Vertretung in eigener Sache
Die Bundesländer haben in Brüssel eigene Vertretungen eingerichtet. Das macht sich gut auf der Visitenkarte, soll aber vor allem den Einfluss der Länder in Brüssel sichern. Was dort entschieden wird, hat direkten Einfluss auf die jeweilige Landespolitik.
Ministerpräsident Stoiber demonstrierte dies sehr deutlich (und freundschaftlich), als er im vergangenen Jahr eine Sitzung des bayerischen Kabinetts in Brüssel anberaumte und abhielt. Auch wenn die Regionen / Bundesländer gerne über die da bei der EU granteln, die Zusammenarbeit funktioniert. Und die Menschen profitieren davon.
Plattdeutsche Liebeslieder aus Mecklenburg am Boulevard St. Michel in Brüssel. Der Sänger und Liedermacher Wolfgang Rieck aus Rostock stimmt EU-Beamte und Europaabgeordnete auf die Tonlage seiner Heimat ein. Anlass: die Wiedereröffnung der Mecklenburg-vorpommerschen Landesvertretung in der Europäischen Hauptstadt.
Sechs Jahre lang wurde das Haus umgebaut. Das war nicht billig, räumt der Direktor des Informationsbüros Mecklenburg Vorpommern ein. Reinhard Boest sagt aber auch, dass es notwendig war:
Boest: "Ich glaube, es ist inzwischen gerade für die deutschen Länder, aber auch für die meisten anderen Regionen Europas völlig selbstverständlich und normal, dass sie hier in Brüssel präsent sind. Einfach weil ein so großer Teil dessen, was national geregelt wird, hier aus Brüssel kommt. Und wenn man einfach nur das erleidet und umsetzen muss, was aus Brüssel kommt, darüber natürlich auch gerne schimpft, ist es besser, die Sachen zu beeinflussen, solange es noch geht. Mit den Möglichkeiten, die man hat, auch wenn sie zuweilen begrenzt sind".
Mecklenburg Vorpommern hat in Brüssel das kleinste aller Länderbüros, doch das sei nicht entscheidend, meint Direktor Reinhard Boest. Wichtig sei, was man daraus macht. Dass Boest und seine Mitarbeiter in Brüssel viele Kontakte pflegen, zeigt sich auch an diesem Abend. Mehr als dreihundert Leute sind zur Wiedereröffnung der Vertretung gekommen.
Begrüßung "Welcome in our new premises in the center of the regions Boulevard ST.Michel … feel home in MePo."
Gäste aus der Heimat, aus Belgien und den europäischen Partnerregionen drängen sich vor den Selbstporträts der Studenten der Grafik- und Designschule Anklam, die die frisch gestrichenen Wände zieren. Poster und Fotos zeigen Mecklenburg-Vorpommern von seinen schönsten Seiten, Broschüren laden zum Urlaub ein. Und Ministerpräsident Harald Ringstorff bewundert die schöne Aussicht aus den großen Fenstern:
Ringstorff: "Strategisch liegt dieses Haus sehr günstig. Auf unserer Beletage haben wir das Europaparlament und die Generaldirektion Regionalpolitik sehr gut im Blick, und darauf kommt es an. Ich bin sicher, dieses Haus wird wieder einen festen Platz in der politischen Landschaft Brüssels finden."
Ministerpräsident Ringstorff ist derzeit oft in Brüssel. Denn Mecklenburg-Vorpommern hat gerade den Vorsitz im deutschen Bundesrat, in dem die Bundesländer vertreten sind. Wenn also in Brüssel über kulturelle Fragen geredet wird, über Fernsehen oder Rundfunk zum Beispiel, dann muss der Ministerpräsident aus Schwerin als deutscher Verhandlungsführer anreisen.
In Kultursachen sind die Länder zuständig, nicht Berlin. Und auch in anderen europäischen Fragen reden die Bundesländer kräftig mit, zum Beispiel bei der inneren Sicherheit.
Beck: "Es geht auch darum, Weichenstellungen im Vorfeld durch Argumente zu beeinflussen."
Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Auch er mischt sich kräftig in Europa ein. Direkt bei den Ministerräten, indirekt bei den Kommissions-Mitgliedern und im Europaparlament und über den Ausschuss der Region beteiligen sich die Länder an den Entscheidungsfindungen.
So ist Rheinland-Pfalz in weinbaurechtlichen Fragen in Europa federführend. Besonders stolz ist Beck aber auf seine Mitwirkung an der Gestaltung der Entsenderichtlinie und an der Entschärfung der Chemikalienrichtlinie.
