"Verstoß gegen UN-Völkerrecht"

Moderation: Ulrich Ziegler |
Der Kampagnen-Geschäftsführer der Umweltorganisation Greenpeace, Roland Hipp, hat das Betreiben von Braunkohle-Anlagen als Verstoß gegen das UN-Völkerrecht bezeichnet. Die CO2-Emissionen aus einem einzelnen Kohlekraftwerk seien teilweise höher als das, was ganze Länder emittieren würden, sagte Hipp im Deutschlandradio Kultur.
Deutschlandradio Kultur: Wir blättern in den Zeitungen und uns scheint, Ihre Umweltorganisation hat in letzter Zeit erhebliche Konkurrenz bekommen. Herr Hipp, ist Ihnen das auch schon aufgefallen?

Roland Hipp: Ja, alle sprechen über den Klimawandel, klar.

Deutschlandradio Kultur: Wir finden hier folgende Anzeige: "Deutsch, Mathe, Englisch, Klimaschutz", aber die Unterschrift: "Der Anfang ist gemacht", von BP, British Petroleum früher, heute beyond petroleum. Aber es ist nicht Ihre Anzeige.

Roland Hipp: Diese Gelder haben wir nicht, um solche Anzeigen zu schalten. Aber das wollten wir ja, was da jetzt gerade passiert. Das ist ja das, was wir 20 Jahre wollten, dass die Menschen über Umwelt und natürlich aktuell über den Klimaschutzwandel reden. Warum sollen wir uns jetzt beklagen, wenn sie es tun? Die Frage ist für mich vielmehr: Werden Sie nachher auch das, was sie in ihren Anzeigen stehen haben, wird auch die Politik das, was sie in ihren täglichen Reden verwendet, ins Praktische umsetzen?

Deutschlandradio Kultur: Die Mineralölkonzerne gehen in die Schulen, verteilen Unterrichtsmaterial. Sie verkaufen Strom. Das ist doch eine verkehrte Welt, oder?

Roland Hipp: Das ist eine Entwicklung. Das nennt man Evolution. Wir haben im Jahr 1999 entschieden, und, als der deutsche Strommarkt geöffnet wurde, gesagt: Wir haben die Möglichkeit, den Menschen etwas zu bieten, und zwar Strom ohne Atom und ohne Kohle. Wir haben jemanden gesucht, der das für uns macht. Wir haben niemanden gefunden und gesagt, wenn wir niemanden finden, dann machen wir es selber. Deshalb haben wir dann Greenpeace Energy ins Leben gerufen. Das ist heute der zweitgrößte Ökostromanbieter in Deutschland, bei dem man Ökostrom bekommen kann, wo es kein Atom und keine Kohle mehr drin gibt.

Deutschlandradio Kultur: Stromhändler gibt es ja heute viele. Aber wenn jemand den Klimaschutz in die Schule bringt und noch dafür Geld gibt und seine Initiative startet, würde ich eigentlich sagen, Greenpeace oder die Umweltschützer allgemein wären die richtige Adresse dafür.

Roland Hipp: Na ja. Wir sind in den Schulen, wir sind in den Straßen, wir sind auf Schornsteinen, wir sind auf Kränen. Wir sind überall und versuchen das Thema in die Breite zu tragen. Noch mal: Ich finde es völlig in Ordnung, wenn die Unternehmen in die Schulen gehen und sagen, das ist unsere Zukunft, das wollen wir. Wenn die das auch ernst nehmen, fände ich das in Ordnung. Ich sehe nur die Ernsthaftigkeit der Marketingveranstaltungen momentan noch nicht.
Deutschlandradio Kultur: Wenn man diese Zeitung weiterblättert, Sie können irgendeine Zeitung nehmen, dann finden Sie noch eine Anzeige. Da steht beispielsweise: "Niemand holt in Deutschland mehr Strom aus dem Wasser als wir." Da steht auch nicht Greenpeace drauf, sondern es ist wieder ein anderes Energieunternehmen. Sie sehen Konkurrenz mit vielen und alle machen irgendwie das Gleiche.

