Verschwommene Welt

Von Jochen Stöckmann · 11.10.2009
Als Pionier beim Durchbruch zur Abstraktion - so wird Monet in kunsthistorischen Fachkreisen gehandelt. Anschaulich gemacht hat das in Deutschland in dieser Breite noch kein Museum, bis auf das Von der Heydt-Museum in Wuppertal.
Das Wuppertaler Von der Heydt-Museum lässt alle blasse Theorie beiseite, versammelt in bislang einmaliger Fülle einfach nur überwältigend schöne Gemälde von Claude Monet: Frühlingsstimmungen und herbstliche Farbklänge, das Londoner Parlament im Pastell-Nebel, der venezianische Palazzo Contarini am leuchtend blauen Wasser des Canal Grande. Und vom Seineufer jede Menge Eindrücke, also das, womit der Pariser Maler 1874 die Kritiker herausforderte: Sie schimpften ihn und seine Freunde "Impressionisten", weil diese Maler unter dem Titel "Impression de …", also "Eindruck von …" allzu flüchtig hingeworfene Bilder präsentierten. Daran hat sich das heutige Publikum nicht nur gewöhnt, Impressionisten-Bilder gehören längst zum gepflegten Kunstgenuss. Der stünde auch in Wuppertal zu erwarten - wäre da nicht das überraschende Bekenntnis von Museumsdirektor Gerhard Finckh:

"Ich glaube, dass Monet ein sehr radikaler Maler war. Er hat Dinge langsam entwickelt und ist bei diesem Entwicklungsprozess zu Punkten gekommen, wo er weiter war als seine Kollegen. Wenn man etwa an Cézanne denkt, der war sicher sehr weit, aber solch einen Punkt gibt es bei ihm, in seinem Werk nicht. Auch bei van Gogh nicht oder bei Gauguin, da gibt es das alles nicht. Das gibt es eben nur bei Monet, und deswegen finde ich ihn so rasend aufregend."

Ein sanfter, aber sehr beharrlicher Radikaler also, ein Maler, der die Wendepunkte seiner Karriere sorgsam vorbereitet. Regelrechte Konstruktions-Zeichnungen, sorgsam ausgeführte Skizzen und die Vorstudien zu Flächenverteilungen und Farbkompositionen illustrieren diesen künstlerischen Entwicklungsprozess. Aber es sind auch frühe Arbeiten ausgestellt, gekonnte Politikerkarikaturen in der Manier Daumiers. Hätte der junge Kunststudent mit diesen Bildern für den Massengeschmack weitergemacht, Monet wäre nach eigenem Bekunden "Millionär geworden". Stattdessen griff er zu Ölfarbe, Pinsel und Staffelei – und schuf Meisterwerke. Diese Bilder sind jetzt erstmals in Deutschland in angemessener Fülle zu sehen, großzügig gehängt an hohen, in edlem Grau gestrichenen Wänden, darüber Titel und Leihgeber in großen Lettern weithin sichtbar – für den Fall, dass der erwartete Publikumsstrom sich staut:

"Wir haben rund 100 Bilder ausgesucht, mehr ist das gar nicht. Und Monet hat einige 1000 gemalt. Aber ich glaube, diese 100 Bilder sind wirklich so etwas wie der Kern seines Schaffens. Es sind wirklich die großen Sachen dabei wie der Getreideschober aus Zürich oder die drei Kathedralen. Das sind schon die Super-Super-Bilder - und dann alleine 20 Seerosen-Bilder, wo gibt’s das sonst?"

Allenfalls im Garten von Giverny, in der Natur, aber auch die war gemacht, konstruiert. Monet gab Anweisungen an seine Gärtner, Pflanzen so zu platzieren, dass von den zuvor bereits ausgewählten Standpunkten aus die Wolken sich ebenso im Wasser spiegeln würden wie die Seerosen. Aber nicht auf visuelle Zaubertricks, auf optische Effekte aus dem Spiegelkabinett kam es dem Maler an. Das beweist die Gegenüberstellung, die gar nicht zufällige Begegnung zweier Bilder im Von der Heydt-Museum, ein Schlüsselmoment der Wuppertaler Ausstellung: Kreisrund unterm spitzen Ährendach steht da ein typischer Getreideschober, strohfarben auf braunem Grund, 1891 von Monet an einem Spätsommermorgen gemalt. Würde diese Arbeit aus dem Pariser Musée d’Orsay nicht direkt neben jenem berühmten Gemälde aus dem gleichen Jahr hängen, das aus dem Kunsthaus Zürich in die Wuppertaler Ausstellung kam - man hätte heute noch Probleme, das Sujet auszumachen, vermutet Gerhard Finckh:

"Dieses Bild hat Kandinsky 1895 in Moskau gesehen. Und er hat gesagt: 'Ich hatte bis dahin nur realistische Kunst gesehen - und plötzlich sah ich ein Bild!' Da dieser oben angeschnitten ist, sieht man eben nicht so richtig, was es eigentlich ist. Dann ist da ein riesiger Schatten dran, der nun in blau, gelb und grün gemalt ist. An der Stelle hat eben Kandinsky angeknüpft und gesagt: 'Ja, wenn ich den Gegenstand im Bild schon nicht mehr richtig erkennen kann, dann ist natürlich die Frage, brauche ich überhaupt noch einen Gegenstand?'"

Auf dem Weg zur gegenstandslosen Malerei, als Pionier beim Durchbruch zur Abstraktion – so wird Monet in Fachkreisen, unter Kunsthistorikern und -theoretikern gehandelt. Gezeigt, anschaulich gemacht hat das in Deutschland in dieser Breite noch kein Museum. Dabei war doch sein Bemühen, Grenzen zu durchstoßen, die Kunst aus dem Zwang zur Nachahmung zu nicht nur von Erfolg gekrönt, Monets Malerei hatte Folgen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein:

"Die großen Amerikaner der 50er-Jahre, Sam Francis, Elsworth Kelly, Barnett Newman, die haben alle von Monet gelernt. Sie waren es eigentlich, die Giverny wieder zum Leben erweckt haben."

Heute ist Monets Garten in der Normandie zu besuchen wie ein gutes Museum: Genuss und Erkenntnis stellen sich beim Gehen über die Pfade und Brücken zwischen den Seerosenteichen wie von selbst ein. Dazu bedarf es keines betreuten Sehens, keiner didaktischen Handreichungen oder ins Blickfeld hereinragender Texte. Insofern präsentiert Wuppertal eine Ausstellung alten Stils – die für das Publikum viel Neues über Monet zutage fördern wird.

"Man kann diese Bilder einfach genießen. Aber ich glaube, der Genuss erhöht sich, wenn man sich darum bemüht, diese Bilder zu entziffern. Wenn man versucht herauszukriegen, wie ordnet er das, was ihn fasziniert auf so einer rechteckigen Leinwand an? Und es ist das Schöne bei Monet, dass man diese Bilder zwar analysieren kann, aber es bleibt eine unglaubliche Substanz über. Diese Bilder haben eine Kraft und sind mit einer solchen Intellektualität einerseits und mit einer solchen Emotion, mit Seele ausgestattet, das ist phänomenal."

Service:

Die Ausstellung "Claude Monet" ist vom 11. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010 im Von der Heydt-Museum Wuppertal zu sehen.