ideen, Entwürfe, Arrangements; es ist ein wilder und manchmal wild gewordener Mix aus Spionagethriller, Kolportage, Pornographie und Historiendrama.
Trotzdem ist es feinsinniger als etwa Thor Kunkels "Endstufe" (2004): Wijkmarks Buch, sein Debüt, besitzt zumindest im Ansatz schon die Klasse seiner späteren Bücher wie "Letzte Tage" oder "Der du nicht bist".
Rezensiert von Peter Urban-Halle
Carl-Henning Wijkmark: Die Jäger auf Karinhall
Aus dem Schwedischen von Paul Berf.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2007, 368 Seiten, 22,80 Euro