Roland Hipp: Das, was wir 20 Jahre lang gemacht haben, war Bewusstsein zu schaffen. Was jetzt passiert nach den IPCC-Berichten, nach den UN-Klimaforscherberichten, ist, dass sich alle mit dem Thema beschäftigen müssen, weil die Wahrheit jetzt ans Tageslicht kommt. Wir haben es mit einem Klimawandel zu tun. Und die Unternehmen, ob Sie jetzt BP oder e.on aufzeigen, versuchen sich grün darzustellen. Nur aus unserer täglichen Arbeit sehen wir, dass auf der einen Seite e.on davon spricht, sie würden mit Wasserkraft Strom erzeugen. Gleichzeitig bauen sie in UK, also in England, das größte Kohlekraftwerk, was dort jemals entstanden ist. Kohle heute noch zu verbrennen, Kohle noch als Zukunftsinvestition zu sehen für die nächsten 40 Jahre, und so lange laufen ja diese Anlagen, wenn sie mal gebaut sind, ist absoluter Wahnsinn.

Deutschlandradio Kultur: Das Argument nehme ich Ihnen ab, jedenfalls vorläufig. Aber wenn Sie dann schauen, dass andere Ökostromanbieter – zum Beispiel die RWE-Tochter eprimo - einen Stromtarif mit 100 Prozent Wasserkraft anbietet, der günstiger ist als Greenpeace Energy, dann sind Sie doch wirklich auf dem falschen Feld, wenn andere das auch können.

Roland Hipp: Nein, das ist ein Riesenunterschied. Die einen verkaufen alte Wasserkraftanlagen, die sie schon seit 10, 20, 30 Jahren betreiben und machen daraus einen Ökotarif. Was wir bei Greenpeace Energy machen: Wir gehen hin und sagen, wir bauen neue Anlagen. Nur neue Anlagen bringen uns weiter. Nur neue Anlagen verdrängen den heutigen Anteil an Atom und Kohle in unseren Netzen. Jeder Kunde, der heute zu Greenpeace Energy kommt, wird in fünf Jahren aus einer neuen Anlage bedient. Und genau diesen Motivationsschub brauchen wir in Deutschland, dass wir nicht nur Vorhandenes nutzen und das zu Öko umlabeln, sondern dass wir jeden Tag neue Anlagen bauen, um die immensen CO2-Emissionen aus Kohlkraftwerken und die Gefahr Atom zu stoppen.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Sie bauen neue Anlagen. Das heißt, wenn Leute heute bei Ihnen Strom kaufen, dann können Sie an der einen Stelle sagen, wir können euch keinen mehr verkaufen, weil wir keine neuen Anlagen haben, also müsst ihr woanders hingehen.

Roland Hipp: Das sehen wir momentan nicht.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben zu wenig Kunden?

Roland Hipp: Nein, wir sind in einem guten Zuge. Wenn man das anguckt, die großen Vier, ob das Greenpeace Energy, ob das Lichtblick ist, die schaffen es momentan, aus bestehenden und neuen Anlagen die Kundenströme, die auf uns zukommen, abzudecken. Es wäre sogar toll, ich fände es toll, wenn wir irgendwann sagen könnten, es sind so viele Leute wechselbereit, dass wir jetzt in die Schwierigkeit kommen, dass wir unser Versprechen erst in sechs oder sieben Jahren einlösen können, mit neuen Anlagen die Leute zu bedienen. Das ist ja das, was wir wollen. Wir wollen, dass immer mehr Menschen wechseln.

Deutschlandradio Kultur: Spielen wir das doch mal zu Ende. Nehmen wir zum Beispiel den Ölmarkt. Wenn das dann auch auf dem Strompreissektor so läuft, gehen wirklich alte Anlagen vom Markt weg? Oder wird es nicht so sein, dass es einen Preiskampf gibt um Kohle-Strom gegen erneuerbare Energien, Atom-Strom gegen erneuerbare Energien? Aber das Ziel ist eigentlich nicht erreicht. Das ist ein Nullsummenspiel, jedenfalls vorerst, solange wir eine starke Stromnachfrage haben.

Roland Hipp: Nein, das ist doch kein Nullsummenspiel. Die Zahlen der regenerativen Anlagen wachsen. Wir haben vor ein paar Jahren noch drei, vier Prozent gehabt. Wir sind heute bei 10, 11 Prozent regenerativem Strom, der erstellt wird. Wir sehen das also heute schon, was auf diesem Sektor passiert.