Beck: "Momentan verhandeln wir gerade über ein gemeinsames Flughafensystem mit dem zuständigen EU-Verkehrskommissar. Und das letzte große Projekt war die Einigung in einem Wettbewerbsverfahren zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zur Rundfunkgebühr. Also an Beteiligungspunkten fehlt es nicht."
Nicht alle EU-Partner sind darüber glücklich. Denn wenn sich Bund und Länder nicht einig sind, tritt Deutschland in Brüssel unentschlossen auf. Vom "German Vote" ist dann die Rede und gemeint ist, dass das größte Land der EU wieder einmal keine Meinung hat, weil sich Berlin und die Landesregierungen nicht einigen konnten.
Kaum ein anderes Land enthält sich bei Abstimmungen in Brüssel so oft der Stimme wie Deutschland. Nur in Belgien haben die Regionen noch mehr Einfluss auf die EU-Politik, sind die Entscheidungsstrukturen für die Partner noch schwerer zu verstehen.
Aber darauf möchten die Ministerpräsidenten nicht eingehen. Für sie steht viel mehr Europas Nutzen für die Menschen im Vordergrund. Beck betont, dass ein exportorientiertes Land wie Deutschland höchstes Interesse an einem funktionierenden europäischen Markt hat.
Beck: "Denn den Löwenanteil von dem, was wir produzieren, verkaufen wir ins europäische Ausland. Und, dass man Fragen wie Klimaschutz nicht mehr national regeln kann, ist in unser aller Bewusstsein gedrungen."
Auch Ringstorff schaut nach vorne und unterstreicht die Bedeutung, die Europa für Mecklenburg-Vorpommern hat.
Ringstorff: "Die Chancen, die Europa unserem Land bietet, nutzen wir konsequent. Und unser besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ostseeraum und der Vertiefung der Beziehung zu unseren polnischen Nachbarn. Darum freue ich mich, dass Vertreter aus diesen Regionen uns heute Abend die Ehre geben."
Die Kontakte zu den Vertretern der polnischen Regionen Pommern und Westpommern sind eng und regelmäßig, berichtet Reinhard Boest, der Direktor des Informationsbüros. Wenn Mecklenburg-Vorpommern und die polnischen Nachbarregionen ein gemeinsames Projekt oder auch ein ähnliches Problem haben, dann überlegen deren Brüsseler Büros zusammen, wie sie am besten in Kommission und Parlament vorsprechen sollten. Denn ganz allein, meint Reinhard Boest, sei es schwer, im europäischen Interessenkampf zu bestehen:
Boest: "Wir wissen natürlich auch, dass es immer einfacher ist, gerade als kleines, armes, ostdeutsches Bundesland Gehör zu finden, wenn man Verbündete hat. Und wir suchen natürlich in allen Fällen, in denen wir hier Anliegen haben, nach Verbündeten, um mit denen gemeinsam unser Anliegen zu formulieren: seien es die ostdeutschen Länder, seien es die norddeutschen Länder, seien es Regionen, grenzüberschreitend aus dem Ostseeraum. Es gibt vielfältige Konstellationen in denen man sich zusammentut und gemeinsam eine Botschaft vorträgt, ein Anliegen, und damit auch leichter Erfolg hat."
Solche Absprachen sind üblich, auch mit den anderen deutschen Bundesländern. Und weil Mecklenburger und Vorpommern in Brüssel das kleinste Länderbüro haben, schonen sie auch mal ihre Kräfte und lassen anderen den Vortritt.
Boest: "Wir werden uns natürlich zurückhalten, in den Fragen bei der Kommission vorstellig zu werden, wo die anderen 15 schon da waren. Wir konzentrieren uns, allein schon deshalb, weil wir nur so wenige sind, auf die Themen, die für Mecklenburg-Vorpommern wirklich wichtig sind. Da ist die Gefahr relativ gering, daß wir als 15. oder auch nur als 10. kommen."
So war das zum Beispiel beim Bau der Ostseeautobahn A 20, als die EU-Kommission auf der Einhaltung der europäischen Natur- und Vogelschutzrichtlinien bestand. Für die anderen Bundesländer war das kein Thema, Schwerin musste den Streit über die Naturschutzauflagen weitgehend alleine mit Brüssel austragen. Aber so sei das eben, sagt Boest, in solchen Situationen sei es umso wichtiger, in Brüssel präsent zu sein.
Boest sieht sich selber als Lobbyist im öffentlichen Dienst. Mit dem Begriff Lobbyist hat er kein Problem. Schließlich, so sagt er, vertrete er in Brüssel die Interessen Mecklenburg-Vorpommerns: der Bürger, der Universitäten, der Kommunen, der Unternehmen und der Gewerkschaften. Zwar gibt es in Brüssel auch Büros der Hochschulverbände, der Unternehmerorganisationen oder auch der Gewerkschaften, aber die müssten eben ganz Deutschland im Blick haben, sagt Boest.
