Versicherer sägen "an dem Ast, auf dem sie sitzen"

Axel Kleinlein im Gespräch mit Hanns Ostermann · 29.01.2013
Es sei eine "Unverschämtheit", die Gewinne aus den Bewertungsreserven nicht an die Kunden auszuzahlen, beklagt der Vorsitzende des Bundes der Versicherten (BDV), Axel Kleinlein. Das geplante neue Lebensversicherungsgesetz sei außerdem "handwerklicher Pfusch".
Hanns Ostermann: Es geht um Geld, jede Menge Geld. Manch einer spricht sogar von einem Milliardenjackpot. Allerdings käme der nicht Ihnen oder mir zugute, sondern den Lebensversicherern. Passiert ein entsprechendes Gesetz heute den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat, dann zieht der Verbraucher den Kürzeren, und die stillen Reserven der Konzerne wachsen und wachsen. Stefan Maas erzählt die ganze Geschichte.

Stefan Maas über ein Beitrag als MP3-Audio umstrittenes Gesetz zu den Lebensversicherungen (MP3-Audio). Am Telefon von Deutschlandradio Kultur ist jetzt Axel Kleinlein, der Vorsitzende des Bundes der Versicherten. Guten Morgen, Herr Kleinlein!

Axel Kleinlein: Guten Morgen!

Ostermann: Sie sprechen seit Tagen von einer Frechheit, was das neue Gesetz betrifft. Was genau empfinden Sie als problematisch?

Kleinlein: Die Bewertungsreserven sind ja schon seit Langem in der Diskussion. Wir haben erlebt, wie in den 90er-Jahren die Versicherer erst mal gesagt haben, es gibt diese Reserven eigentlich gar nicht, dann wurde gesagt, man könne sie nicht berechnen, und am Schluss wurde gesagt, man könne sie nicht an die Kunden auszahlen. Wir sind vor Gericht gegangen, und das Verfassungsgericht hat uns 2005 dann recht gegeben und gesagt, die Kunden sollen daran beteiligt werden.

Und damals hat das Verfassungsgericht gesagt, an den Bewertungsreserven, und nicht unterschieden zwischen Bewertungsreserven erster oder zweiter Klasse, und jetzt sollen wir erfahren über das Gesetz, dass es Bewertungsreserven gibt, nämlich jene aus den festverzinslichen Papieren, an denen die Kunden eben nicht so gut beteiligt werden sollen – das ist eine Unverschämtheit!

Ostermann: Herr Kleinlein, woher wissen Sie, dass die Versicherungen es sich wirklich leisten können, ihre Reserven zur Hälfte auszuschütten?

Kleinlein: Zum einen wird ja regelmäßig geguckt – durch die Aufsichtsbehörde, durch die Bundesbank –, wie die Finanzinstitute dastehen, das sieht richtig gut aus für die deutschen Versicherer. Wir haben auch eine aktuelle Untersuchung von Ökotest, in der ganz genau unter die Lupe genommen wurde, was denn in den jeweiligen Pufferpositionen drin steht. Und das, was man klar sagen kann, ist, die deutsche Lebensversicherungsbranche ist sehr gut durch die Krise gegangen. Wer gelitten hat, sind die Kunden, die mussten immer wieder neue Überschusssenkungen hinnehmen, obwohl die Unternehmen viel in den Reservetöpfen haben, nicht nur bei den Bewertungsreserven, sondern auch in anderen Töpfen, sodass eigentlich mehr Geld fließen könnte. Aber anscheinend wollen die Unternehmen nicht.

Ostermann: Die Reserven sollen dafür sorgen, dass die Versicherungen ihre Verpflichtungen erfüllen können. Also Reserven sind unverzichtbar – würden Sie dem zustimmen?

Kleinlein: Absolut, ich bin Versicherungsmathematiker und als solcher weiß ich, dass man hier mit großer Vorsicht und Sicherheit arbeiten muss – aber wenn den Kunden über Jahre hinweg gesagt wird, dass Reservepuffer aufgebaut werden für die schlechten Zeiten, in den schlechten Zeiten aber eben nicht unterstützt wird, sondern im Gegenteil, die Überschussbeteiligung noch weiter runtergefahren wird und dann zeitgleich sogar noch ein derartiges Gesetz durchgewunken werden soll, dann ist das eine Frechheit.

Ostermann: Jetzt planen Lebensversicherer, Zinsen nur noch für 10 oder 15 Jahre zu garantieren. Das klingt für mich plausibel, überzeugt Sie ein solcher Schritt?

Kleinlein: Aus versicherungsmathematischer Sicht kann das eine richtige Antwort sein. Nur ich sehe dann nicht die Kunden, die mit diesen Produkten überhaupt noch in irgendeiner Art und Weise sinnvolle Altersvorsorge oder Absicherung betreiben können. Die Versicherer sägen hier an dem Ast, auf dem sie sitzen, denn die Stärke des deutschen Lebensversicherungsmarktes liegt ja eben gerade darin, diese Garantien anbieten zu können. Ansonsten sollten sich die Versicherer auf das Kerngeschäft beschäftigen, eben Risiken absichern und sich von der Altersvorsorge verabschieden.

Ostermann: Ist die Lebensversicherung denn jetzt noch eine gute Altersvorsorge oder nicht?

Kleinlein: Sie war es noch nie, und sie ist es jetzt so wenig denn je. Es gibt nur eine Handvoll weniger Kunden, für die eine Lebensversicherung überhaupt sinnvoll ist, denn der Todesfallschutz, der hier in dieses Produkt mit eingebaut ist, ist für die meisten zu wenig, und für die anderen, die keinen Todesfallschutz brauchen, zu teuer. Auch bei den Rentenversicherungsprodukten, Riester-Rente, Rürup-Rente, das ist ja alles im Portfolio der Versicherer mit drin, da ist es ausgesprochen problematisch, wie hier kalkuliert wird, eben insbesondere die Sterbetafeln tun hier ihr Übriges. Also man muss insgesamt die gesamte Produktlandschaft in Sachen Altersvorsorge hier genau unter die Lupe nehmen.

Ostermann: Womit rechnen sie heute Abend, wenn der Vermittlungsausschuss tagt?

Kleinlein: Das wage ich nicht zu prognostizieren. Dieses Gesetz ist eine Einzigartigkeit, wie man sie bisher noch nicht erlebt hat – ein handwerklicher Pfusch erst mal, wie es auf den Gesetzesweg gebracht wurde –, und wir hatten mittlerweile viele Überraschungen, dass der Bundestag das erst durchwinkt, die CDU-Parteibasis, die auf dem Parteitag die Kanzlerin einfängt und sagt, hier, nimm dieses Gesetz zurück, der Bundesrat, der ganz klar gezeigt hat, dass unser Zwei-Kammern-System auch wirklich funktioniert – also man muss Daumen drücken und hoffen.

Ostermann: Axel Kleinlein, der Vorsitzende des Bundes der Versicherten. Herr Kleinlein, danke für das Gespräch heute früh!

Kleinlein: Bitte sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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