Deutschlandradio Kultur: Welche Altanlage haben Sie vom Markt weggedrängt?

Roland Hipp: Ja, aber das ist doch die Frage, wie wir insgesamt mit der Stromnutzung umgehen. Nehmen wir mal unseren so genannten Plan B, den wir dieses Jahr vorstellt haben, wo wir gesagt haben: Das ist die Energie, die wir uns in der Zukunft vorstellen. Der baut auf drei Säulen auf.
Die erste Säule: Wir müssen mit unserem Strom viel effektiver umgehen. Das heißt, wir haben überhaupt keinen Verzicht, sondern wir könnten mit dem Strom, den wir heute produzieren, doppelt so viel Maschinen und doppelt so viele Geräte betreiben, wie wir es heute tun, wenn wir das effektiv machen würden. Grundbeispiel sind immer Standby-Funktionen aus- oder Sparbirnen reindrehen. Damit kann man viel effektiver mit Strom umgehen. Das ist die erste Säule.
Die zweite Säule ist, dass wir sagen: Es ist Wahnsinn, Kohlekraftwerke, Großkraftwerke zu betreiben, die vielleicht eine Effektivität von vielleicht gerade mal 40, 50 Prozent der Kohle haben, die ich da rein stecke, obwohl wir heute technisch ausgereifte Maschinen haben, die mit 80, 90 Prozent Wirkungsgrad arbeiten. Das sind so genannte Kraftwärmekopplungsanlagen. Die baut man nicht im Großen.

Deutschlandradio Kultur: Vielleicht bringt es ja auch die Masse, die die Kohlekraftwerke bringen, die benötigt wird.

Roland Hipp: Ja, aber ich kann auch in Masse kleine Kraftwerke bauen. Ich kann in Masse kleine dezentrale Kraftwärmekopplungsanlagen bauen. Die haben eine Effizienz von 90 Prozent. Das ist die zweite Säule, die ich sage. Das heißt, in der Produktion nutze ich das, was ich an Rohstoffen einsetze, schon viel stärker.

Und die dritte Säule ist ein aktiver Ausbau der erneuerbaren Energien. Das, was wir heute schon tun, muss viel massiver passieren und hat übrigens noch diesen kleinen positiven Aspekt, dass das in Zukunft eine Schlüsselindustrie werden wird. Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2020 mehr Menschen im Bau von erneuerbaren Anlagen arbeiten werden, als im Maschinenbau oder in der Autoindustrie. Das heißt, wenn wir das jetzt massiv angehen, werden wir auf der anderen Seite Schlüsselindustrien erstellen. Und wir können die Märkte der Zukunft, die in China, in Indien, in Brasilien sind, dementsprechend auch mit diesen Techniken versorgen.

Deutschlandradio Kultur: Aber das ist eine Zukunftsvision. Wo immer heute ein Kohlekraftwerk gebaut werden soll oder erneuert werden soll, kommt Greenpeace mit einer Aktion und ist dagegen. Was spricht dagegen, diese alten Anlagen zu erneuern, zu modernisieren? Wir brauchen doch vorerst noch die Kohlestromproduktion.

Roland Hipp: Was wir nicht mehr brauchen, ist Braunkohle. Eine Braunkohleanlage, wie sie in Boxberg gebaut wurde, oder eine Anlage, wie sie in Neurath gebaut wird, brauchen wir nicht mehr. Das sind Anlagen, die im Jahr so hohe Emissionen haben, die teilweise höher sind, als ganze Länder auf dieser Erde emittieren. Wir sind da absolut arrogant, wenn wir heutzutage mit dem Wissen, was wir zum Klimawandel haben, noch solche Anlagen bauen.

Deutschlandradio Kultur: Und wenn Vattenfall sagt, wir schaffen das, wir kriegen das CO2 raus, wir tun es in die Erde rein, dann ist es weg. Und das ist ein Modell für China, Indien, für alle, die auch mit Braunkohle arbeiten. Dann sagen Sie, nee, lass es!