Wenn beispielsweise die Uni in Schwerin an einem ganz speziellen EU-Förderprogramm Interesse hat, dann werde sich der deutsche Hochschulverband sicher nicht so dahinter klemmen können, wie das Büro am Boulevard Saint Michel. Dann sind Boest und seine Kollegen gefordert:
Boest: "Zu erkennen, darauf hinzuweisen und die Leute zuhause motivieren, sich damit zu befassen und die Chancen, die sich dadurch ergeben, auch zu nutzen - das ist unsere Aufgabe."
So hat die Europäische Kommission vor wenigen Wochen ein Maßnahmenpaket zur Energiepolitik verabschiedet. Die Brüsseler Vertretung hat das Paket sofort nach Informationen durchkämmt, die für Mecklenburg-Vorpommern interessant sein könnten. Diese gingen dann an die verschiedenen Regierungsstellen in Schwerin.
Boest: "Dazu gehören zum Beispiel Vorschläge, Konzepte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien oder Biotreibstoffe. Das sind Bereiche, in denen Mecklenburg-Vorpommern eine Kompetenz hat, auch wirtschaftliche Substanz. Im Bereich der Windanlagen z.B. gibt es in Rostock einen großen Windradhersteller. Da ist es wichtig, dass man hier am Ball ist, dass man frühzeitig weiß, was kommt, damit man zuhause sich darauf einstellen und auch reagieren kann."
In Schwerin kümmert sich die Staatskanzlei direkt um Europa. In der zuständigen Abteilung 3 werden alle europäischen Bereiche koordiniert und alle Brüssel betreffenden Angelegenheiten bearbeitet. Das reicht von der Ostseekooperation über die Forschungs- und Tourismusförderung bis zum Schüleraustausch und dem Infrastrukturausbau.
Dr. Rainer Kosmider ist Leiter dieser Abteilung und direkt dem Chef der Staatskanzlei zugeordnet. Ihm liegt besonders die Investitionsförderung am Herzen. Darüber hinaus legt er aber auch großen Wert auf die Begegnungen junger Menschen über die Grenzen hinweg, die ohne europäische Hilfe gar nicht möglich wäre.
Kosmider: "Schwerpunkte setzen wir bei der Förderung von produktiven Investitionen, weil diese der Schaffung von Arbeitsplätzen dient. Weitere Schwerpunkte setzen wir im Bereich der Infrastruktur, das betrifft vor allem die wirtschaftsnahe Infrastruktur wie Straßenbau und Häfen, aber auch Forschungsinfrastruktur und ähnliche Dinge."
Mecklenburg-Vorpommern bleibt bis 2013 Ziel-1-Fördergebiet, hat also weiter höchste Priorität in Brüssel. Das heißt, 2,5 Milliarden Euro können in den nächsten Jahren verteilt werden. Das sind zwar sieben Prozent weniger, als bisher. Doch in der Staatskanzlei ist man zufrieden: "Das ist mehr, als wir erwartet haben", heißt es.
In Zukunft soll mehr als bisher für Existenzgründungen getan werden, vor allem im Umfeld von Hochschulen. Das Credo lautet: Universitäre und unternehmensnahe Forschung, damit hochinnovative Produkte im Land entwickelt werden können.
14 Millionen Euro gingen im letzten Forschungsförderungsprogramm nach Mecklenburg-Vorpommern. Diese Summe soll nach Möglichkeit noch einmal gesteigert werden. Im Mittelpunkt steht weiterhin die Ansiedlung von Unternehmen der Biotechnologie und der Medizintechnik in den Universitätsstädten Rostock und Greiswald.
Das Prinzip: Mit erfolgreicher Forschung Ausgründungen vornehmen, Arbeitsplätze entstehen lassen, Produkte zur Marktreife führen, damit den Standort stärken.
Rund ein Prozent der gesamten europäischen Forschungsförderung konnte Schwerin bisher ins Land holen und damit rund 70 Projekte anschieben.
Ein Beispiel ist "Normolife". Im Jahr 2000 begann mit Unterstützung des europäischen Regional- und Entwicklungsfonds die Entwicklung einer Technologie zur Verbesserung von Schmerzmitteln. Da Erfolge im Bereich der Biotechnologie allerdings bis zu 10 Jahre brauchen, ist langer Atem gefragt, bis die Substanz gefunden ist, aus der die Industrie konkrete Medikamente herstellen kann.
