Verwalterin des Wagnerschen Erbes

Vorgestellt von Tilman Krause · 15.07.2007
Nach dem Tod von Richard Wagner führte seine Frau Cosima das Festspielhaus von Bayreuth. In "Herrin des Hügels" zeichnet Oliver Hilmes das Wirken dieser mächtigen Frau nach und zeigt, dass ohne sie die Bayreuther Festsspiele heute anders aussähen.
"Hier gilt’s der Kunst": Dieses Motto, mit dem Richard Wagner sein Tun im Festspielhaus von Bayreuth zusammenfasste, stimmte bereits zu seiner Zeit nicht. In Bayreuth ging es nie um Kunst allein. Wagner war, wie vielleicht sonst im 19. Jahrhundert nur sein großer Antipode Giuseppe Verdi, immer auch ein politischer Komponist. Richtig politisch wurde es dann in Bayreuth – und zwar nach des Meisters Tod. Er selbst sah in seinen letzten Monaten die Festspielidee als gescheitert an, aber seine Frau Cosima gab sich nicht so leicht geschlagen.

In nimmermüdem Elan hielt sie an der Idee eines allein dem Werk ihres Mannes gewidmeten "Sommertheaters" fest, das eben auch Weltanschauungstheater sein sollte: ein Weihespiel zumal der Mächtigen und zwar zur nationalen Erbauung. Insofern ist erstaunlich, dass der Gefährtin von Wagners zweiter Lebenshälfte von den Biographen bisher nicht die Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die sie verdient. Mit dem brillanten Politologen Oliver Hilmes tritt nun ein Biograph auf den Plan, der erstmals eine akribisch nach den Quellen gearbeitete Lebensbeschreibung vorlegt. Er selbst umreißt seinen Ansatz wie folgt:

"Cosimas Leben berichtet auch vom Aufstieg eines machtvollen Clans. Es geht um Geld, sehr viel Geld, um den Alleinvertretungsanspruch auf ein Kunstwerk sowie um politischen Einfluss. Dass Bayreuth Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem Mekka der Ultrarechten werden konnte, war die Folge einer politischen Tendenzverschiebung in der Wagner-Rezeption. Cosima stellte hierfür die Weichen – der Kult um Wagner wurde so zum Kult des aggressiven Deutschnationalismus. Insofern fielen der Antisemitismus und die 'Hitlerei’ auch nicht erst in den 1920er Jahren sozusagen vom Himmel auf Bayreuth. Brigitte Hamanns Buch 'Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth’ hat eine Vorgeschichte, die hier erzählt wird. Die Wagners wären nicht die Wagners, wenn es nicht auch um viel Getratsche, Streitereien und Intrigen gehen würde. Die Familie des 'Meisters’ war bereits damals immer für einen Skandal gut."

Den Urskandal lieferte freilich Cosima selbst, die Tochter von Franz Liszt und zunächst Ehefrau des Dirigenten Hans von Bülow. Indem sie, noch vor ihrer Scheidung von Bülow, mit Richard Wagner in, wie man damals sagte, wilder Ehe zusammenlebte und noch dazu drei Kinder von ihm bekam, verletzte Cosima in einer für ihre Zeit geradezu ungeheuren Weise die Gesetze der guten Sitten.

Um diesen Bruch mit der Konvention für sich selbst einigermaßen erträglich zu machen, verfiel die streng katholisch erzogene Cosima in eine Art Kult um Richard Wagner, der deutlich Entlastungsfunktion hatte. Indem sie Wagner zum Gott erhob und ihren Ehebruch zur gleichfalls göttlichen Mission empor stilisierte, versuchte sie, das, was sie selbst als ihre "Lebensschuld" bezeichnete, zu büßen. Insofern war auch ihr Dienst am Werke Wagners von glühendem Eifer und quasi bedingungslos.

Dabei war Cosima eine überaus intelligente Frau. Als in Paris erzogene, kosmopolitisch geprägte und gesellschaftlich überaus gewandte Person machte sie sich schon zu Wagners Lebzeiten als seine Muse und Managerin unentbehrlich. Aber ihre Stunde schlug erst richtig nach Wagners Tod 1883. Im Grunde hat sie die Geschicke der Bayreuther Festsspiele bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs ganz allein bestimmt. Und bis zu ihrem Tode – sie starb erst 1930 mit fast 93 Jahren – nahm sie Einfluss, zumal der von ihr auserkorene Nachfolger, Richards und ihr Sohn Siegfried, Wachs in den Händen seiner Mutter war.

Ihn durchzusetzen, war übrigens alles andere als einfach gewesen. Es kostete die Mutter Nerven und einen aufreibenden Prozess - die später sogenannte Beidler-Affäre - der womöglich, wäre er zu einem anderen Zeitpunkt ausgefochten worden, Bayreuth in ganz andere Fahrwasser gebracht hätte. Die Rekonstruktion dieser Kampagne gehört zu den spannendsten Partien des Buches von Oliver Hilmes. Hier macht es sich besonders bezahlt, dass der Autor den Gang auch in die entlegensten Archive nicht gescheut hat und Dokumente zutage fördert, die seit ihrer Abfassung kaum jemand gesehen hat. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf Bayreuth, das man sich auch um 1910 bereits als Treibhaus der Gefühle und Gereiztheiten vorstellen muss.

In ihrer Mitte aber saß Cosima, wahrlich "Herrin des Hügels", und schaltete nach Gutdünken. Unterstützt wurde sie dabei von ihren diversen Beratern, darunter dem unseligen Houston Stewart Chamberlain, einem besonders fanatischen Antisemiten, den sie zum Vordenker von Bayreuth ernannte und mit ihrer Lieblingstochter Eva verheiratete.

Cosimas Wirken war also alles andere als durchgehend segensvoll. Aber es war eben auch durchschlagend, das meint jedenfalls, durchaus überzeugend, ihr Biograph:

"Dass wir die Festsspiele nach 130 Jahren immer noch haben, dass sie mit ihrer zehnfachen Überbuchung jedes Jahr in Flor stehen wie eh und je und dass sie, dies die größte Ungewöhnlichkeit, noch immer in den Händen der Familie liegen, geführt von einem Mann, von Wolfgang Wagner, der – hier wird einem fast schwindlig – mit seinen 87 Jahren der Enkel von Richard Wagner selbst ist, mithin von einem Mann, der 1883 starb, – das alles verdanken wir Cosima. Diese Kontinuität forderte natürlich ihren Preis. Ob dieser Preis wirklich so viel Fassadenhaftigkeit, ideologische Verblendung und Über Leichen Gehen umfassen musste, wie er tatsächlich umfasst hat, wer wollte das so eindeutig beantworten? In Cosimas Augen jedenfalls musste er. Sie hat all ihre nicht unerhebliche Energie daran gesetzt, dass Bayreuth wurde, was es bis heute ist, dass Bayreuth blühte und blieb. Damit hat sie sich selbst ein Stück Unsterblichkeit erworben."

Oliver Hilmes: Herrin des Hügels - Das Leben der Cosima Wagner
Siedler Verlag, München 2007
Oliver Hilmes: Herrin des Hügels
Oliver Hilmes: Herrin des Hügels© Siedler Verlag