Roland Hipp: Ich müsste mir jetzt ein Taschentuch nehmen, um diese Augenwischerei einigermaßen aus meinem Gesicht zu bekommen. Dieses so genannte CCS, das heißt, man filtert CO2 aus den Anlagen raus und will es dann irgendwann mal irgendwo in Deutschland in den Boden pressen, das ist momentan eine Augenwischerei, weil es diese Technik noch nicht gibt. Diese Technik soll entwickelt werden. Das sollen sie auch machen. Aber alle Anlagen, die wir heute produzieren und aufbauen, werden diese Technik nicht haben. Diese Technik wird dann auch nicht mehr eingebaut. Das heißt, ein Boxberg oder ein Neurath wird 40 Jahre lang ohne diese Technik laufen. Unsere Zeit läuft aber aus. Wir haben keine 40 Jahre mehr, um dann zu sagen, in den dann kommenden Anlagen, bauen wir diese Technik ein, sondern wir müssen jetzt reagieren. Deswegen sagen wir: Es ist absolut arrogant, gegenüber uns, gegenüber der ganzen Menschheit, wenn wir überhaupt noch solche Anlagen bauen. Wir sagen, die Braunkohle muss weg. Solche Anlagen sind illegal. Sie sind illegal, weil sie gegen das Völkerrecht sprechen. Das Völkerrecht sagt nämlich aus, dass wir keinen Nachbarn schädigen dürfen. Mit diesen Anlagen schädigen wir unsere Nachbarn.
Deutschlandradio Kultur: Es geht ja um etwas anderes. Es geht um die Frage: Ist Ihr Weg, ist Ihre Strategie machbar? Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat kürzlich eine Umweltstudie vorgelegt, wie Sie sie auch zur Solarenergie haben, und gesagt: Es wird in der Zukunft so sein: ein Viertel erneuerbare Energien, dafür müssen wir kämpfen, aber es bleibt dabei, ein Viertel Braunkohle, ein Viertel Steinkohle in der Stromproduktion. Wollen Sie das wegwischen? Mit welchem Argument?

Roland Hipp: Wir sagen was völlig anderes. A), wir müssen das, was wir produzieren, effektiver produzieren. Da kann man schon einige 10 Prozent einfach rausstreichen, wenn man sagt, wir produzieren effektiver, wir gehen mit dem Strom vernünftiger um.

Deutschlandradio Kultur: Das findet doch statt. Die Bundesregierung fördert Energieeffizienz.

Roland Hipp: Es findet doch nur in kleinem Maße statt.
Deutschlandradio Kultur: Also, zu wenig?

Roland Hipp: Wir haben in den deutschen Betrieben, in der deutschen Industrie ganz viele Elektromaschinen stehen. Die sind so überdimensioniert. Wenn man die normal dimensionieren würde, könnte man sechs Atomkraftwerke abschalten. Es findet zwar statt, es findet auch auf dem Hintergrund statt, dass den Leuten mehr klar, mehr bewusst wird, dass der Klimawandel begonnen hat, aber es findet nicht in der Dimension statt, die wir an den Tag legen müssen, um den Klimawandel noch aufzuhalten. Wir haben, verdammt noch mal, maximal noch 10, 15 Jahre Zeit. Und wir können doch nicht sagen, wir lassen uns diese Zeit, um zu überlegen, was passiert. Wir müssen jetzt aktiv werden.

Die IPCC-Reports, die UN-Klimareports haben errechnet: Wir müssen es in den nächsten 10, 15 Jahren schaffen, dass die CO2-Kurve wieder nach unten geht. Die CO2-Kurve steigt an und steigt an und steigt an, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wir haben bis vor ein paar Jahren in Deutschland eine Stagnation in der CO2-Emission gehabt. Ich glaube, letztes Jahr ist es zum ersten Mal wieder angestiegen. Weltweit steigt es massiv an. Länder wie China, Brasilien, Indien fangen auch an, wollen Lebensstandards wie wir. Das heißt, wenn die heute 4 Tonnen CO2 emittieren und wir in Deutschland emittieren 10 Tonnen, wenn die mal so weit sind, wie wir, dann werden wir relativ schwarze Horizonte bekommen, wenn es um den Klimawandel geht.
Deswegen sagen diese Wissenschaftler: In den nächsten 10, 15 Jahren müssen wir den CO2-Anstieg wieder senken. Wir müssen die Kurve nach unten drücken. Das heißt, wir haben 10, 15 Jahre Zeit Maßnahmen zu ergreifen, zu sagen: Welche Maßnahmen ergreifen wir heute, dass wir in 10, 15 Jahren die Kurve nach unten bekommen. Die Maßnahmen sind: Raus aus Braunkohle. Zweiter Schritt: stufenweise die Steinkohle zurückfahren. Wir werden das nicht von heute auf morgen schaffen. Wir werden Steinkohlekraftwerke erst noch haben, auch hier in Deutschland, müssen dann aber stufenweise zurück.