Frühzeitig sind da Unternehmensberater, aber auch Marketingexperten für die Wissenschaftler gefragt. Diese Schnittstelle betreut Frank Graage vom Steinbeiß-Transferzentrum für Technologie. Er half zum Beispiel bei der Gründung einer Firma, die sich mit der Analyse von Nervenzellen beschäftigt. Seine Arbeit begann 2002.
Graage: "Zu der Zeit haben wir eine knapp zwanzig Jahre alte Idee vorgefunden, nämlich Nervenzellen auf Mikrochips zu züchten, und die Nerven, die sich dort verbunden haben, auszuhorchen. Quasi ein kleiner Abhörapparat für ein Gehirn. Im Lauf der fünf Jahre wurde daraus ein System, das nachvollziehbar verlässliche Daten von diesen Nervenzellen liefern kann. Dann haben wir angefangen, Substanzen, die sich als Medikamente zur Schmerzbehandlung eignen sollen, zu testen.. bevor solche Medikamente eben sehr teuer z.B. in klinischen Untersuchungen weiter entwickelt werden."
Das Ziel der Forschungskooperation: Ein Medikament, das Krebspatienten sogar im Endstadium ihrer Krankheit Schmerzfreiheit bringt.
Ein Projekt, das ohne langfristige Unterstützung aus Brüssel in Mecklenburg-Vorpommern so nicht möglich wäre. Damit will sich das Land - neben den Bereichen Tourismus und Landwirtschaft - auch im Bereich Hochtechnologie zukunftsträchtig etablieren.
Gewinn aus Europa, der für die Menschen erst einmal nicht sichtbar ist, sich später aber positiv auswirken wird, heißt es in der Schweriner Staatskanzlei. So verweist Dr. Rainer Kosmider gerne auf die so genannten "Leuchttürme" im Land wie zum Beispiel die Tourismusbranche, die - kräftig unterstützt mit europäischen Mitteln - inzwischen mit acht Prozent einen erheblichen Anteil am Volkseinkommen leistet.
Daneben steht ohne Zweifel das längste Verkehrsprojekt nach der Wiedervereinigung: Die A 20, die nach elfjähriger Bauzeit 2005 fertig gebaut werden konnte. Ohne dauerhafte europäische Förderung wäre die Ostseeautobahn heute noch nicht durchgängig befahrbar.
Kosmider: "Die A 20 ist sicher einer der Leuchttürme, aber der nächste wird die Rügenquerung sein, die im Moment im Bau befindlich ist. Das bedeutet für Rügen eine bedeutende Erleichterung. Bisher musste man den Sund über eine sehr alte Brücke überqueren, die für den Schiffsverkehr immer noch hochgezogen wird. Über diese Brücke läuft der Auto- und der Eisenbahnverkehr mit erheblichen Stauproblemen in der touristischen Saison. Und diese Probleme können wir mit der neuen Hochbrücke, unter der die Schiffe durchfahren können, sehr gut lösen."
Deutschland zahlt nicht nur nach Brüssel, die Menschen bekommen viel davon zurück. Auch die soziale Dimension Europas ist ein wichtiger Punkt für Ministerpräsident Kurt Beck. Er will die Situation der Menschen in Brüssel immer wieder thematisieren.
Beck: "Ich scheue mich dort nicht, auch das Einzelbeispiel eines mittelständischen Unternehmens genauso anzusprechen, wie die Frage beispielsweise, dass wir unsere soziale Kultur dadurch in Frage stellen, dass alles dem Wettbewerb unterworfen wird. Ich frage, was heißt denn das für Caritas und Diakonie in Deutschland? Wollen wir das alles zerschlagen, was da gewachsen ist? Also runter brechen auf die Realitäten, wie sie dann später ankommen bei den Menschen."
Wie Mecklenburg-Vorpommern den Austausch und die Kontakte über die Grenzen hinweg zum Beispiel nach Polen oder Schweden ausbaut und dadurch besonders in den Bereichen Forschung und Werften profitiert, spielt auch für Rheinland-Pfalz die Lage des Landes eine besondere Rolle.
Man sieht sich in einer besonderen Brückenfunktion in der Mitte der Saar-Lor-Lux-Region. Auch mit Lothringen und Ost-Belgien setzt Kurt Beck entsprechende Schwerpunkte.
Beck: "Ich habe eine Zusammenarbeit der Hochschulen auf den Weg gebracht, so dass wir in Zukunft zu gewissen Schwerpunktbildungen zwischen den Hochschulen kommen, dass wir die schnelle Datenverbindungen besser ausbauen und damit partizipieren können an besonderen Lehrveranstaltungen in den jeweiligen Hochschulen. Wir haben einen Jugendaustausch und ein Jugendforum in beiden Großregionen geschaffen, in dem junge Menschen ihre Wünsche artikulieren. Wir tauschen Schülerinnen und Schüler aus, so dass man nicht nur die Sprache sondern auch die Kultur des Nachbarn besser kennen lernt. Es gibt Sportbegegnungsforen und vieles andere mehr – also: Es gibt sehr viel sehr Praktisches."
