Versöhnung von Mystik und Wissenschaft
"137" ist die Biografie eines ungewöhnlichen Mathematikers und ein Stück Zeitgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in dem sich die Physik im Wandel befindet und an neue Grenzen stößt.
Mystik, Träume, Zahlen und Quantenphysik – in "137" von Arthur I. Miller treffen eine Menge Gegensätze aufeinander. Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli war bei dem Psychologen Carl Gustav Jung in Behandlung und später bis an sein Lebensende mit ihm befreundet. Gemeinsam erkundeten sie "das Niemandsland zwischen der Physik und der Psychologie des Unbewussten" und befruchteten sich gegenseitig mit Ihren Ideen.
Der Verlag bewirbt "137" als Doppelbiografie von Jung und Pauli, wobei das Leben des Psychologen deutlich knapper wegkommt als das des Physikers. Aus Angst um seinen Ruf als Wissenschaftler redete Pauli anfangs nie mit seinen Kollegen von der ETH in Zürich über seine Verbindung zu Jung, dessen Patient er 1932-33 war. Paulis Mutter hatte sich 1927 das Leben genommen. Er selbst hatte eine kurze gescheiterte Ehe hinter sich und steckte wissenschaftlich und menschlich in einer Sackgasse, immer am Rande einer Depression. 400 Träume schrieb er in den kommenden Jahren auf, die Jung zusammen mit ihm analysierte und dabei versuchte, den Verstandesmenschen Pauli mit seiner Anima, seiner unbewussten, emotionalen Seite, zu versöhnen.
Auch über die geheimnisvolle 137 tauschten sich die beiden aus, jene Zahl, die den Abstand zweier Spektrallinien im Spektrum des Wasserstoffatoms beschreibt. Diese sogenannte Feinstrukturkonstante wurde 1915 von Paulis Mentor Arnold Sommerfeld entdeckt. Sie hat elementare Bedeutung für den Aufbau der Atome und damit für unser ganzes Universum. Hätte sie einen geringfügig anderen Wert, gäbe es unsere Welt nicht. Jung sah in der 137 eine archetypische Zahl für Gegensatzpaare schlechthin (wegen der abwechselnd hellen und dunklen Streifen, die sich im Spektrum zeigten). Gemeinsam verfolgten sie die Idee, dass Naturgesetze eine Projektion sein könnten: eine Spiegelung archetypischer Konzepte, die aus dem Unbewussten an die Oberfläche der Psyche sickern. Pauli glaubte, dass neue Ideen nicht allein durch Logik in die Welt kommen können, sondern durch Intuition. 1956 schrieb er, dass sein "wirkliches Problem die Beziehung zwischen Mystik und Wissenschaft war und ist." Gemeinsam mit Jung sehnte er sich nach einer Theorie, die beides vereinte.
Die Beziehung zwischen Jung und Pauli ist außergewöhnlich. Dass Miller sich in der Beschreibung ihrer Bekanntschaft in kapitellangen Traumdeutungen zerfasert, ohne dabei den Stellenwert der Jungschen Theorie aktuell einzuordnen, ist jedoch eine unübersehbare Schwäche seines Buches. Manch alchemistische Exkurse zur Bedeutung der Zahlen 3 und der 4 wirken wie das sumpfige Gelände zahlenmystischer Konzepte, geben aber wichtige Einblicke in die Denkweise Wolfgang Paulis. Hier entfaltet das Buch seine größte Stärke: als Biografie eines ungewöhnlichen und strengen Mathematikers, dessen Leben und Persönlichkeit eindrucksvoll hervortreten. Zugleich beschreibt Miller ein Stück Zeitgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in dem sich die Physik im Aufbruch und Wandel befindet und an neue Grenzen stößt.
Besprochen von Gerrit Stratmann
Arthur I. Miller: 137. C. G. Jung, Wolfgang Pauli und die Suche nach der kosmischen Zahl
Aus dem Englischen von Hubert Mania
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011
412 Seiten, 22,99 Euro
Der Verlag bewirbt "137" als Doppelbiografie von Jung und Pauli, wobei das Leben des Psychologen deutlich knapper wegkommt als das des Physikers. Aus Angst um seinen Ruf als Wissenschaftler redete Pauli anfangs nie mit seinen Kollegen von der ETH in Zürich über seine Verbindung zu Jung, dessen Patient er 1932-33 war. Paulis Mutter hatte sich 1927 das Leben genommen. Er selbst hatte eine kurze gescheiterte Ehe hinter sich und steckte wissenschaftlich und menschlich in einer Sackgasse, immer am Rande einer Depression. 400 Träume schrieb er in den kommenden Jahren auf, die Jung zusammen mit ihm analysierte und dabei versuchte, den Verstandesmenschen Pauli mit seiner Anima, seiner unbewussten, emotionalen Seite, zu versöhnen.
Auch über die geheimnisvolle 137 tauschten sich die beiden aus, jene Zahl, die den Abstand zweier Spektrallinien im Spektrum des Wasserstoffatoms beschreibt. Diese sogenannte Feinstrukturkonstante wurde 1915 von Paulis Mentor Arnold Sommerfeld entdeckt. Sie hat elementare Bedeutung für den Aufbau der Atome und damit für unser ganzes Universum. Hätte sie einen geringfügig anderen Wert, gäbe es unsere Welt nicht. Jung sah in der 137 eine archetypische Zahl für Gegensatzpaare schlechthin (wegen der abwechselnd hellen und dunklen Streifen, die sich im Spektrum zeigten). Gemeinsam verfolgten sie die Idee, dass Naturgesetze eine Projektion sein könnten: eine Spiegelung archetypischer Konzepte, die aus dem Unbewussten an die Oberfläche der Psyche sickern. Pauli glaubte, dass neue Ideen nicht allein durch Logik in die Welt kommen können, sondern durch Intuition. 1956 schrieb er, dass sein "wirkliches Problem die Beziehung zwischen Mystik und Wissenschaft war und ist." Gemeinsam mit Jung sehnte er sich nach einer Theorie, die beides vereinte.
Die Beziehung zwischen Jung und Pauli ist außergewöhnlich. Dass Miller sich in der Beschreibung ihrer Bekanntschaft in kapitellangen Traumdeutungen zerfasert, ohne dabei den Stellenwert der Jungschen Theorie aktuell einzuordnen, ist jedoch eine unübersehbare Schwäche seines Buches. Manch alchemistische Exkurse zur Bedeutung der Zahlen 3 und der 4 wirken wie das sumpfige Gelände zahlenmystischer Konzepte, geben aber wichtige Einblicke in die Denkweise Wolfgang Paulis. Hier entfaltet das Buch seine größte Stärke: als Biografie eines ungewöhnlichen und strengen Mathematikers, dessen Leben und Persönlichkeit eindrucksvoll hervortreten. Zugleich beschreibt Miller ein Stück Zeitgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in dem sich die Physik im Aufbruch und Wandel befindet und an neue Grenzen stößt.
Besprochen von Gerrit Stratmann
Arthur I. Miller: 137. C. G. Jung, Wolfgang Pauli und die Suche nach der kosmischen Zahl
Aus dem Englischen von Hubert Mania
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011
412 Seiten, 22,99 Euro