Zum Beispiel ist geplant, dass man 27 Kohlekraftwerke in Deutschland baut. Wir sagen, wir brauchen nicht 27, wir brauchen Hunderte von neuen Anlagen, aber nicht Kohlekraftwerke, sondern so genannte Kraftwärmekopplungsanlagen. Das sind Anlagen, die hoch effizient sind, mit Gas betrieben. Damit haben wir schon wieder eine CO2-Reduktion. Und in dieser Zeit, während wir diesen Übergang haben, bauen wir verstärkt erneuerbare Energien auf.
Es gibt auf der einen Seite die BDI-Leute, die sagen, das geht nicht. Auf der anderen Seite gibt es genug Wissenschaftler, die sagen, es geht. Es lässt sich nachvollziehen, dass genug Energie auf dieser Erde ist, in Form von Sonnenenergie, Wasserenergie, Windenergie, Techniken, die wir noch gar nicht richtig angefangen haben, wie die Geothermie.

Deutschlandradio Kultur: Und wenn der Windenergie-Manager Fritz Vahrenholt sagt, lasst die Atomkraftwerke wenigstens noch 10 Jahre laufen, dann habt ihr den Technologievorsprung für erneuerbare Energien. Sind Sie da dabei?

Roland Hipp: Nein, da sind wir nicht dabei. Wir können nicht hingehen und sagen, wir werden Atomkraftwerke weiterhin stehen lassen, eine Hochrisikotechnologie, die uns jeden Tag extrem gefährdet. Wenn die Atomkraftwerke nicht unbedingt einen Gau haben, produzieren sie Atommüll. Dieser Atommüll wird über Generationen gelagert werden müssen.

Ein Beispiel: Hätten die Neandertaler Atomkraftwerke gehabt, müssten wir uns heute noch um ihren Atommüll kümmern. So lange strahlt dieses Zeug. Deswegen sagen wir: Wir haben Konzepte, sie sind da, sie sind nachgerechnet, nicht von Greenpeace, sondern von Wissenschaftlern. Mit diesen Konzepten kann man sowohl aus dieser fossilen Energiequelle Kohle, wie auch aus Atom aussteigen.

Deutschlandradio Kultur: Sie werfen den anderen in der Stromwirtschaft Augenwischerei vor, der Atomtechnologie allemal, aber auch wenn es darum geht, ein sauberes Kohlekraftwerk zu schaffen. Nun haben Sie eine eigene Studie herausgebracht. Da steht drin: "Frühestens 2015 wird Solartechnologie soweit sein, dass sie wirtschaftlich an den Markt kann, wettbewerbsfähig ist und vor allen Dingen in Südeuropa", noch gar nicht bei uns. Das heißt: Auch Sie stellen einen Scheck auf eine unbekannte Zukunft aus, wie die anderen auch.

Roland Hipp: Jetzt müssen wir unterscheiden, ob wir über die Technik reden. Da sagen wir, Solartechnik oder Windtechnik sind wir Weltmeister, sind wir die Vorreiter, sind wir diejenigen, die einen hohen Qualitätsstandard haben. Wir sind Exportweltmeister in diesen Bereichen und das sollten wir auch bleiben. Das ist die Technik.

Was Sie ansprechen, ist eine finanzielle Berechnung, zu sagen, ab welchem Punkt Solarenergie – und das empfinde ich mehr als Klasse, wenn das 2015 dann so kommt – einer Kohleverstromung oder Atomverstromung das Wasser reichen kann. Wenn man den Stern-Report sieht, ein Report auf UN-Ebene, der sich damit beschäftigt, wie groß die Kosten des Klimawandels in der Zukunft sein werden, dann kommt der auf ein Ergebnis: Im Jahr 2050 werden wir zwischen 5 und 20 % unseres Pro-Kopf-Einkommens für die Schäden des Klimawandels ausgeben müssen. Und er sagt gleichzeitig: Wenn wir heute 1 % vom Pro-Kopf-Einkommen einsetzen, können wir das alles aufhalten.

