Versteckte Bilder

Von Jochen Stöckmann · 14.06.2012
Die Berlinische Galerie zeigt die deutschlandweit erste Retrospektive des international renommierten Künstlers Alfredo Jaar. Der Ausstellungsschwerpunkt umfasst Werke, die in und für Berlin entstanden sind - ergänzt um Afrika-bezogene Themen, wie den Völkermord in Ruanda.
17 Titelbilder des Magazins "Newsweek" hat Alfredo Jaar in der Berlinischen Galerie aufgereiht, weil es 17 Wochen dauerte, bis der Genozid, den der eben aus Ruanda zurückgekehrte Künstler selber miterlebt hatte, 1994 in den USA "titelfähig" wurde: Ein einziges Mal verdrängte das Bild aus einem überfüllten Flüchtlingslager die Boulevard-Schlagzeilen über den Mordprozess gegen Football-Star O. J. Simpson.

Fotos der Massaker und ihrer blutigen Spuren gab es zuhauf - der Künstler hat sie jetzt noch einmal für zwei Arbeiten verwendet. Zum einen sind einige zehntausend Dias wie Schüttgut über einem Leuchttisch aufgehäuft, zum anderen hat Jaar im abgedunkelten Saal schwarze Archivkisten zu schlichten Grabmalen aufgetürmt. Aus der nüchternen Inhaltsbeschreibung auf den Kartondeckeln geht hervor, dass hier unzählige Ruanda-Fotos lagern - dem Blick entzogen:

Alfredo Jaar: "”Diese Bilder des Schreckens wurden gezeigt, aber es gab keine Reaktion. Also habe ich mir andere Strategien der Repräsentation überlegt, eine Art Umkehrung: Wenn ich die Bilder zeige, tut ihr so, als hättet ihr sie nicht gesehen - also verstecke ich sie, damit ihr besser hinschaut.""

Besser, schärfer hinschauen - das ist Jaars Credo. Frühe Foto-Arbeiten dokumentieren, wie der Chilene zu Zeiten der Militärdiktatur durch Plakate mit der scheinbar unpolitischen Frage "Sind Sie glücklich" öffentliche Aufmerksamkeit auf Veränderungen im Stadt- und Straßenbild lenken konnte. Immer schon ging Jaar sehr reflektiert, fast schon skrupulös mit Bildern um - und dennoch konstatiert der Künstler angesichts seiner Berliner Retrospektive:

"Vor Ruanda habe ich Fotografie womöglich in unverantwortlicher Weise benutzt, sie war schließlich meine Verbindung zur Welt. Aber dann habe ich entdeckt, daß die Abwesenheit eines Bildes wichtiger sein kann als das Foto selbst."

Die imaginierte, regelrecht "phantastische" Präsenz eines jener Fotos, die als "Ikone" medial beschwatzt, aber kaum noch angeschaut werden, steht im Mittelpunkt von "sound of silence", einer Videoinstallation. Jaar erzählt allein mit Zwischentiteln vom Leben und Selbstmord des südafrikanischen Fotojournalisten Kevin Carter, und nur für Sekundenbruchteile taucht am Ende inmitten blendender Stroboskopblitze das 1994 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Reportagefoto des hungernden Kindes auf, das von einem Geier belauert wird. Die Hommage für einen Pressefotografen gelingt eindrucksvoll, aber womöglich zu Lasten der Medienkritik?

Alfredo Jaar: "”Ich bin kein Studiokünstler, sitze nicht im Atelier, kann kein Werk aus dem Nichts heraus schaffen. Meine Arbeit ist eine Antwort auf das reale Leben. Oft treffe ich Fotojournalisten - und ich bewundere, wie Einzelne ihr Leben riskieren als Reporter, als Augenzeugen für den Rest der Welt.""

Jaar, der als Fotokünstler begann, hat den Gesichtskreis erweitert, ist auch Ohrenzeuge: Texttafeln und Schriftbänder überlagern die Bilder, Worte umkreisen die Porträtierten.

Alfredo Jaar: "”Vor allem rede ich mit den Leuten, aus diesen Gesprächen entstehen meine Arbeiten. Und ich denke darüber nach, wie ich an dieses Material gelangt bin, welches Potential sich darin verbirgt.""

Als "Ästhetik des Widerstands" hat Jaar dieses Potential nach seiner Lektüre des gleichnamigen Romanessays von Peter Weiss dem Pergamon-Altar entlockt: Das war 1992, er ließ in Neonschrift die Ortsnamen fremdenfeindlicher Gewalt aufscheinen.

Für solche Themen, die doch eigentlich Wutausbrüche oder Scham hervorrufen sollten, erscheinen seine jüngsten Installationen fast allzu sachlich und unterkühlt. Aber mit genau diesen unsentimentalen Kunstgriff eröffnet Jaar in ganz einzigartiger Weise ungeahnte Räume, Denkräume:

"Als Architekt kann ich das Design bis ins Detail planen, aber wenn es dann gezeigt wird, verliere ich die Kontrolle. Die Betrachtungsweise, die Reaktionen und was jeder Besucher in die Arbeit projiziert, das lässt sich nicht vorhersagen - ein faszinierender Prozess."