Plattdeutsche Liebeslieder aus Mecklenburg am Boulevard St. Michel in Brüssel. Der Sänger und Liedermacher Wolfgang Rieck aus Rostock stimmt EU-Beamte und Europaabgeordnete auf die Tonlage seiner Heimat ein. Anlass: die Wiedereröffnung der Mecklenburg-vorpommerschen Landesvertretung in der Europäischen Hauptstadt.
Sechs Jahre lang wurde das Haus umgebaut. Das war nicht billig, räumt der Direktor des Informationsbüros Mecklenburg Vorpommern ein. Reinhard Boest sagt aber auch, dass es notwendig war:
Boest: "Ich glaube, es ist inzwischen gerade für die deutschen Länder, aber auch für die meisten anderen Regionen Europas völlig selbstverständlich und normal, dass sie hier in Brüssel präsent sind. Einfach weil ein so großer Teil dessen, was national geregelt wird, hier aus Brüssel kommt. Und wenn man einfach nur das erleidet und umsetzen muss, was aus Brüssel kommt, darüber natürlich auch gerne schimpft, ist es besser, die Sachen zu beeinflussen, solange es noch geht. Mit den Möglichkeiten, die man hat, auch wenn sie zuweilen begrenzt sind".
Mecklenburg Vorpommern hat in Brüssel das kleinste aller Länderbüros, doch das sei nicht entscheidend, meint Direktor Reinhard Boest. Wichtig sei, was man daraus macht. Dass Boest und seine Mitarbeiter in Brüssel viele Kontakte pflegen, zeigt sich auch an diesem Abend. Mehr als dreihundert Leute sind zur Wiedereröffnung der Vertretung gekommen.
Begrüßung "Welcome in our new premises in the center of the regions Boulevard ST.Michel … feel home in MePo."
Gäste aus der Heimat, aus Belgien und den europäischen Partnerregionen drängen sich vor den Selbstporträts der Studenten der Grafik- und Designschule Anklam, die die frisch gestrichenen Wände zieren. Poster und Fotos zeigen Mecklenburg-Vorpommern von seinen schönsten Seiten, Broschüren laden zum Urlaub ein. Und Ministerpräsident Harald Ringstorff bewundert die schöne Aussicht aus den großen Fenstern:
Ringstorff: "Strategisch liegt dieses Haus sehr günstig. Auf unserer Beletage haben wir das Europaparlament und die Generaldirektion Regionalpolitik sehr gut im Blick, und darauf kommt es an. Ich bin sicher, dieses Haus wird wieder einen festen Platz in der politischen Landschaft Brüssels finden."
Ministerpräsident Ringstorff ist derzeit oft in Brüssel. Denn Mecklenburg-Vorpommern hat gerade den Vorsitz im deutschen Bundesrat, in dem die Bundesländer vertreten sind. Wenn also in Brüssel über kulturelle Fragen geredet wird, über Fernsehen oder Rundfunk zum Beispiel, dann muss der Ministerpräsident aus Schwerin als deutscher Verhandlungsführer anreisen.
In Kultursachen sind die Länder zuständig, nicht Berlin. Und auch in anderen europäischen Fragen reden die Bundesländer kräftig mit, zum Beispiel bei der inneren Sicherheit.
Beck: "Es geht auch darum, Weichenstellungen im Vorfeld durch Argumente zu beeinflussen."
Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Auch er mischt sich kräftig in Europa ein. Direkt bei den Ministerräten, indirekt bei den Kommissions-Mitgliedern und im Europaparlament und über den Ausschuss der Region beteiligen sich die Länder an den Entscheidungsfindungen.
So ist Rheinland-Pfalz in weinbaurechtlichen Fragen in Europa federführend. Besonders stolz ist Beck aber auf seine Mitwirkung an der Gestaltung der Entsenderichtlinie und an der Entschärfung der Chemikalienrichtlinie.
Beck: "Momentan verhandeln wir gerade über ein gemeinsames Flughafensystem mit dem zuständigen EU-Verkehrskommissar. Und das letzte große Projekt war die Einigung in einem Wettbewerbsverfahren zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zur Rundfunkgebühr. Also an Beteiligungspunkten fehlt es nicht."
