Vertiefung der Elbe in Hamburg

Darum muss gebaggert werden - oder eben nicht

Ein Saugbaggerschiff befreit am Samstag (24.04.2010) im Sonnenschein die Fahrrine der Elbe bei Hamburg vom Schlamm.
Ein Baggerschiff in der Fahrrinne der Elbe bei Hamburg © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Axel Peter Schröder · 23.02.2015
Die Elbe soll tiefer werden - und breiter, damit auch die größten Frachtschiffe den Hafen voll beladen anfahren können. Die Gegner beklagen den Eingriff ins Ökosystem. Im Frühjahr soll der Europäische Gerichtshof über die Zulässigkeit des Mammutprojekts entscheiden. Bei der Hamburger Hafenwirtschaft liegen - nach den jahrelangen Verzögerungen - die Nerven blank.
Ohne die Elbe, kein Hamburg. Die ersten von Stadtarchäologen nachgewiesenen Siedlungen am breiten Fluss bauten die Menschen im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Perfekt gelegen an den Zuflüssen von Alster und Bille. Einzige Voraussetzung für das Wachstum der Siedlung: die Schiffbarkeit des Flusses. Ausreichender Tiefgang für die Lastkähne. Dämme werden aufgeschüttet, Schleusen gebaut, kleine Kanäle gegraben. Im Museum für Hamburgischen Geschichte lässt sich die Metamorphose der Elbe in Zeitraffer erleben. Lisa Kosok, die Museumsleiterin erklärt, wie die Hamburger schon vor Jahrhunderten in den Lauf der Elbe eingriffen:
"Es gibt natürlich auch technische Möglichkeiten, Anlagen zu bauen. Aber auch das Bedürfnis und das Bewusstsein, dass man sich dieser Natur bemächtigt und dass man sie sich sozusagen Untertan macht. Und das führt dann eben auch dazu, dass man diesen Fluss angeht. Dass man ihn beginnt, einzudeichen, dass man eben Flussbegradigungen vornimmt…"
… und 1548 entsteht die sogenannte "Düpe", die "Tiefe-Kommission". Sie wacht über die Wassertiefen im Hafen, in den Fleeten und Kanälen. Schickt ihre Mitarbeiter, die Fleetenkieker bei Ebbe los, um den Müll vom Schlick zu sammeln und Untiefen zu melden. Keine 30 Jahre später, Mitte des 19. Jahrhunderts, wird die Elbe zum ersten Mal vertieft. Auf bescheidene 3,50 Meter. Keine fünfzig Jahre später werden dafür die ersten Dampfbagger eingesetzt, bringen den Fluss auf 4,80 Meter Tiefe. Hafenbecken werden gegraben, Flussmündungen verlegt, ganze Stadtviertel abgerissen, um Platz für den Handel zu schaffen.
"Da ist nichts mehr natürlich. Dieser Hafen ist eine künstlich angelegte Architektur. Die das Wasser reguliert mit Schleusen, mit Begradigungen, mit Deichen. Also, die Vertiefungen gehören einfach insgesamt zur Sicherung dieses Schifffahrts- und Verkehrsweges."
Heute laufen jedes Jahr rund fast 10.000 Frachtschiffe den Hamburger Hafen an. Beladen mit Containern, Massen- oder Stückgut. Die Elbe hat einen Tiefgang von 13,50 Metern. Bislang können Schiffe mit rund 10 bis 14.000 Containern an Bord, mit 10 bis 14.000 TEU, so die Maßeinheit, den Hafen problemlos erreichen. Die größten ihrer Art können aber schon heute über 18.000 TEU tragen, liegen tiefer im Wasser und würden auf Grund laufen. Deshalb soll, wenn es nach dem Willen von Gunther Bonz geht, der Fluss noch einen Meter tiefer werden. Bonz ist Präsident des Unternehmensverbands Hafen und Geschäftsführer des Terminalbetreibers Eurogate:
"Wenn die Schiffe nicht vollbeladen Hamburg anfahren können, die neuen großen Schiffe, die die neuen Lastesel der Weltwirtschaft sind – 10.000 TEU und größer, für die ist die Fahrrinnenanpassung gedacht – wenn die die nicht voll beladen anfahren können, haben die Reeder ökonomische Nachteile und fahren Hamburg weniger häufig an."
Reger Betrieb herrscht am Montag (15.08.2011) auf dem Container Terminal Tollerort der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) in Hamburg.
