"Verweht im Sediment"

Von Peter Kaiser · 03.11.2012
In Deutschland werden erst seit rund 40 Jahren kommerzielle Seebestattungen durchgeführt. Dabei wird die Urne mit der Asche über "Rauhen Grund" ins Wasser gelassen. Was anfangs meist Seeleuten oder deren Angehörigen vorbehalten war, wird heute auch von immer mehr "Landratten" gewünscht.
Die See ist ruhig an diesem Samstagmittag. Kaum ein Wind weht, die Sonne scheint intensiv. Die "Jan Maat", ein ehemaliger Lastensegler, schiebt sich motor-getrieben auf die Ostsee hinaus. Eine idyllische Szene, dennoch stehen nur zwei oder drei der rund 20 Passagiere an der Reling, und sehen aufs Wasser:

"Die Seebestattung läuft so ab, dass man sich hier in Warnemünde am neuen Strom trifft, hier ist der Abfahrtspunkt. Von dort aus geht es dann östlich der Molen circa 3 Meilen in die See hinaus auf das ausgewiesene Seebestattungsareal."

Das Seebestattungsareal, von dem Kapitän Holger Fritz spricht, ist - egal ob Ost- oder Nordsee - der sogenannte "Rauhe Grund". Hier ist jede kommerzielle Nutzung verboten, also keine Fischerei, keine Tauchgänge, oder sonstiges:

"Dort wird dann nach einem seemännischen Zeremoniell die Urne dem Meer übergeben."

Die Fahrt zum "Rauhen Grund" dauert nicht lange. Schon in vor-christlichen Zeiten wurden Tote dem Meer übergeben, nicht selten große Krieger und Fürsten. Für Christen galt die Erdbestattung immer vorrangig vor der Seebeisetzung, doch wurden Perso-nen, die bei Schiffspassagen verstorben waren, wegen Seuchen-gefahren sofort im Meer bestattet. 1972 führte eine Hamburger Bestattungsreederei erstmals in Deutschland eine offizielle gewerbliche Seebestattung durch. Seitdem haben die Gründe, sich für eine Seebestattung zu entscheiden, zugenommen:

"Zum einen sehr viele Seeleute, die auch teilweise gar nicht von hier kommen, sondern aus dem Binnenland. Das ist der eine Grund. Und der andere Grund ist der, diese Welt wird immer schnelllebiger und die Kinder ziehen der Arbeit nach, von Punkt A nach Punkt B weit durch Deutschland, und es ist dann einfach nicht mehr die Möglichkeit gegeben von weit her zu kommen, eine Grabpflege durchzuführen, das ist schon einer der Gründe, warum man eine Seebestattung nimmt. Dann kann man sich überall an die Ostsee stellen, stellt sich ans Wasser und gedenkt seiner Angehörigen."

Nach einigen Minuten Schiffsfahrt ist es soweit. Kapitän Holger Fritz tritt vor die Trauergemeinde aufs Deck:

"So, wir sind nun angekommen auf dem Seebestattungsareal..."

Vorn am Bug steht in einem kleinen beleuchteten Kasten die Urne mit der Asche des Verstorbenen. Die grauweiße Urne ist aus Tonolit hergestellt, einem Salz-Gips-Gemisch. Bei Wasserkontakt löst sie sich in etwa 2 Stunden restlos auf:

"Es ist ein trauriger Anlass, zu dem wir uns heute hier versammeln. Ein Weg ist zu Ende, der für deinen Mann, unseren Vater und Opa mit Leiden und Schmerz erfüllt war."

Der Verstorbene bei dieser Seebestattung war Seemann. Seine Tochter und Stieftochter gedenken seiner mit bewegenden Worten, die sie an die Witwe des toten Seemanns richten:

"Bis zum Letzten hast du ihm alles gegeben, als treue Seele in seinem Leben. Die vergangenen Jahre waren gepflastert mit Sorgen, doch für dich gab es immer ein Morgen. nun ist er erlöst von all seinen Schmerzen, doch er lebt weiter in unserem Herzen."

Auf die Frage, ob mit dem Seegrab nicht auch ein Ort der Trauer verloren geht, antworten die Töchter:

"Er war ja lange Jahre Seemann, und ich denke mal, das hätte ihm gefallen jetzt diese Art der Bestattung."
"Das habe ich eh hier bei mir, das ist ja im Herzen drin."

"Wie ein Blatt vom Baume fällt, geht ein Mensch von dieser Welt. Der Tod ist kein Abschnitt des Daseins, sondern nur ein Zwischenspiel. Ein Übergang aus einer Form des endlichen Wesens in eine andere. Verehrte Familie Wutschke..."

Nach den Reden der Töchter nimmt Holger Fritz behutsam die Urne in die Hände und geht zur Reling. Die Trauernden stellen sich dazu:

"Die Trauer um einen Verstorbenen ist das tiefste und wohl ehrlichste Gefühl, dessen wir fähig sind. So werden wir nun den letzten Willen des Verstorbenen erfüllen und die Urne mit seinen sterblichen Überresten der ewigen Ruhe der See übergeben."

Holger Fritz und seine 2 Mannschaftsmitglieder nehmen nun ihre Mützen ab, und nach altem Seemannsbrauch schlägt die Schiffsglocke drei Mal, als die Urne im Wasser versinkt.

Drei Mal auch umkreist die "Jan Maat" das Seegrab, auf dem Rosenblätter und Blumen tanzen. Kränze, Girlanden oder ähnliches sind aus Umweltschutzgründen nicht gestattet. Dann weht aus den Bordlautsprechern noch ein von dem verstorbenen Seemann gewünschtes Lied. Die gesungenen Worte liegen wie die Blütenblätter auf den im Sonnenlicht glitzernden Wellen.

Ein paar Tage nach der Bestattung wird Holger Fritz den Angehö-rigen ein Foto mit der Urne und einen Seegrabbrief übergeben, auf dem die Koordinaten der Grabstelle verzeichnet sind. So lässt sich der Ort zu einer Gedenkfahrt jederzeit wieder aufsuchen.

Nach der dritten Umrundung, und mit einem letzten Seemanns-gruß aus dem Schiffshorn...

...macht sich die "Jan Maat" auf dem Weg zurück.

Auf dem Rückweg sagt Kapitän Holger Fritz, dass er bei besonders belastenden Seebestattungen, wie zum Beispiel bei der Bestattung eines Kindes, zusammen mit seiner Mannschaft ein wachsames Auge auf die Trauernden hat. Auch wenn es ihm noch nicht passiert ist, manchmal ist der Schmerz des Verlustes bei einem Angehörigen so groß, dass Kapitän Fritz einen Sprung über die Reling fürchtet. Darum setzt er auch auf Information:

"Man muss die Leute vor allen Dingen auf die Prozedur vorbereiten und ihnen erklären, wie das funktioniert, was sie hier erwartet und wie das ganze vonstatten geht. Und wenn die Urne im Wasser ist, dann sind die Leute auch sehr viel gelöster, befreiter, weil sie die ganze Schwere des Ereignisses hinter sich haben."

An diesem Tag ist die Trauergemeinde gefasst, wenn auch nicht gelöst. Und ob es ein Dank und ein Gruß von oben wäre, passiert auf der Rückfahrt noch etwas Außerordentliches:

Fritz: "Da sitzt eine Taube, haben wir noch nie gehabt. Da ist eben ein Schwarm Tauben rübergezogen, und die eine hat wohl gedacht, ich fahr jetzt mal mit."
Haben wir noch nie gehabt.
Böttcher: "Die guckt uns zu."
Fritz: "Die guckt uns zu, ja."
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