Nicht alle EU-Partner sind darüber glücklich. Denn wenn sich Bund und Länder nicht einig sind, tritt Deutschland in Brüssel unentschlossen auf. Vom "German Vote" ist dann die Rede und gemeint ist, dass das größte Land der EU wieder einmal keine Meinung hat, weil sich Berlin und die Landesregierungen nicht einigen konnten.
Kaum ein anderes Land enthält sich bei Abstimmungen in Brüssel so oft der Stimme wie Deutschland. Nur in Belgien haben die Regionen noch mehr Einfluss auf die EU-Politik, sind die Entscheidungsstrukturen für die Partner noch schwerer zu verstehen.
Aber darauf möchten die Ministerpräsidenten nicht eingehen. Für sie steht viel mehr Europas Nutzen für die Menschen im Vordergrund. Beck betont, dass ein exportorientiertes Land wie Deutschland höchstes Interesse an einem funktionierenden europäischen Markt hat.
Beck: "Denn den Löwenanteil von dem, was wir produzieren, verkaufen wir ins europäische Ausland. Und, dass man Fragen wie Klimaschutz nicht mehr national regeln kann, ist in unser aller Bewusstsein gedrungen."
Auch Ringstorff schaut nach vorne und unterstreicht die Bedeutung, die Europa für Mecklenburg-Vorpommern hat.
Ringstorff: "Die Chancen, die Europa unserem Land bietet, nutzen wir konsequent. Und unser besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ostseeraum und der Vertiefung der Beziehung zu unseren polnischen Nachbarn. Darum freue ich mich, dass Vertreter aus diesen Regionen uns heute Abend die Ehre geben."
Die Kontakte zu den Vertretern der polnischen Regionen Pommern und Westpommern sind eng und regelmäßig, berichtet Reinhard Boest, der Direktor des Informationsbüros. Wenn Mecklenburg-Vorpommern und die polnischen Nachbarregionen ein gemeinsames Projekt oder auch ein ähnliches Problem haben, dann überlegen deren Brüsseler Büros zusammen, wie sie am besten in Kommission und Parlament vorsprechen sollten. Denn ganz allein, meint Reinhard Boest, sei es schwer, im europäischen Interessenkampf zu bestehen:
Boest: "Wir wissen natürlich auch, dass es immer einfacher ist, gerade als kleines, armes, ostdeutsches Bundesland Gehör zu finden, wenn man Verbündete hat. Und wir suchen natürlich in allen Fällen, in denen wir hier Anliegen haben, nach Verbündeten, um mit denen gemeinsam unser Anliegen zu formulieren: seien es die ostdeutschen Länder, seien es die norddeutschen Länder, seien es Regionen, grenzüberschreitend aus dem Ostseeraum. Es gibt vielfältige Konstellationen in denen man sich zusammentut und gemeinsam eine Botschaft vorträgt, ein Anliegen, und damit auch leichter Erfolg hat."
Solche Absprachen sind üblich, auch mit den anderen deutschen Bundesländern. Und weil Mecklenburger und Vorpommern in Brüssel das kleinste Länderbüro haben, schonen sie auch mal ihre Kräfte und lassen anderen den Vortritt.
Boest: "Wir werden uns natürlich zurückhalten, in den Fragen bei der Kommission vorstellig zu werden, wo die anderen 15 schon da waren. Wir konzentrieren uns, allein schon deshalb, weil wir nur so wenige sind, auf die Themen, die für Mecklenburg-Vorpommern wirklich wichtig sind. Da ist die Gefahr relativ gering, daß wir als 15. oder auch nur als 10. kommen."
So war das zum Beispiel beim Bau der Ostseeautobahn A 20, als die EU-Kommission auf der Einhaltung der europäischen Natur- und Vogelschutzrichtlinien bestand. Für die anderen Bundesländer war das kein Thema, Schwerin musste den Streit über die Naturschutzauflagen weitgehend alleine mit Brüssel austragen. Aber so sei das eben, sagt Boest, in solchen Situationen sei es umso wichtiger, in Brüssel präsent zu sein.
Boest sieht sich selber als Lobbyist im öffentlichen Dienst. Mit dem Begriff Lobbyist hat er kein Problem. Schließlich, so sagt er, vertrete er in Brüssel die Interessen Mecklenburg-Vorpommerns: der Bürger, der Universitäten, der Kommunen, der Unternehmen und der Gewerkschaften. Zwar gibt es in Brüssel auch Büros der Hochschulverbände, der Unternehmerorganisationen oder auch der Gewerkschaften, aber die müssten eben ganz Deutschland im Blick haben, sagt Boest.
