Vertrauensverhältnis

"Die Ukraine wird Freunde brauchen"

Der ehemalige polnische Botschafter, Janusz Reiter, aufgenommen am 03.10.2012 in Warschau.
Der frühere polnische Botschafter in Deutschland, Janusz Reiter © picture alliance / ZB / Arno Burgi
Janusz Reiter im Gespräch mit Christine Watty · 24.02.2014
Das Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine war lange schwierig und galt als historisch belastet. Man habe jedoch eine gemeinsame Geschichte und könne voneinander lernen, so der polnische Ex-Botschafter Janusz Reiter.
Christine Watty: Erst zögerlich, aber dann doch ließ sich am Freitag auch der Maidan-Rat, der Rat der Demonstranten in Kiew, auf die Vereinbarungen ein, die zuvor die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens, die Regierung Janukowitschs und die Vertreter der Oppositionsparteien ausgehandelt hatten. Darin: die zu erfüllende Forderung nach einer Übergangsregierung, eine neue Verfassung, die Untersuchung der Gewaltexzesse während der Demonstrationen und die Benennung der Verantwortlichen.
Dass der Maidan-Rat schließlich zustimmte und der Gruppe der Verhandlungsteilnehmer vor allem auch vertraut hat, das scheint nicht zuletzt zurückzuführen zu sein auf die Reden des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier und des polnischen Kollegen Radoslaw Sikorski. Wie das im Einzelnen ablief, das hört sich nach einer schönen, fast filmreifen Verhandlungssache an, einer in diesem Fall gelungenen Kooperation und natürlich nicht zuletzt einem sehr geschwächten ukrainischen Präsidenten nach der massiven Gegenwehr aus der Bevölkerung. Und genau die, die Bevölkerung, die Demonstranten erreichte offenbar vor allem der polnische Außenminister mit seiner Rede.
Und was bedeutet das für dieses besondere Verhältnis Polens zur Ukraine und umgekehrt? Das haben wir vor der Sendung besprochen mit Janusz Reiter, Diplomat und ehemaliger Botschafter Polens. Und ich habe ihn zunächst gefragt: Sikorski hat sich direkt auf Augenhöhe begeben mit den Demonstranten in Kiew, er hat von den Fehlern der polnischen Solidarnosc-Bewegung im Jahr 1981 gesprochen, er hat sie ermutigt, zuzustimmen, weil es eben derzeit nichts Besseres gebe. Wie groß war damit Polens Anteil am Umschwung in der Ukraine?
Janusz Reiter: Ich glaube, Sikorski hat seine Glaubwürdigkeit als ein Vertreter eines Landes, in dem es historische Situationen gab, die mit der ukrainischen vergleichbar waren. Und es gab solche Situationen, in denen Polen richtig gehandelt hat, und es gibt Diskussionen, ob es eben auch nicht versäumte Chancen gab. Auf jeden Fall, die Situation, in der die Ukraine ist, erinnert eher an die von Polen in den 80er-Jahren als an die von den etablierten westeuropäischen Mächten. Und deshalb hat der Hintergrund von Sikorski hier eine gewisse Bedeutung. Und die Handlungsmöglichkeiten von ihm aber sind nur so groß, weil eben neben ihm die Vertreter von Deutschland und Frankreich stehen. Insofern bringen die drei, brachten die drei, insbesondere der Deutsche und der Pole, zwei verschiedene Erfahrungen ein, die sich sehr gut ergänzten.
Watty: Der polnische Außenminister hat also die richtigen Worte gefunden. Ist er für die Ukrainer besonders vertrauenswürdig als einer, der die Solidarnosc-Bewegung im Guten wie im Schlechten miterlebt hat, sodass man fast davon sprechen könnte, dass er eine Art des großen Bruders in dem Moment darstellt?
"Polen ist für die Ukraine ein Bezugspunkt"
Reiter: Nein, kein großer Bruder, sondern Polen ist für die Ukraine doch ein Bezugspunkt in dem Sinne, dass die Ukrainer sich daran erinnern, wo sie und wo Polen vor über 20 Jahren waren, in den Wendejahren 89/90, und wo Polen heute steht und wo die Ukraine heute steht. Ich glaube, es gibt keinen anderen Vergleich, der zeigt, wie ein Land seine Chance wahrnehmen kann und wie ein anderes Land diese Chance nicht von dem Volk verschuldet, aber eben verpasst. Und die Ukrainer wollten jetzt ihre Chance endlich wahrnehmen können. Und dafür hat das polnische Beispiel eine Erfolgsgeschichte, trotz aller Probleme, die Polen wie alle Länder haben, eine Erfolgsgeschichte. Dieses Beispiel hat für die Ukrainer doch eine gewisse Vorbildfunktion.
Watty: Aber welche Bedeutung hat Polen im Allgemeinen für die Ukraine, also jetzt mal abgesehen von der Parallelität der Geschichte des Umbruchs, die sich da ja gerade offenbar zeigt?
Reiter: Polen ist vor allem das Land in der Europäischen Union, das sich auch in den vergangenen Jahren immer am stärksten und am konsequentesten für die Interessen der Ukraine in der Europäischen Union eingesetzt hat. Dafür hatte Polen nicht immer genug Einfluss, aber Polen hat diese Position immer vertreten. Und es ist ein Land, das die Ukraine wegen der langen, auch komplizierten gemeinsamen Geschichte, ich glaube, besonders gut versteht. Und das weiß man in der Ukraine und ich glaube, das Vertrauen in Polen wurde durch die Entwicklung der letzten Wochen in der Ukraine gefestigt. Dabei muss man aber sagen, das ist nichts Selbstverständliches, denn dieses Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine ist historisch eigentlich ein sehr schwieriges Verhältnis gewesen. Also, das Vertrauen in Polen auf der ukrainischen Seite und die Begeisterung für die Ukraine auf der polnischen Seite, das ist eine historische Sensation. Einer dieser großen Wandel, die in Europa stattgefunden haben nach dem Zweiten Weltkrieg.