Warum sollten wir dann nicht heute hingehen und sagen: Wir müssen in Techniken investieren, die vielleicht heute noch teurer sind als Kohle und Atom, können dann aber in der Zukunft ganz viel Geld sparen.
Ich möchte noch eins betonen: Kohle und Atom wurde in den letzten Jahrzehnten hier in Deutschland extrem subventioniert. Zumindest die Steinkohle wurde mit Milliardensummen und wird auch noch bis zum Jahr 2012 mit Milliardensummen subventioniert. Und die Atomindustrie wäre gar nicht entstanden, wenn man hier in Deutschland nicht 70, 80 Milliarden rein gesteckt hätte, um sie am Leben zu halten und sie aufzubauen. Deswegen finde ich, an dem Punkt, wo wir heute stehen, wo wir sehen, was auf uns zukommen kann, wenn wir nicht reagieren, ist es doch eigentlich die Aufgabe eines Staates zu sagen: Da müssen wir massiv investieren, um das, was eventuell auf uns zukommen kann, von den Menschen fern zu halten. Und das ist eine Klimakatastrophe.
Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Hipp, findet diese Richtung nicht schon statt? Wir haben die Bundeskanzlerin, die weltweit für CO2-Reduktion wirbt. Wir haben Herrn Schwarzenegger in Kalifornien, der sagt, ja, wir machen da mit. Wir haben Al Gore, der bekommt den Friedensnobelpreis, eigentlich als Umweltschützer. Das sind alles Leute, die sagen, wir haben es erkannt. Dann gibt es die Siliziumproduktion, die Solarhersteller, die sind an der Obergrenze ihrer Kapazität, was sie überhaupt leisten können. Silizium ist knapp. Sind wir nicht schon auf dem Weg? Sind Ihre Kampagnen nicht eigentlich schon überflüssig? Wir haben verstanden.
Roland Hipp: Ich würde Ihnen jetzt gerne sagen, unsere Kampagnen sind überflüssig und wir können nach Hause gehen. Aber so sehen wir das nicht. Die Entwicklung, die wir sehen, ist eine völlig andere. Wir sprechen hier seit einer Viertelstunde darüber, dass in der Lausitz Braunkohlekraftwerke produziert werden. Wir sprechen darüber, dass in NRW, in Neurath, ein Braunkohle-Kraftwerk gebaut wird, die größte Dreckschleuder in Europa, was Größeres gibt es nicht. Wir sprechen gerade darüber, dass die deutschen Stromversorger ins Ausland gehen, dort nicht regenerative und Solaranlagen aufbauen, sondern Kohlkraftwerke und Atomkraftwerke bauen. Ich sehe da momentan, keinen Fortschritt.

Wenn das, was Frau Merkel sagt, kommt, wenn sie das umsetzt, wenn sie das wirklich ernst meint, dann ist es ein Fortschritt. Ich verstehe aber nicht, dass sie morgens irgendwo auf einem Podium steht und dafür plädiert, 40 Prozent CO2 in Deutschland bis 2020 zu reduzieren, und mittags steht sie in Neurath und eröffnet ein neues Braunkohlekraftwerk. Das passt doch nicht.

Deutschlandradio Kultur: Aber für energetische Gebäudesanierungsprogramme wurden Milliarden in den letzten Jahren ausgegeben. Das sind doch Zahlen, die man belegen kann.

