"Wenn man zurückschaut: Es ist Frieden mit Frankreich, Frieden mit Großbritannien. Wir sagen immer: Wir Palästinenser haben keine sechs Millionen Israelis getötet und Israel hat auch keine sechs Millionen Palästinenser getötet. Heute gibt es einen deutschen Botschafter in Tel Aviv und einen israelischen Botschafter in Berlin. Es ist also zu schaffen. Wir wissen nur nicht, wie viel Blut vergossen werden muss, um die Voraussetzungen für unseren Frieden zu schaffen."
Nahost-Konflikt
Als "Brüder" bezeichnen die beiden Männer sich, weil sie durch ein gemeinsames Schicksal miteinander verbunden sind. © Getty Image / iStock / Peopleimages
Verbrüdert gegen den Hass
05:50 Minuten
Der Israeli Rami Elhanan und der Palästinenser Bassam Aramin haben jeweils eine Tochter durch den Nahostkonflikt verloren. Doch statt Vergeltung wollen sie Verständigung. Mit dieser Botschaft sind sie auch nach Deutschland gereist.
Rami Elhanan kommt allein. Und er wirkt müde. Sein Freund Bassam Aramin lässt sich entschuldigen, er muss sich im Hotel ausruhen. Die Reise nach Berlin war anstrengend, zumal Bassam vergessen hatte, einen Passierschein von den israelischen Behörden zu beantragen. Und das am Flughafen nachholen musste, damit er als Palästinenser die Region überhaupt verlassen konnte. So erzählt es sein Freund, der Israeli Rami:
"Jedes Mal, wenn er seinen palästinensischen Pass vorzeigt, gehen alle Alarmlichter an, die Grenzen fallen und das Misstrauen ist groß. Die erste Frage ist dann immer: Was macht ihr beiden zusammen? Wie ist eure Verbindung? Bassam sagt dann jedes Mal, wir seien Brüder. Es ist auf jeder Reise immer wieder dasselbe."
Verbunden durch ein Schicksal
Als "Brüder" bezeichnen die beiden Männer sich, weil sie durch ein gemeinsames Schicksal miteinander verbunden sind: Beide haben eine Tochter durch den Nahostkonflikt verloren. Ramis Tochter Smadar wird 1997 durch einen palästinensischen Selbstmordattentäter getötet, als sie gerade auf dem Weg ist, Schulbücher zu kaufen.
Zehn Jahre später wird Bassams Tochter Abir vor ihrer Grundschule von einem israelischen Soldaten durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet.
Der Ire Colum McCann beschreibt den Moment am 4. September 1997, als Rami Elhanan vom Tod seiner Tochter erfährt:
"Ich hörte im Radio von dem Sprengstoffanschlag. Wenn du von einem Anschlag hörst, egal wo, betest du, dass der Finger des Schicksals nicht auf dich zeigt. Jeder Israeli kennt das, du gewöhnst dich an solche Nachrichten und trotzdem bleibt dir jedes Mal das Herz stehen. Du rast von Krankenhaus zu Krankenhaus, von Polizeiwache zu Polizeiwache. Beugst dich über den Tresen. Bettelst. Du gibst nicht auf, fährst weiter und weiter, bis du schließlich Stunden später mit deiner Frau in einer Leichenhalle stehst. Der Finger des Schicksals zeigt genau auf dich, genau zwischen deine Augen."
Schwarz-Weiß bei Israelis und Palästinensern
McCann hat ein Buch über die beiden Männer geschrieben, „Apeirogon“. Der Titel bezeichnet eine geometrische Figur mit zahlreichen Ecken und Winkeln. So verwinkelt, so zahlreich sind auch die Narrative von Israel und Palästina. Und doch wird von dort meist eine Schwarz-Weiß-Erzählung zweier verfeindeter Völker geschildert.
Bassam und Rami wollen diesem Freund-Feind-Schema nicht verfallen. Denn sie sagen: Nicht die andere Seite sei am Tod ihrer Kinder schuld, sondern die Tatsache, dass es keinen Frieden gibt. Indem sie ihre Geschichten miteinander, nebeneinander, nicht gegeneinander erzählen, machen sie deutlich, wie eng nicht nur sie miteinander verbunden sind, sondern auch ihre beiden Völker, Israelis und Palästinenser. Rami sagt:
"Colum McCann hat ein Meisterwerk geschrieben. Er erzählt unsere Geschichte in 1001 Kapiteln. So wie Scheherazade ihre Geschichte in 1001 Kapiteln erzählt, um am Leben zu bleiben. Und genau das machen wir, indem wir unsere Geschichte vier, fünf Mal am Tag erzählen: Wir halten unsere Mädchen am Leben.
Für mich ist das der Grund, weshalb ich morgens aufstehe, egal wie die Situation ist. Trump mag kommen oder gehen, Assad kommt und geht, und auch Putin wird irgendwann verschwinden. Meine Botschaft aber bleibt: Ich möchte meinen Enkeln sagen können: Als es an mir war, etwas zu ändern, habe ich gehandelt. Und nicht einfach zugeschaut."
Die Botschaft der Männer ist Hoffnung
So ist mit der Geschichte der beiden Männer in diesen Tagen eine besondere Botschaft verbunden: Hoffnung. Vor allem aber eine Haltung in Zeiten von Ukraine-Krieg und wachsender Polarisierung innerhalb Europas: Den Mut, für den Dialog, für Verständigung, einzutreten.
Gleich beginnt die Lesung und Diskussion mit den beiden Männern. Bassam hat sich inzwischen erholt und erzählt mir, dass eigentlich er schuld daran ist, dass sein Freund Rami nach Deutschland reiste:
"Ich weiß, wie schwer ihm das gefallen ist, hierher zu kommen. Aber ich wollte, dass er dieses Gefühl überwindet und die Menschlichkeit hier entdeckt, in Deutschland."
Ramis Vater überlebte den Holocaust
Bassam kennt Ramis Geschichte gut, er weiß, dass dessen Vater nach dem Zweiten Weltkrieg als einziger Holocaust-Überlebender der Familie von Ungarn nach Jerusalem kam. Der Palästinenser weiß, welche emotionale Bedeutung die Deutschlandreise für seinen israelischen Freund hat. Doch er zieht daraus Hoffnung, auch für den heimischen Konflikt:
Am Mittwochabend, 22. Juni, erzählen beide Männer ihre bewegende Geschichte in Aschaffenburg, einen Tag später in München und am 23. Juni in Stuttgart.