Verwandlungsraum der Seele

Als in den 1970er Jahren in Schwedens Norden die unverantwortliche Rodung des Waldes begann, entstand bei Kerstin Ekman die Idee für "Der Wald". Was nach einem beschaulichen Spaziergang in romantischer Manier klingt, erweist sich als ein vielschichtiger Essay von poetischer Kraft. Die schwedische Autorin tritt auch in einen spannenden Dialog mit Autoren, die in der Tiefe des Waldes Angst und Schrecken thematisieren.
Kerstin Ekmans Fabel "Der Ruf des Raben" von 2002 beginnt mit einem Ereignis, das einer Urszene gleicht. Eine trächtige Wölfin zieht sich in das Dunkel der Wälder Nordschwedens zurück, um zu gebären. Alles an diesem Vorgang scheint von Gesetzen bestimmt, die wir mit dem Wort "Natur" zu fassen versuchen. Doch was damit gemeint ist, bereitet uns seit Jahrhunderten Kopfzerbrechen und hat eine Vielzahl an wissenschaftlichen Theorien und philosophischen Diskursen provoziert.

Da die schwedische Autorin selbst im nördlichen Roslagen wohnt und die dünn besiedelte, aber waldreiche Region Norrlands zunehmend zu ihrem literarischen Handlungs- und Erzählraum gemacht hat, überrascht ein Buch mit dem Titel "Der Wald. Eine literarische Wanderung" nicht allzu sehr. Doch was in der deutschen Titelübersetzung nach einem beschaulichen Spaziergang in romantischer Manier klingt, erweist sich als ein vielschichtiger Essay von poetischer Kraft.
Der schwedische Originaltitel "Herrarna i skogen" benennt deutlich, in welch illustrer Begleitung sich Ekman auf ihrer kulturgeschichtlichen Wanderung befindet und welche Zeiträume sie durchwandert. Es begleiten sie Ritter und Könige, die hoch zu Ross den Wald durchstreifen, Gelehrte, die seine Flora und Fauna systematisieren und ihn sogar in eine alphabetische Ordnung bringen.

Im Gepäck befinden sich Caesars "De bello gallico" und Tacitus' "Germania", Carl von Linnés "Lappländische Reise" und Charles Darwins "Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl". Ekman verweist mehrfach auf Olaus Magnus, der 1518/19 zu einer Reise nach Norrland aufbrach und mit der "Carta marina" (1539) die erste geografische Darstellung der nordischen Länder in der Renaissance erstellte.

Doch sie tritt auch in einen spannenden Dialog mit Autoren wie Selma Lagerlöf, August Strindberg, Henrik Ibsen und Jean-Jacques Rousseau oder Goethe, die in der Tiefe des Waldes Angst und Schrecken thematisieren und ihn als "Verwandlungsraum" der Seele erkunden.

Ekman unternimmt viele geschichtliche Exkurse, um die Funktion von Waldgeistern und -göttern, Hexen und anderen Wesen zu hinterfragen. Anhand der Hexe "Grýla", die als personifizierte Bedrohung gilt, zeigt sie, dass die Sagenfiguren auch unterhaltsam waren. Sie dienten als Ventil, um von den alltäglichen Schrecken abzulenken.

Grýla stammt aus der mündlichen Kultur und ist erst seit dem 13. Jahrhundert in der "Sverris Saga" und im "Skáldskaparmál", dem Lehrbuch der Dichtkunst aus der "Snorra Edda", erwähnt. Ihre mannigfach wechselnde Gestalt lässt ahnen, wie groß die Kluft zwischen realer Furcht und der Lust am Fabulieren war.

Kerstin Ekman geht es nicht darum, den zahlreichen Kompendien und Lexika, auf die sie in ihrer spannenden Darstellung verweist, ein weiteres hinzuzufügen. Die Idee zu diesem Buch geht in die 1970er Jahre zurück, da in Schwedens Norden die unverantwortliche Rodung des Waldes begann. Den Samen wurde der Lebensraum genommen, und mit dem Wald verschwand auch die Nahrung für die Renntiere, die nun jährlich auf großen Lastern in die unteren Waldgebiete transportiert werden.
Ohne Gericht zu halten, spricht Ekman von einer existentiellen Katastrophe, die für die Regenwälder in aller Munde ist, jedoch im Land der Elche und Elfen nicht vermutet wird. Sie beklagt nicht das Ideal einer fruchtbaren pastoralen Landschaft, die bereits dem Sänger des "Kalevala" als Verlorenes galt. Die Natur ist "keine Traumtapete von Weibulls mit angeordneten Samen". Sie muss gelesen werden, denn sie ist "im menschlichen Gehirn".
Ihren Vorschlag zu einer nachdenklichen Lektüre hat Kerstin Ekman mit diesem Buch unterbreitet.

Rezensiert von Carola Wiemers

Kerstin Ekman: Der Wald. Eine literarische Wanderung
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder
Piper Verlag, München/Zürich 2008
528 Seiten, 24,90 Euro