Roland Hipp: Ja, das hat aber nicht nur was mit Frau Merkel zu tun. Da waren andere Regierungen dran, die dementsprechend diese Programme aufgelegt haben. Und die haben auch Wirkung gezeigt. Ich sehe viele Häuser, die umgebaut werden. Ich sehe viele Häuser, die gedämmt werden. Ich sage doch gar nicht, dass wir nichts tun. Aber wir müssen noch viel mehr tun.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist ja komisch, dass wir uns mit Ihnen, einem Umweltaktivisten unter dem Namen Greenpeace, über Technikfolgenabschätzung unterhalten. Das meinen wir eigentlich: hat Greenpeace mit seinen Aktionen nicht ein Image-Problem? Es gibt viele andere Organisationen, die auch in der öffentlichen Wahrnehmung sind. Es gibt den Bund für Umwelt und Naturschutz, Word Wild Life Fond, Robin Wood, Food Watch, was auch immer. Alle sind sie in der öffentlichen Diskussion präsent. Und Greenpeace? Hängen Sie zwischendrin, zwischen Aktionismus und Sachargumentation?

Roland Hipp: Was machen wir denn hier? Diese Bocksbergaktion in der Lausitz hat dazu geführt, dass wir drei jetzt hier am Mikrophon sitzen und uns über Energie unterhalten. Diese Aktionen führen dazu, dass Tausende von Artikeln weltweit entstehen, die darüber schreiben, ob das das Richtige ist, in der Lausitz ein Braunkohlkraftwerk zu bauen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wird Greenpeace wirklich mit der Argumentation identifiziert, die Sie uns hier präsentiert haben? Oder würde man sich damit nicht normalerweise mit einem anderen Umweltschützer, mit einer anderen Organisation unterhalten?

Roland Hipp: Also, grundlegend ist es so, dass unsere Aktionen versuchen Probleme in die Öffentlichkeit zu tragen. Was in der Öffentlichkeit nicht stattfindet, führt zu keinem Druck auf Politik und Industrie. Deswegen machen wir solche Aktionen. Deswegen gehen wir mit solchen Aktionen auf Schornsteine oder Kräne hoch und versuchen ein Braunkohlekraftwerk in der Lausitz, das eigentlich die Welt nicht mitbekommt, an die Öffentlichkeit zu ziehen. Die Aktion hat damit für mich genau das gebracht, was sie bringen muss.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie heute fragen, was verbindet ihr mit Greenpeace, dann ist es der Schutz der Wale und möglicherweise das Verhindern des Versenkens von Ölplattformen. Das ist alles schon relativ lange her. Ist heute noch die Zeit für spektakuläre Aktionen, wie vor 20 Jahren? Wofür Greenpeace steht, im Gegensatz zu BUND und anderen Organisationen? Oder ist die Welt komplizierter geworden?

Roland Hipp: Sie ist nicht einfacher geworden. Wir entwickeln uns auch weiter. Wir haben neben spektakulären Aktionen in der Zwischenzeit Greenpeace Engergy entwickelt. Darüber haben wir vorher gesprochen. Wir haben ein Dreiliterauto entwickelt. Die Industrie unterhält sich heute drüber. Wir haben einen Kühlschrank entwickelt, einen FCKW-freien Kühlschrank. Übrigens, FCKW ist zwar von der Menge her viel geringer als CO2, aber viel aggressiver, auch ein Umweltgift. Wir haben einen Kühlschrank entwickelt, der sich in der Zwischenzeit 160 Millionen Mal auf der Welt verbreitet hat. Wir machen jeden Tag etwas. Was in den Medien kommt oder nicht kommt, können wir relativ gering beeinflussen.

Deutschlandradio Kultur: Uns geht es aber um die Frage: Wofür steht Greenpeace? Sie haben ein breites Themenspektrum, das auch viele andere Leute abdecken, viele andere Organisationen: genmanipulierte Lebensmittel, Pestizide in Obst und Gemüse, Tempolimit auf Autobahnen, Dieselruß, Meeresschutz, Urwaldschutz, Kohlekraftwerke, ein bunter Gemischtwarenladen. Verzetteln Sie sich nicht?