Wenn beispielsweise die Uni in Schwerin an einem ganz speziellen EU-Förderprogramm Interesse hat, dann werde sich der deutsche Hochschulverband sicher nicht so dahinter klemmen können, wie das Büro am Boulevard Saint Michel. Dann sind Boest und seine Kollegen gefordert:
Boest: "Zu erkennen, darauf hinzuweisen und die Leute zuhause motivieren, sich damit zu befassen und die Chancen, die sich dadurch ergeben, auch zu nutzen - das ist unsere Aufgabe."
So hat die Europäische Kommission vor wenigen Wochen ein Maßnahmenpaket zur Energiepolitik verabschiedet. Die Brüsseler Vertretung hat das Paket sofort nach Informationen durchkämmt, die für Mecklenburg-Vorpommern interessant sein könnten. Diese gingen dann an die verschiedenen Regierungsstellen in Schwerin.
Boest: "Dazu gehören zum Beispiel Vorschläge, Konzepte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien oder Biotreibstoffe. Das sind Bereiche, in denen Mecklenburg-Vorpommern eine Kompetenz hat, auch wirtschaftliche Substanz. Im Bereich der Windanlagen z.B. gibt es in Rostock einen großen Windradhersteller. Da ist es wichtig, dass man hier am Ball ist, dass man frühzeitig weiß, was kommt, damit man zuhause sich darauf einstellen und auch reagieren kann."
In Schwerin kümmert sich die Staatskanzlei direkt um Europa. In der zuständigen Abteilung 3 werden alle europäischen Bereiche koordiniert und alle Brüssel betreffenden Angelegenheiten bearbeitet. Das reicht von der Ostseekooperation über die Forschungs- und Tourismusförderung bis zum Schüleraustausch und dem Infrastrukturausbau.
Dr. Rainer Kosmider ist Leiter dieser Abteilung und direkt dem Chef der Staatskanzlei zugeordnet. Ihm liegt besonders die Investitionsförderung am Herzen. Darüber hinaus legt er aber auch großen Wert auf die Begegnungen junger Menschen über die Grenzen hinweg, die ohne europäische Hilfe gar nicht möglich wäre.
Kosmider: "Schwerpunkte setzen wir bei der Förderung von produktiven Investitionen, weil diese der Schaffung von Arbeitsplätzen dient. Weitere Schwerpunkte setzen wir im Bereich der Infrastruktur, das betrifft vor allem die wirtschaftsnahe Infrastruktur wie Straßenbau und Häfen, aber auch Forschungsinfrastruktur und ähnliche Dinge."
Mecklenburg-Vorpommern bleibt bis 2013 Ziel-1-Fördergebiet, hat also weiter höchste Priorität in Brüssel. Das heißt, 2,5 Milliarden Euro können in den nächsten Jahren verteilt werden. Das sind zwar sieben Prozent weniger, als bisher. Doch in der Staatskanzlei ist man zufrieden: "Das ist mehr, als wir erwartet haben", heißt es.
In Zukunft soll mehr als bisher für Existenzgründungen getan werden, vor allem im Umfeld von Hochschulen. Das Credo lautet: Universitäre und unternehmensnahe Forschung, damit hochinnovative Produkte im Land entwickelt werden können.
14 Millionen Euro gingen im letzten Forschungsförderungsprogramm nach Mecklenburg-Vorpommern. Diese Summe soll nach Möglichkeit noch einmal gesteigert werden. Im Mittelpunkt steht weiterhin die Ansiedlung von Unternehmen der Biotechnologie und der Medizintechnik in den Universitätsstädten Rostock und Greiswald.
Das Prinzip: Mit erfolgreicher Forschung Ausgründungen vornehmen, Arbeitsplätze entstehen lassen, Produkte zur Marktreife führen, damit den Standort stärken.
Rund ein Prozent der gesamten europäischen Forschungsförderung konnte Schwerin bisher ins Land holen und damit rund 70 Projekte anschieben.
Ein Beispiel ist "Normolife". Im Jahr 2000 begann mit Unterstützung des europäischen Regional- und Entwicklungsfonds die Entwicklung einer Technologie zur Verbesserung von Schmerzmitteln. Da Erfolge im Bereich der Biotechnologie allerdings bis zu 10 Jahre brauchen, ist langer Atem gefragt, bis die Substanz gefunden ist, aus der die Industrie konkrete Medikamente herstellen kann.
Frühzeitig sind da Unternehmensberater, aber auch Marketingexperten für die Wissenschaftler gefragt. Diese Schnittstelle betreut Frank Graage vom Steinbeiß-Transferzentrum für Technologie. Er half zum Beispiel bei der Gründung einer Firma, die sich mit der Analyse von Nervenzellen beschäftigt. Seine Arbeit begann 2002.
