Verwickelte Familiengeschichte

´Das Motto nimmt gleich ein für diesen Roman, der dem süßen Geburtstagskekskuchen aus Kindertagen nicht nur im Titel seine Reverenz erweist: "Man nehme Vater, Mutter, Kind, drehe sie durch den Wolf und heraus kommt ein Kalter Hund." So wie aus den verschiedenen Zutaten am Ende ein köstlicher Kuchen wird, tun hier auch die Familienmitglieder - aller Unverträglichkeit zum Trotz - das ihre, damit ihre Geschichte zusammenbackt.
Der Roman beginnt ohne Umschweife, denn gleich der erste Satz macht den Vater zum Schuft. Das ist er in den Augen der Mutter. Die Gründe versteht das Kind nicht, nur dass sein Name nicht mehr genannt werden, sein Zimmer nicht mehr betreten werden darf. Der Mann arbeitet mit seiner schönen Stimme im Rundfunk und hatte stets allzu viel Glück bei den Frauen. Deswegen wollte die Ehefrau nicht nur die Trennung, sondern auch lebenslange Rache. Zwischen den Eltern steht die Tochter, die darauf sinnt, wie sie den Vater heimlich treffen kann, ohne die Mutter zu verraten. Karin Reschke erzählt eindringlich von einer Kindheit und Jugend im Berlin der 1950er Jahre, von einem klugen Mädchen, das die Welt erobern will - und die Liebe. Weil aber damals (und heute) die Kinder die Vergangenheit der Eltern auf ihren Schultern tragen, geht es auch um den Anfang der elterlichen Liebe und deren schönste Hoffnungen während düsterer deutscher Zeiten. Je erwachsener die Ich-Erzählerin wird, umso deutlicher wird ihr die verwickelte Familiengeschichte. Trotz aller Ungereimtheiten in den verwandtschaftlichen Verhältnissen schaut die Heldin hoffnungsvoll in die eigene Zukunft: Mit deutlicher Absicht verliert sie ihre Jungfräulichkeit und weniger absichtsvoll auch die Illusion von immerwährender Liebe. Das Kino spielt dabei eine ebenso große Rolle wie die eine und die andere alte exzentrische Dame, die ihre Haltung über den Krieg bis nach West-Berlin gerettet hat.

Die Autorin zeichnet in dieser Familiengeschichte nicht nur eine ungemein liebenswerte, lebens- und todesmutige halbwüchsige Heldin, die man nach der Lektüre nicht leicht vergisst, vor allem entwirft sie ein besonderes (autobiographisch beglaubigtes) Porträt der geteilten Nachkriegsstadt. Sie tut das weniger durch genaue Ortsangaben und die Beschreibung ausgiebiger S-Bahnfahrten vor dem Mauerbau (die gibt es auch), vor allem beherrscht Karin Reschke einen ganz eigenen literarischen Ton, mit dem sie Gefühle und Erlebnisse an diesen einen Ort und keinen anderen bindet: eine ebenso phantasievolle wie lakonische Sprache, die eine ganze Lebenshaltung ausmacht, eine, die inzwischen ausgestorben ist und die man zu hören meint, wenn man diesen bitter-süßen "Kalten Hund" liest.

Rezensiert von Manuela Reichart

Karin Reschke: Kalter Hund
Roman
Weissbooks, Frankfurt a.M., 2009
163 Seiten, 18,80 Euro