Roland Hipp: Diese Diskussion haben wir jedes Jahr. Wir kommen immer wieder an den gleichen Punkt und sagen: Wir haben verschiedenste Probleme. Wir könnten jetzt sagen, wir fokussieren, was wir auch momentan sehr stark tun, uns auf Klima, auf den Klimawandel. Gleichzeitig sagen wir aber auch: Sollen wir dadurch das Genthema einfach beiseite stellen? Sollen wir vielleicht das Klima retten und irgendwann wird man uns dann sagen, schön, dass das Klima gerettet ist, aber jetzt sterben unsere ganzen Arten aus. Das gleiche gilt für das Thema Wale. Für mich ist dieses Thema Wale ein ganz wertvolles Thema, weil es eigentlich zeigen soll, dass der Mensch nicht so mit der Natur umgeht, wie wir mit der Natur umgehen sollten. Die Japaner werden zum ersten Mal wieder auf Großwalarten, wie Buckelwale, den Fang aufnehmen. Das war lange Zeit weg. Ich glaube, wenn es uns nicht gelingt, denen einmal klar zu machen, dass man so nicht mit der Natur umgeht, es gibt keinen Grund, diese Wale abzuschlachten, außer, dass sie dann in Delikatessenläden in Japan liegen, wo man für teures Geld dieses Fleisch kauft, dann wird es uns vielleicht auch nicht gelingen, wenn es um den Menschen geht, einen Klimawandel aufzuhalten Deswegen kommen wir jedes Jahr wieder an die gleiche Diskussion, welche Themen machen wir. Wir haben auch dieses Jahr uns dafür entschieden, wir werden kein Thema aufgeben. Wir werden relativ stark auf Klima fokussieren, und zwar weltweit in allen Büros, aber wir werden die anderen Themen – wie Gentechnik, wie Biodiversität, Wild Life, wie Wale, wir werden weiterhin an Atomkraft arbeiten – nicht einfach wegwerfen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie sind dann auch damit einverstanden, dass die Mitgliederzahlen relativ stabil sind. Sie gehen nicht nach unten, aber in Zeiten, wo alle über Umwelt reden, könnte man ja auch sagen, die müssten eigentlich nach oben schießen – tun sie nicht.

Roland Hipp: Unsere Zahlen steigen. Sie steigen nicht gewaltig, aber sie nehmen im Jahr zwischen 20.- und 30.000 zu. Wir haben in der Zwischenzeit 580.000 Förderer in Deutschland und sind weltweit das größte Greenpeacebüro, was es gibt.
Ich glaube, die wesentlichste Arbeit, nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft, wird für uns sein, nachdem wir vielen Menschen ein Bewusstsein für die Umwelt beigebracht haben – die Menschen jetzt dazu zu bringen, dass sie handeln.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Greenpeace in der Türkei die Arche Noah auf den Berg Ararat hinstellt, ist das noch die Aufgabe der grünen Kämpfer, der Greenpeace-Aktivisten, die sich an vorderster Front engagieren?

Roland Hipp: Das ist eine andere Art Aktion zu betreiben. Die Aktion wurde eigentlich in Deutschland gar nicht so großartig gezeigt. Ich war eigentlich relativ enttäuscht darüber, weil wir eigentlich ein Symbol setzen wollten. Wir wollten in der heutigen Zeit, wo alles sehr hektisch ist, wo wir auch wussten, es steht G8 vor uns, wo wir auch wussten, die Bilder in G8 werden vielleicht heftiger sein, als wir uns das wünschen. Da haben wir gesagt, wir wollen im gleichen Zeitraum ein Bild setzen, ein symbolisches Bild, um die Welt aufzufordern, jetzt mit uns einen gewissen Weg zu gehen. In der Türkei wird es jetzt ein Festival geben zur Arche Noah. Die nehmen das als Anlass für eine Dokumentation über den Bau, über das, was da passiert ist. In einem Sperrgebiet, wo normalerweise nur die Militärs rein dürfen, hat Greenpeace es durch lange Verhandlungen geschafft, ich kenne die Personen persönlich. Und die haben gesagt: Das ist so ein unglaubliches Ereignis, dass man da überhaupt rein darf, dass man auf diesen Berg hoch darf, um dann dieses Ding aufzustellen. Es ist aber eine völlig andere Art der Arbeit. Es ist eine völlig andere Art, nicht mit dem Schlauchboot nach Heiligendamm reinzufahren, sondern auf einen Berg hochzugehen und zu sagen: Wir setzen ein Symbol, wir setzen ein Bild. Es wäre schön gewesen, wenn sie es noch mehr in Deutschland gezeigt hätten.

Deutschlandradio Kultur: Herr Hipp, wir danken für das Gespräch.
Roland Hipp: Vielen Dank.