Graage: "Zu der Zeit haben wir eine knapp zwanzig Jahre alte Idee vorgefunden, nämlich Nervenzellen auf Mikrochips zu züchten, und die Nerven, die sich dort verbunden haben, auszuhorchen. Quasi ein kleiner Abhörapparat für ein Gehirn. Im Lauf der fünf Jahre wurde daraus ein System, das nachvollziehbar verlässliche Daten von diesen Nervenzellen liefern kann. Dann haben wir angefangen, Substanzen, die sich als Medikamente zur Schmerzbehandlung eignen sollen, zu testen.. bevor solche Medikamente eben sehr teuer z.B. in klinischen Untersuchungen weiter entwickelt werden."
Das Ziel der Forschungskooperation: Ein Medikament, das Krebspatienten sogar im Endstadium ihrer Krankheit Schmerzfreiheit bringt.
Ein Projekt, das ohne langfristige Unterstützung aus Brüssel in Mecklenburg-Vorpommern so nicht möglich wäre. Damit will sich das Land - neben den Bereichen Tourismus und Landwirtschaft - auch im Bereich Hochtechnologie zukunftsträchtig etablieren.
Gewinn aus Europa, der für die Menschen erst einmal nicht sichtbar ist, sich später aber positiv auswirken wird, heißt es in der Schweriner Staatskanzlei. So verweist Dr. Rainer Kosmider gerne auf die so genannten "Leuchttürme" im Land wie zum Beispiel die Tourismusbranche, die - kräftig unterstützt mit europäischen Mitteln - inzwischen mit acht Prozent einen erheblichen Anteil am Volkseinkommen leistet.
Daneben steht ohne Zweifel das längste Verkehrsprojekt nach der Wiedervereinigung: Die A 20, die nach elfjähriger Bauzeit 2005 fertig gebaut werden konnte. Ohne dauerhafte europäische Förderung wäre die Ostseeautobahn heute noch nicht durchgängig befahrbar.
Kosmider: "Die A 20 ist sicher einer der Leuchttürme, aber der nächste wird die Rügenquerung sein, die im Moment im Bau befindlich ist. Das bedeutet für Rügen eine bedeutende Erleichterung. Bisher musste man den Sund über eine sehr alte Brücke überqueren, die für den Schiffsverkehr immer noch hochgezogen wird. Über diese Brücke läuft der Auto- und der Eisenbahnverkehr mit erheblichen Stauproblemen in der touristischen Saison. Und diese Probleme können wir mit der neuen Hochbrücke, unter der die Schiffe durchfahren können, sehr gut lösen."
Deutschland zahlt nicht nur nach Brüssel, die Menschen bekommen viel davon zurück. Auch die soziale Dimension Europas ist ein wichtiger Punkt für Ministerpräsident Kurt Beck. Er will die Situation der Menschen in Brüssel immer wieder thematisieren.
Beck: "Ich scheue mich dort nicht, auch das Einzelbeispiel eines mittelständischen Unternehmens genauso anzusprechen, wie die Frage beispielsweise, dass wir unsere soziale Kultur dadurch in Frage stellen, dass alles dem Wettbewerb unterworfen wird. Ich frage, was heißt denn das für Caritas und Diakonie in Deutschland? Wollen wir das alles zerschlagen, was da gewachsen ist? Also runter brechen auf die Realitäten, wie sie dann später ankommen bei den Menschen."
Wie Mecklenburg-Vorpommern den Austausch und die Kontakte über die Grenzen hinweg zum Beispiel nach Polen oder Schweden ausbaut und dadurch besonders in den Bereichen Forschung und Werften profitiert, spielt auch für Rheinland-Pfalz die Lage des Landes eine besondere Rolle.
Man sieht sich in einer besonderen Brückenfunktion in der Mitte der Saar-Lor-Lux-Region. Auch mit Lothringen und Ost-Belgien setzt Kurt Beck entsprechende Schwerpunkte.
Beck: "Ich habe eine Zusammenarbeit der Hochschulen auf den Weg gebracht, so dass wir in Zukunft zu gewissen Schwerpunktbildungen zwischen den Hochschulen kommen, dass wir die schnelle Datenverbindungen besser ausbauen und damit partizipieren können an besonderen Lehrveranstaltungen in den jeweiligen Hochschulen. Wir haben einen Jugendaustausch und ein Jugendforum in beiden Großregionen geschaffen, in dem junge Menschen ihre Wünsche artikulieren. Wir tauschen Schülerinnen und Schüler aus, so dass man nicht nur die Sprache sondern auch die Kultur des Nachbarn besser kennen lernt. Es gibt Sportbegegnungsforen und vieles andere mehr – also: Es gibt sehr viel sehr Praktisches."