Reger Betrieb auf dem Container Terminal Tollerort der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) in Hamburg.© picture alliance / dpa / Christian Charisius
Dass der Hamburger Hafen gerade neue Rekordumsätze melden konnte, liegt, so Gunther Bonz, an dem Mehraufwand, der für eine engere Taktung der Lade- und Löschoperationen betrieben wird. Erst im Herbst letzten Jahres hat Eurogate zusammen mit dem Konkurrenten HHLA dazu eine gemeinsame Steuerzentrale in Betrieb genommen, die Nautische Terminalkoordination. Von der HHLA heißt es: die Aufwendungen, um die Auswirkungen der ausstehenden Elbvertiefung abzufedern, beliefen sich jedes Jahr auf einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Gunther Bonz öffnet sein Bürofenster, zeigt die Ausmaße des Eurogate-Terminals. Dutzende von sogenannten Van-Carriern, zwanzig Meter hohen Spezialtransportern kurven unter dem diesig-grauen Himmel über das weiter Gelände, bugsieren bis zu drei Container übereinander zu den Schiffen oder auf die Lagerflächen.
"So ein Container-Terminal hat eine Länge hier von zwei Kilometern. Da bekommen sie zehn Fußballfelder hintereinander drauf. Hat eine Tiefe von 600 Metern. Und dann haben sie an der Kaikante eben drei oder vier große Schiffe liegen, die pro Schiff bei einem Be- und Entladevorgang zwischen sechs- und neuntausend Container abgeladen werden. Und dann haben sie hier mal locker, wenn sie das zusammenzählen über 1000 Beschäftigte allein hier auf dem Terminal, die hier die Waren bewegen. Und das ist ein Vorgang, das ist wie ein Ameisenhaufen. Da ist ständig was in Bewegung."
Und zwar 24 Stunden pro Tag. Ob die Elbe vertieft werden darf, entscheidet das Leipziger Bundesverwaltungsgericht in diesem Frühjahr. Fast 15 Jahre nach Beginn der ersten Planungen, die Gunther Bonz als Staatsrat in der Hamburger Wirtschaftsbehörde mit auf den Weg gebracht hat. Nicht nur tiefer, sondern streckenweise auch breiter soll die Elbe werden, damit die ganz großen Schiffe einander in sogenannten "Begegnungsboxen" problemlos passieren können. Wegen des Eingriffs ins Ökosystem der Elbe soll es zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen geben. Aber all diese Maßnahmen werden nicht reichen, erklärt Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des BUND. Zusammen mit dem Naturschutzbund und dem WWF hat der BUND das Instrument der Verbandsklage genutzt, um das Mammutprojekt zu stoppen.
"Sie haben mit einer Verschlechterung der Sauerstoffsituation zu rechnen! Wir haben in den Sommermonaten auf der Höhe Wedel / Blankenese regelrechte Sauerstofflöcher. Das ist sehr problematisch insbesondere für Wanderfische, die durch diese Barriere dann schwimmen müssten. Bestimmte Pflanzenarten, die Salzwasser nicht tolerieren, würden dann in ihrem Lebensraum verdrängt werden. Da s wäre deshalb von Bedeutung, weil es weltweit nur noch den Schierlingswasserfenchel in Hamburg gibt, im Großraum Hamburg. Diese weltweit sehr seltene Pflanze ist nach europäischem Recht geschützt und deren Lebensraum ist zu erhalten."
Im Kern geht es beim Verfahren vor dem Leipziger Bundesverwaltungsgericht darum, ob die Vertiefungs- und Verbreiterungspläne gegen die im Jahr 2000 erlassene Europäische Wasserrahmenrichtlinie verstoßen oder nicht, so Manfred Braasch:
"Das Europäische Wasserrecht gibt vor, dass die Qualität der Flüsse nicht verschlechtert werden darf und dass sie sogar in einen besseren Zustand gebracht werden müssen in den nächsten Jahren. Dieses Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot wird juristisch sehr hoch gehängt. Und wir stellen ja jetzt fest, dass die Elbvertiefung genau gegen diese Vorgaben verstoßen wird."
Trotz Wasser-Verschlechterungsverbot könnte gebaggert werden
Um die Europäische Wasserrahmenrichtlinie geht es auch im Gerichtsverfahren gegen die Weservertiefung. Und wie die Richtlinie auszulegen sei, wird gerade vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt. Deshalb warten die Richter in Leipzig mit ihrer Entscheidung zur Elbvertiefung auf das Urteil ihrer Luxemburger Kollegen. Erwartet wird deren Richterspruch noch in diesem Frühjahr. Aber selbst wenn die Hamburger Pläne für die Elbvertiefung gegen das Verschlechterungsverbot der Wasserrahmenrichtlinie verstoßen sollte, bliebe eine Möglichkeit, das Projekt doch noch umzusetzen, erklärt Hans Heinrich Witte, Präsident der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Seine Behörde hat alle Details der Operation ausgearbeitet und im Planfeststellungsbeschluss zusammengefasst:
"Auch wenn es Verschlechterungen gibt, gibt es die Möglichkeit einer Ausnahmeprüfung. Dass trotz einer Verletzung sozusagen des Verschlechterungsverbotes die Maßnahme gemacht werden kann, wenn überwiegende andere Interessen dahinterstehen."
Diese "überwiegend anderen Interessen" könnten die Arbeitsplätze im Hafen sein, die Steuereinnahmen, die der Freien und Hansestadt durch die Hafenwirtschaft zufließen.
Welche Bedeutung der Hafen für die Stadt hat, erklärt Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch. Der einzige parteilose unter den Senatoren. Davor Geschäftsführer der Blohm & Voss-Werft, Präses der Handelskammer.
"Wenn sie das über Beschäftigte, über Volumen, Bruttoinlandsprodukt nehmen, dann ist eben das Steueraufkommen aus dem Hamburger Hafen immerhin 800 bis 900 Millionen Euro. Und das ist eben ein Gradmesser der Bedeutung des Hafens. Da kommt ja noch sehr viel mehr dazu. Aber diese Gesamtheit an Wohlstand, an Wertschöpfung, was den Hafen und die damit verbundene Wirtschaft angeht. Das ist schon eine ganz, ganz starke Leistung, die hier aus dem Hamburger Hafen generiert wird. Und um das abzurunden: Möglichkeiten der Beschäftigung im Hamburger Hafen, der Wertschöpfung. Das sind Arbeitsplätze!"
Wie viele Menschen genau bei den Terminalbetreibern Eurogate und der Hamburger Hafen- und Logistik AG, der HHLA, arbeiten, erklärt Gunther Bonz:
"Allein bei diesen beiden Unternehmen sind das so round-about 10.000. Aber insgesamt sind in diesem Hafengebiet – das ist ja das größte geschlossene Hafen-, Industrie- und Gewerbegebiet Deutschlands – über 40.000 direkt und indirekt über 120.000 Menschen tätig. Und wenn an diesen Grundlagen negativ gearbeitet wird, mit negativen Einflüssen, dann hat das immer negative Auswirkungen."
Die Argumentation ist klar: weil die Containerschiffe immer größer werden, dadurch tiefer im Wasser liegen, muss die Elbe vertieft werden. Sonst geraten viele 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr.
Zweifel an den Argumenten der Hafenwirtschaft haben Ernst-Otto Schuldt und Dirk Weber. Seit acht Jahren kämpfen sie gegen die Elbvertiefung. Organisieren zusammen mit ihren Mitstreitern Informationsveranstaltungen, sammeln Daten und Fakten über das Projekt. Die beiden Rentner stehen am südlichen Elbstrand im Alten Land. Nur der Deich hinter ihnen trennt sie vom einem der größten Obstanbaugebiete Deutschlands. 36 Jahre lang hat Ernst-Otto Schuldt bei der Wasserschutzpolizei gearbeitet. Er ist hier aufgewachsen, stapft über den hellen Sandstrand.
"Das ist auch so ein idyllischer Platz hier. Wir haben hier ungefähr 100 Meter elbab so ein kleines Stückchen Sandstrand. Ganz selten geworden in diesem Bereich. Früher war hier sehr viel Sandstrand, Wildwuchs an Reet und Bäumen. Da haben wir als Kinder und Jugendliche Cowboy und Indianer gespielt. Das war ja vor 50 Jahren so in etwa das Spiel überhaupt. Heute würde man das als 'Outdoor-Aktivitäten' bezeichnen."
Liegestühle am Elbstrand in Hamburg 
Liegestühle am übrig gebliebenen Elbstrand in Hamburg - früher war hier sehr viel mehr Sandstrand, erzählt Vertiefungsgegner Ernst-Otto Schuldt.© dpa/picture alliance/Bodo Marks
Ernst-Otto Schuldt ist Mitherausgeber des Buchs "Wahr-Schau", das sich in 20 Beiträgen von Vertiefungs-Gegnern und Wissenschaftlern mit den geplanten Baggerarbeiten beschäftigt. Bei der "Wahr-Schau" – mit "h" – geht es darum, Wahrheiten über das Projekt aufzudecken. Mit dem Ruf "Warschau" – ohne "h" – warnen sich Seeleute, wenn Gefahr droht.
Ernst-Otto Schuldt und Dirk Weber schauen rüber zur Halbinsel Hahnöfersand, die im milchig-grauen Dunst verschwimmt. In der Ferne brummt ein Schiffsdiesel. Neue Containermassen auf dem Weg in den Hamburger Hafen. Auf dieser Höhe soll die sogenannte Begegnungsbox entstehen. Die Fahrrinne soll verbreitert werden, damit ein- und auslaufende Schiffe einander passieren können:
"Wir können hier die Steuerbordseite des Fahrwassers sehen, die grünen Tonnen. Und da drüben, auf der anderen Seite die rote Tonne. Dadurch wird die Lage der tiefen Rinne, des eigentlichen Fahrwassers markiert. Und es ist beabsichtigt, weil man drüben auf der Nordseite nicht weiter aufs Land zugehen kann, die 135 Meter in diese Richtung zu verlegen. Und man kann hier schon sehen, dass das Deichvorland knapp halb so breit ist wie der Deichfuß, also kaum Deichvorland. Das war früher alles Sandstrand und es vor Jahren schon mal Sand vorgespült worden und das ist binnen kürzester Zeit wieder abgetragen worden. Daran kann man mal sehen, welche Kräfte hier am Ufer eigentlich nagen."
Und mit der Vertiefung der Elbe wird die Fließgeschwindigkeit der Elbe noch steigen. Und deshalb, so die Befürchtung vieler Menschen hinter den Deichen, von Hamburg bis Cuxhaven, könnte die Sicherheit der Flutschutz-Bauwerke leiden. Das Argument: ohne Elbvertiefung sei der Hafen in Gefahr und mit ihm viele der über 120.000 Arbeitsplätze, will Schuldt nicht gelten lassen. Andere Studien würden viel weniger Beschäftigte der Hafenwirtschaft zurechnen:
"Das ist auch schon widerlegt. Da haben sich auch schon Arbeitsplatzexperten drum gekümmert. Professor Dieter Läpple zum Beispiel, der hat mal gesagt: 'Das sind Mondzahlen, die nie offengelegt worden sind und die auch nicht nachzuvollziehen sind!' Wie gesagt: ich bin kein Experte. Aber diese Zahlen sind so unglaublich hoch und das kann man sich nicht erklären. Das würde bedeuten, dass jeder aktive Arbeitsplatz im Hafen 30 weitere, jeder einzelne, 30 weitere generieren würde. Da kommen wir dem Perpetuum mobile schon sehr nahe, würde ich sagen."
Ernst-Otto Schuldt verweist auf eine Studie des World Wildlife Funds, des WWF. Die Autoren kommen darin zum Schluss, dass die bislang genannten Arbeitsplatzzahlen der Hafenwirtschaft einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Die wiederum stammen aus der der sogenannten "Planco"-Studie, die – so das WWF-Gutachten – gravierende Mängel hätte.
Im Wohnzimmer von Ernst-Otto Schuldt sortiert Dirk Weber seine Unterlagen. Noch mehr Argumente gegen die Elbvertiefung. Kaffeegeschirr und Plätzchen stehen auf dem Tisch. An den Wänden hängen Zeichnungen von Schiffen auf hoher See, das Modell eines Dreimasters steht in der Glasvitrine in der Ecke. Seit Jahren dokumentiert Dirk Weber, ein Hamburger Kaufmann im Ruhestand die Tiefgänge der ein- und auslaufenden Schiffe. Diese Daten sind frei zugänglich und, so Weber, und sie offenbarten etwas Erstaunliches:
"Dann haben wir festgestellt, dass die Schiffe im Durchschnitt durchaus 2,49 Meter tiefer hätten einlaufen können als sie im Durchschnitt eingelaufen sind. Die Ladung haben sie nicht gehabt. Dazu bestand aber offenbar auch keine wirtschaftliche Nachfrage. Und auslaufend war die Reserve bei 1,33 Meter. Ungenutzte Tiefgangsreserve."
Nicht alle Großschiffe brauchen den maximalen Tiefgang
Übersetzt heißt das: die in den Hamburger Hafen ein- und auslaufenden Großschiffe hätten bis heute keinerlei Probleme mit der Wassertiefe. Eine Elbvertiefung wäre also gar nicht nötig. Große Hoffnungen, dass ihre Argumente gehört werden, haben Ernst-Otto Schuldt und Dirk Weber nicht. Ihren Kampf aufgeben werden sie aber nicht.
Der Chef des Unternehmensverbands Hamburg Gunther Bonz hält von den Argumenten der beiden Aktivisten nichts. Natürlich würden nicht alle Schiffe den maximal möglichen Tiefgang ausnutzen. Trotzdem gäbe es Probleme:
"Also, Durchschnittsberechnungen haben es ja immer so an sich… Wir stellen fest, dass allein im letzten Jahr über 500 Großschiffe Hamburg angefahren haben, die Super-Container-Schiffe, für die Fahrrinne erforderlich ist. Und eins ist doch klar: ein Schiff fährt nur dann in den Hamburger Hafen ein, wen es genügend Wasser unter dem Kiel hat. Ich kann ihnen aus dem letzten sagen, also Oktober, November, Dezember, dass mindestens 20 Schiffsanläufe nicht reinkamen, weil nicht genügend Wasser in der Elbe war für diese Schiffe. Die dann umgedreht sind und in andere Häfen gegangen sind. Man muss eben auch gucken, wo es nicht funktioniert hat und nicht nur gucken, wo es funktioniert hat. Ist ja schön, wenn die Schiffe reinkommen, aber diese Durchschnittsstatistiken… – glaube keiner Statistik, es sei denn, man hat sie selbst gefälscht."
Sicherlich, so Gunther Bonz, würden ohne die Fahrrinnenanpassung nicht alle Arbeitsplätze im Hafen verloren gehen. Immerhin kommen auch viele Container nur deshalb nach Hamburg, weil die Waren vor Ort weiterverarbeitet werden. Diese sogenannte Loco-Quote ist in Hamburg, im Vergleich zu Rotterdam, besonders hoch.
"Das ist die Kuchentheorie: wir haben ein Drittel der Ladung, ein Drittel des Kuchens ist hier loco. Das ist, wen wir wirtschaftspolitisch nichts verkehrt machen, relativ safe. Das ist aber, wenn sie es auf das Volumen des Hamburger Hafens nehmen – 10 Millionen TEU machen wir jetzt – dann sind das drei oder vier Millionen. Das ist lokale Ladung, die ist sicher. Die kommt dann nicht mit dem großen Schiff, sondern irgendwie. Die kann auch über das Hinterland kommen, über Bahn oder Truck, wenn wir hier die Fahrrinne nicht kriegen. Aber alles andere ist gefährdet."
Und diese Ladung könnte der Hamburger Hafen dann an die Konkurrenz in Rotterdam oder Antwerpen verlieren, warnt Gunther Bonz. Und auch eine engere Kooperation mit dem noch unausgelasteten Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, mit dem Jade-Weser-Port würde die Elbvertiefung nicht überflüssig machen. Diese Idee einer norddeutschen Hafenkooperation führen die Kritiker des Projekts als mögliche Lösung an: alle Schiffe mit zu großem Tiefgang sollten den Jade-Weser-Port anlaufen, die kleineren könnten dann weiter nach Hamburg fahren. Burkhard Lemper vom Bremer Institut für Seeschifffahrt und Logistik hat Zweifel, ob dieser Plan tatsächlich umsetzbar ist:
"Die Steuerung von Linien, die Steuerung von Schiffen – die großen Schiffe hierhin, die kleinen Schiff in den anderen Hafen – das funktioniert eben nicht. Das ist letztlich eine Entscheidung der Reeder. Man kann versuchen, die Rahmenbedingungen zu schaffen. Aber wenn man das nicht hinbekommt, dann sind die Reeder eben nicht weg aus Hamburg und hin nach Wilhelmshaven oder Bremerhaven oder umgekehrt. Sondern sie sind dann möglicherweise auch in Rotterdam."
Die Leipziger Verwaltungsrichter haben bereits verkündet: im Großen und Ganzen ist der Planfeststellungsbeschluss zur Elbvertiefung nicht zu beanstanden. Nötig seien aber noch Nachbesserungen. Und fraglich bleibt, ob die Europäische Wasserrahmenrichtlinie sich mit de Plänen verträgt. Fest steht aber schon heute: auch nach der neunten Elbvertiefung seit 1815, auch wenn die Elbe auf den 100 Kilometern von Hamburg bis Cuxhaven von 13,5 auf 14,5 Meter vertieft wird, werden die größten Containerschiffe mit über 18.000 Stahlboxen an Bord den Hafen der Hansestadt nicht vollbeladen anlaufen können. Und eine zehnte Elbvertiefung, die sich Gunther Bonz ausdrücklich wünscht, wird es – das scheint sicher – nicht mehr geben.
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