Verstorbener Verleger

Siedler war ein "glänzender Stilist"

Wolf Jobst Siedler starb im Alter von 87 Jahren.
Wolf Jobst Siedler starb im Alter von 87 Jahren. © dpa / picture alliance / Erwin Elsner
Von Klaus Pokatzky |
Verleger haben das Bewusstsein Westdeutschlands so tief beeinflusst" wie er, schreibt die "Süddeutsche Zeitung".
"Das Schützentum ist eine Tradition, die seit Generationen weitergeben wird." Das lesen wir in der Tageszeitung TAZ. "Die Schützen waren Beschützer der Städte, der Stadtanlagen. Also mit die ersten ehrenamtlich engagierten Menschen in den Städten." Im TAZ-Interview kämpft der stellvertretende Oberst der Schützenbrüderschaft im sauerländischen Arnsberg-Neheim, Raimund Reuther, für seine Idee, dass das Schützenwesen als Weltkulturerbe bei der Unesco eingetragen wird. "Da brauchen Sie jetzt nicht nur ans Saufen denken. Wir vermitteln Werte wie Glaube, Sitte und Heimat. Wir kümmern uns um unsere Ortschaften, stiften den Weihnachtsbaum, führen Martinszüge durch." Im Koalitionsvertrag für die Große Koalition steht zum Thema kulturelles Schützenerbe leider kein einziges Wort.
"Nie zuvor hat jemand so viel Geld für ein Buch ausgegeben", klärt uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG auf. Bei Sotheby’s in New York wurde versteigert: "'The Whole Booke of Psalmes'", gedruckt 1640 in Cambridge, Massachusetts, für 14,2 Millionen Dollar. Nur elf Exemplare haben sich von diesem englischen Psalter erhalten", schreibt Patrick Bahners. "Zum Vergleich: Vom ersten Folioband der gesammelten Werke Shakespeares existieren noch 228 Stück, etwa ein Drittel der Auflage, und von den ungefähr 180 Gutenberg-Bibeln lassen sich noch 48 nachweisen." Das ist jetzt wirkliches Kulturerbe der Menschheit.
Das hätte dem Mann sicherlich gefallen, den die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen "scharfen, mit Geist und Witz begabten Beobachter seiner Zeit nennt"; DIE WELT "einen gesuchten Gesprächspartner und Ratgeber in der Bonner, der Berliner Republik" - und die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG einen "geschichtsbewussten Konservativen mit einer Leidenschaft für Preußen". Wolf Jobst Siedler ist am Mittwoch im Alter von 87 Jahren in seiner Geburts- und ewigen Heimatstadt Berlin verstorben: als Publizist der "glänzende Stilist", so die NEUE ZÜRCHER; als Verleger ein Mann, der "seine Autoren doch manchmal recht in Verlegenheit brachte, weil er einfach besser als sie schrieb", so die FRANKFURTER ALLGEMEINE.
Das Feuilleton verneigt sich vor einem dieser letzten großen intellektuellen Vertreter eines längst versunkenen Bürgertums. "Seine Trauer galt dem Untergang von Bürgertum und Adel, auch dem Preußens und Deutschlands", schreibt Stephan Speicher in der SÜDDEUTSCHEN über den "selbstbewussten Essayisten konservativer, dabei aber alles anderes als engstirniger Prägung", wie ihn Helmut Mayer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN nennt: "1926 geboren, als Sohn eines Juristen, der noch Konsul im Kaiserreich gewesen war, und mit illustren Vorfahren aus bürgerlichen und künstlerischen Kreisen." Es waren Kreise, die mit den Nationalsozialisten nicht viel anfangen konnten. Der junge Wolf Jobst Siedler wurde, gemeinsam mit dem Sohn von Ernst Jünger, wegen "Wehrkraftzersetzung" zu Zuchthaus verurteilt und zur „Bewährung“ an die italienische Front geschickt, wo er in britische Kriegsgefangenschaft geriet.
Nach dem Krieg dann Studium in Berlin, Feuilletonchef beim "Tagesspiegel" und schließlich Verleger bei Propyläen: von Joachim Fests Hitler-Biografie, von Hitlers Architekt Albert Speers Erinnerungen. In seinem eigenen Verlag dann eine neue deutsche Geschichte in zehn Bänden "Die Deutschen und ihre Nation", die Memoiren von Michail Gorbatschow, Richard von Weizsäcker und Franz Josef Strauß.
"Wenige Verleger haben das Bewusstsein Westdeutschlands so tief beeinflusst wie Wolf Jobst Siedler", schreibt Stephan Speicher in der SÜDDEUTSCHEN. "Wenn man eine Person suchte, um ein Synonym für das Wort Tradition zu finden, wäre Siedler das Ideal", befinden Nikolaus Bernau und Cornelia Geissler in der BERLINER ZEITUNG: "Die Kultur der Goethe-Zeit und der Zeit um 1900 waren sein Ideal, das er selbst gegen allen 68er-Zeitgeist lebte mit Salons und gepflegtem Auftritt."