Verstecktes Fett im Ehering

Wer verheiratet ist, nimmt an Gewicht meistens zu. Singles sollen im Durchschnitt schlanker sein. Wenn man davon ausgeht, dass nicht nur Dicke in den heiligen Stand der Ehe treten, dann bedarf diese These der Erläuterung.
Bei Erwachsenen ist die Heirat der wichtigste Risikofaktor für Übergewicht! Das steht in einer ganz offiziellen Statistik – im Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes. Nach dessen Erhebungen sind Ehegatten deutlich fetter als Singles. Wenn man sich nicht zur Annahme durchringen mag, dass sich nur Dicke paaren, bleibt als Erklärung nur die Möglichkeit, dass die Singles nach dem Ja-Wort ordentlich zulegen. Klingt ziemlich komisch, hat aber einen simplen Grund. Nein, es liegt nicht an den famosen Kochkünsten der Gattin oder dem nervenzehrenden Familienkrach, sondern an etwas ganz anderem, das zur Paarung gehört wie der Honig zur Biene: die Hormone.

Die meisten Frauen kennen den Effekt von der Antibabypille. Sie sorgt vielfach für ein paar Extrapfunde auf der Waage. Aber nicht, weil die Damen nun mit Bärenhunger den Kühlschrank plündern, sondern weil der Körper die Nahrung effizienter nutzt, um ein paar Fettpölsterchen anzulegen. Schließlich täuscht die Pille dem Körper eine Schwangerschaft vor und da sind Reserven vorteilhaft. Allerdings werden diese an anderen Stellen deponiert, als bei der Stressfettsucht. Sie gehen weniger ins viscerale Fett am Bauch ("Apfelform") als in die typisch weiblichen Rundungen ("Birnenform"). Bei Fett an der Peripherie des Körpers besteht in gesundheitlicher Hinsicht kein Grund zur Sorge.

Wer dennoch glaubt, das mit den "Hormonen" sei nur eine billige Ausrede, um unkontrollierten Kalorienkonsum zu kaschieren, sei an die zahlreichen Kälbermastskandale der Landwirtschaft erinnert. Damals spritzten die Mäster ihren Schützlingen illegale Hormoncocktails, um die Futterverwertung zu verbessern. Zeitweise drohte deshalb zwischen den USA und der EU ein Handelskrieg, weil die Amerikaner die Hormongaben legalisiert hatten, nicht aber die EU. Würden die Landwirte mehr Futter kaufen müssen fressen, würde man nirgendwo auf dieser Welt hormonelle Masthilfsmittel verwenden. Die meisten Präparate bringen bis zu 10 Prozent Mehrgewicht, unter bestimmten Umständen sind stolze 50 Prozent – ohne zusätzliches Futter.

Zurück zum Menschen und seinen natürlichen Hormonen: Jeder weiß, dass hormonelle Veränderungen im Lebenszyklus der Frau deutlich sichtbarer sind als beim Mann. Bis zur Pubertät unterscheiden sich Mädchen im Körperbau nur wenig von Jungen. Die Wandlung zur sexuell reifen Frau bringt die Kurven, die Männerherzen höher schlagen lassen. Dann hinterlassen die Geburten ihre "hormonellen Spuren" auf den Hüften und in anderen Fett-Speichermedien des Körpers. Da ist es nur logisch, dass gesellschaftliche Gruppen, die eine höhere Geburtenrate aufweisen auch dickere Mamas haben, als die Ein-Kind-Mütter der deutschen Oberschicht. (Am Rande bemerkt: Die sinkende Kinderzahl ist einer der Faktoren, der zu einer schlankeren Gesellschaft beitragen müsste.) Später, wenn im Klimakterium die Hormone ein neues Gleichgewicht suchen, nehmen viele Frauen nochmals deutlich zu. Nicht umsonst sprach man früher bei dieser Lebensphase vom Matronenalter.

Merkwürdigerweise bekommen in der Ehe – auch ohne Schwangerschaft und manchmal sogar trotz Gerstensaftabstinenz - auch die Männer einen "Bierbauch", auch ohne Schwangerschaft und manchmal sogar trotz Gerstensaft-Abstinenz. Der Grund sind jene Veränderungen im Hormonhaushalt, die die feste Beziehung und der Nachwuchs im Kinderzimmer mit sich bringen. Junge Väter haben deutlich weniger Testosteron im Blut als gleichaltrige Junggesellen. Warum? Weil sie dann, um den Volksmund zu bemühen, lieber "daheim essen", will sagen, sich nicht für andere Frauen interessieren. Dem liegt ein einfacher evolutionärer Mechanismus zugrunde: Eine Mutter mit einem neugeborenen Säugling ist kaum in der Lage die Bedürfnisse von Mann und Kind zu befriedigen, also sorgt die Natur dafür, dass sich der Vater engagiert – als Beschützer und Ernährer. Zu diesem Zweck sinkt sein sexuelles Interesse.

Unvermeidliche Folge eines sinkenden Testosteronspiegels ist beim Mann die Gewichtszunahme. Damit ist die Heirat ein Risikofaktor ersten Ranges. Fragt sich nur, warum dicke Ehemänner älter werden als schlanke Junggesellen. Aus dem gleichen Grund: weil das Testosteron sinkt. Die einzige wirklich lebensverlängernde Maßnahme, die bis heute bekannt ist, ist die Kastration. Sie bringt die Testosteronversorung zum Erliegen und den betreffenden Herren nicht nur einige Kilo sondern auch satte zehn bis 13 zusätzliche Lebensjahre mehr. Übrigens: Wenn Frauen im Durchschnitt um einige Jahre älter werden als Männer, so liegt das mutmaßlich daran, dass sie von Natur aus knapp an Testosteron sind.

Warum eigentlich erzählt uns niemand, dass heiraten dick macht? Heiraten wäre ein sehr leicht vermeidbarer "Risikofaktor", und die Statistiken sind eindeutig. Es gibt nichts mehr daran zu deuteln. Passt das Ergebnis etwa nicht in unser Weltbild? Schade. Das würde nämlich manch einem schlankheitsversessenen Zeitgenossen die Ja-Nein-Entscheidung am Standesamt erleichtern und beide vor einer schweren Enttäuschung bewahren. Es könnte aber auch vielen Nörgeleien über das Gewicht des anderen die moralische Grundlage entziehen und dazu beitragen, das gemeinsame Leben etwas stressfreier zu gestalten. Außerdem würden viele Männer begreifen, warum sie nach der Geburt ihrer Kinder runder und ruhiger geworden sind. Sie könnten ihm Kreise ihrer Lieben zu Kartoffelsalat und Würstchen ein gepflegtes Pils trinken, statt sich klebriges Cola light einzuflößen und einsam um den Häuserblock zu joggen – in der vergeblichen Hoffnung wieder so schön zu werden wie einst im Mai.

Entnommen aus: Udo Pollmer, Esst endlich normal! Piper-Verlag 2005