Watty: Woran genau würden Sie diese historische Sensation, wie Sie es nennen, festmachen, in diesem Verhältnis?
Reiter: Ja, zum Beispiel darin, dass polnische Politiker wie Sikorski in der Ukraine als Vermittler akzeptiert werden, als Menschen, denen man vertrauen kann, auf deren Wort man hört. Und polnische Vertreter wurden auf dem Maidan umjubelt. Polen gilt dort als ein Freund. Und wenn man die Geschichte der beiden Völker sich anschaut, dann weiß man, das ist überhaupt nicht selbstverständlich.
Watty: Aber wenn Sie von einer Sensation sprechen, dann trägt das natürlich auch den Fakt des Unerklärlichen in sich. Könnten Sie trotzdem aus Ihrer Sicht versuchen zu erklären, wie es denn dazu kommen konnte, dass Sie vor allem auch in diesem Zusammenhang so oft das schöne Wort des Vertrauens benutzen können zwischen Polen und der Ukraine?
"Vertrauen wurde langsam aufgebaut"
Reiter: Darin ist nichts Unerklärbares, sondern das ist das Ergebnis von Jahrzehnten von Versuchen, Brücken zu bauen auch schon in der kommunistischen Zeit vonseiten der polnischen Opposition. Große Teile der polnischen demokratischen Opposition haben schon in den 70er- und vor allem in den 80er-Jahren von der Ukraine als eine der großen Aufgaben der polnischen Politik gesprochen und sie fanden auf der ukrainischen Seite auch Partner dafür, das waren kleine Minderheiten, aber sie spielten eine wichtige Rolle. Und seit den 80er-, seit den 90er-Jahren hat die polnische Politik sich immer sehr stark um die Ukraine gekümmert. Das Vertrauen wurde also langsam aufgebaut, es gab auch Rückschläge, aber das kam nicht überraschend, sondern das ist das Ergebnis von Bemühungen von Menschen auf beiden Seiten über einige Jahrzehnte.
Watty: Janusz Reiter, ehemaliger Botschafter Polens und Gründer des Zentrums für internationale Beziehungen in Warschau, im Gespräch im "Radiofeuilleton". Wenn wir jetzt in die Zukunft schauen: Welche konkreten Chancen bietet denn jetzt diese Verbindung Ukraine-Polen für das, was der Ukraine jetzt bevorsteht? Wo würden Sie den Ukrainern raten, sich von Polen ganz konkret noch mehr abzuschauen?
Reiter: Wir wissen nicht, was in der Ukraine noch bevorsteht. Wir wissen, es stehen ihnen schwierige, ungewisse Zeiten bevor, die Ukraine wird Freunde brauchen, sie wird mehr als zwei oder drei Freunde brauchen. Sie wird auch immer wieder solche brauchen, die ihr mit gutem Rat beistehen, aber wohl wissen, dass die Entscheidungen in der Ukraine selbst getroffen werden müssen. Es gibt Vergleichbarkeit von Situationen, aber man kann nicht sagen, dass die polnische Erfahrung jetzt eins zu eins kopiert werden kann in die Ukraine. Es ist eine Inspiration, die Suche nach dem Kompromiss. Aber welche Schlussfolgerungen man aus den Erfahrungen eines anderen Landes zieht, das ist eine Sache der Elite im jeweiligen Land, in diesem Falle der ukrainischen Elite.
Watty: Sie sprechen, wie gesagt, viel von Vertrauen und auch einer Freundschaft zwischen diesen beiden Ländern. Welche sind denn die übriggebliebenen Vorbehalte der Nachbarn gegenüber einander?
Reiter: Das ist ein Verhältnis, das belastet war durch die gemeinsame Geschichte, wo Polen in den Gebieten der heutigen Ukraine eine Oberschicht darstellte, in der Westukraine vor allem, wo dann der neue ukrainische Nationalismus aufstieg gegen Polen. Es gab im Zweiten Weltkrieg tragische Ereignisse in dem Verhältnis zwischen der Ukraine und Polen, und nach dem Zweiten Weltkrieg … Also, das ist eins der schwierigsten Verhältnisse in Europa zwischen zwei Völkern.
Aber der Zustand dieses Verhältnisses heute zeigt eben auch: Es gibt keinen Fatalismus von Feindschaft und ich glaube, auch das kann für die Ukrainer eine Ermutigung sein. Dieses Land verdient, dieses Volk verdient wirklich ein besseres Schicksal als das, was es bisher erlebt hat. Und ich glaube, dass der Wandel der Beziehungen, des Verhältnisses mit Polen eben ein Beleg dafür ist, dass die Ukrainer bei allen Problemen fähig sind und willens sind, die europäischen Spielregeln zu akzeptieren. Denn die Fähigkeit, sich die eigene Geschichte aus einer gewissen Distanz anzuschauen und in diesem Sinne das Verhältnis zu einem Nachbarland neu zu überdenken, das gehört eben zum Wesen des europäischen Projektes!
Watty: Danke schön an Janusz Reiter, Diplomat und ehemaliger Botschafter Polens über das Verhältnis Polen-Ukraine!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema