Verteidigung des Privaten gegen die Zumutungen der Gesellschaft

Rezensiert von Claudia Kramatschek · 28.09.2005
Wie sich die politische Geschichte in das private Leben der Menschen hinein auswirkt, das ist ein Thema, das sich in allen Romanen der 1973 in Karatschi geborenen Autorin Kamila Shamsie wieder findet. Auch in ihrem neuen Roman "Verbrannte Verse" streift sie die aktuelle Politik und kreuzt sie mit der Geschichte einer Suche nach familiären Wurzeln.
"Himmlische Revolution" – das bedeutet ihr Name. Doch Aasmaani Inqalab, 31-jährige Ich-Erzählerin des neuen Romans von Kamila Shamsie, wird der Bedeutung ihres Namens nicht gerecht. Denn statt wie ihre Mutter – einst in Pakistan eine berühmte und verehrte Feministin - für die Revolution zu arbeiten, arbeitet Aasmaani bei einem der neu gegründeten pakistanischen Fernsehsender in Karatschi, wo sie für eine Quizshow Fragen und Fakten recherchiert.

Dann aber feiert eine frühere Freundin ihrer Mutter, eine Schauspielerin, in einer neuen Serie des Senders ihr Comeback und Aasmaani wird von der Vergangenheit eingeholt, die sie doch nur zu gern hinter sich lassen würde: dem Tod ihrer Mutter, den Aasmaani noch immer nicht wahrhaben will. 14 Jahre zuvor nämlich hat sich Samina das Leben genommen – weil jener Mann ermordet worden ist, für den sie die Familie verlassen hat und dem sie überall hin gefolgt ist: der "Dichter", wie er im Roman immer nur heißt.

Doch Aasmaani glaubt noch immer, dass Samina nicht im Meer ertrunken ist, sondern weggegangen ist in ein neues Leben. Als die Schauspielerin ihr daher einen kleinen Zettel zuspielt, der in jenem Geheimcode geschrieben ist, den Samina und der Dichter einst erfunden hatten, um vor den Schergen des Staates sicher zu sein, begibt sich Aasmaani auf die Suche nach der Wahrheit.

Wie sich die politische Geschichte in das private Leben, ja in die Intimität der Menschen hinein auswirkt, das ist ein Thema, das sich in allen Romanen der 1973 in Karatschi geborenen Autorin Kamila Shamsie wieder findet. Auch "Verbrannte Verse" streift daher inmitten seines vielköpfigen Personals und der verzweigten – und zuweilen recht verwickelten – Handlungsstränge sowohl Momente aktueller Politik als auch die Geschichte ihres Heimatlandes Pakistan: die 2002 wieder erstarkte religiöse Allianz; die nie eingelöste Demokratie, an deren Stelle Militärregimes und die Scharia getreten sind; die Situation der Frauen und der schwere Kampf der Frauenbewegung.

Im Zentrum des Romans aber steht die Verteidigung des Privaten gegen die Zumutungen der Gesellschaft: die Zerrissenheit der Tochter, die die Liebe der Mutter mit deren Liebe zum Dichter und zum Engagement für die Gerechtigkeit teilen muss; die Zerrissenheit der Mutter, die aufgrund gesellschaftlicher Konventionen zur Wahl zwischen mütterlicher Liebe oder mütterlichem Verrat gezwungen ist; die Liebe des Dichters zu seinem Land und für Samina, für die er mit dem Leben bezahlen muss.

Und so ist das eigentliche Thema dieses Romans die Liebe. Shamsie erzählt davon mit einer Verve, die beflügelt ist von jenem Sufi-Satz, demzufolge die Hölle nichts anderes sei als die Abwesenheit des Geliebten – und allein die Liebe vom Schmerz der Liebe erlöse.

Dass der Roman – bei mancher Überfrachtung mit stilistischen und inhaltlichen Eskapaden, Sentenzen, Reflexionen – dennoch nicht unglaubwürdig wirkt, sondern ergreifenden Drive entfaltet, liegt an der Kunst, mit der Shamsie anhand der Biographie ihres "Dichters" die Liebe auch dort verteidigt, wo sie wirkungslos scheint: in der brennenden Kraft der Worte, die in einem Land wie Pakistan nichts – und immer noch alles sind.


Kamila Shamsie: Verbrannte Verse
Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube.
Bloomsbury Berlin 2005, 428 S., 19,90 Euro