Verschwiegene Orte

Von Tobias Wenzel |
Judith Zander liest beim 34. Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt aus ihrem noch unveröffentlichten Debütroman über ein Dorf in Vorpommern. Ihre Gedichte wurden ausgezeichnet.
"Nächste Haltestelle: Krakow."

Judith Zander liest aus "Dinge, die wir heute sagten": "Hier liegen die verschwiegenen Orte, nachlässig verschüttet in einer Landschaft zum Übersehen, flach. Ein hässliches Endlein der Welt, über das man besser den Mund hält."

Zweieinhalb Kilometer westlich von Krakow liegt ein ebenso unscheinbarer Ort Vorpommerns: Landsdorf.

Ein korpulenter Mann im weißen Feinrippunterhemd, die Hose fast bis unter die Achseln gezogen, harkt den Sandstreifen vor seinem Gartenzaun und guckt hoch, verdutzt über den Fremden. Auch Judith Zander ist in diesem Dorf eine Fremde, als Stipendiatin wohnt die 1980 geborene Autorin hier in der Wohnung eines neoklassizistischen Gutshauses.

Ein gewaltiges Anwesen, mit einem eigenen Wald und einem großen Gartenteich mit sechs verschiedenen Froscharten.

Judith Zander: "Für die Frösche ist es jetzt ein bisschen zu sonnig. Aber sobald es sich bewölkt, fangen sie dann auch an zu quaken."

Judith Zander setzt sich an den Rand des Stegs. Sie hat sich eine blaue Jacke übergezogen. Immer wieder kommt Wind auf und weht über ihre kurzen blonden Haare hinweg.

"Der Teich war wohl auch total zugemüllt. Und da lag sogar ein Trabbi drin. Und der musste erst ausgebaggert werden."

In einem Dorf Vorpommerns spielt auch Judith Zanders Debütroman "Dinge, die wir heute sagten". Darin entwirft die Autorin sprachlich gekonnt das faszinierende Panorama eines Dorfes, in dem plötzlich ein irischer Junge auftaucht und zwei Mädchen aus ihrem langweiligen Alltag reißt. Judith Zander ist in ihrer Geburtsstadt Anklam aufgewachsen, nicht auf dem Dorf:

"Also ich bin schon ein Stadtkind, wobei das auch die totale Provinzstadt ist, Anklam. Es ist so eine Stadt, wo es alles einmal gibt. Also einen Marktplatz, ein Kino, eine Buchhandlung. Ja. Tote Hose."

Sofort nach dem Abitur verließ Judith Zander Anklam, um in Greifswald Germanistik, Anglistik und Geschichte zu studieren. Aber irgendwie war es das nicht. Ein Freund überredete sie, sich beim Literaturinstitut in Leipzig zu bewerben. Dort wurde sie angenommen und schrieb einen längeren Prosatext über zwei Mädchen in einem Dorf.

"Dann träumte ich verrückterweise eines Nachts, ich würde einen Roman schreiben. Und das war ein umwerfendes Gefühl, weil ich mir nie vorher vorstellen konnte, überhaupt einen Roman zu schreiben. Das lag eigentlich auch gar nicht in meiner Absicht, weil ich ja von den Gedichten herkomme. Und dann habe ich angefangen."

Und nicht mehr aufgehört. Über 450 Seiten stark ist ihr erster Roman geworden. An jedem ihrer Sätze hat sie fast gefeilt wie an einem Vers. Schließlich hasst sie es, Texte umzuschreiben. Früher, in der Kinderabteilung der Bücherei in Anklam, lieh Judith Zander schon stapelweise Bücher aus, als sie noch gar nicht lesen konnte. Vielleicht auch, weil ihre Eltern - der Vater Maurer, die Mutter lange Zeit Verkäuferin - so gut wie keine Bücher im Haus hatten:

"Meine Mutter hat dann auch irgendwann ein Heft mit zwei, drei gereimten, allerdings metrisch schon ganz gut gereimten Gedichten gefunden, die sich dann so um meinen Papa und meinen Hund drehten, so mit elf Jahren. Das verschwand dann in der Schublade. Und dann war lange nichts. Und angefangen habe ich dann wieder, ja, wie so viele, so mitten in der Pubertät, wenn da die ersten Liebesquerelen sind und man dann nach Ausdruck sucht."

Als Dichterin ist Judith Zander schon lange kein Geheimtipp mehr. Aber einen ebenso dicken wie sprachgewaltigen Roman hätte wohl kaum jemand von ihr erwartet. Gleich zu Beginn der Geschichte stirbt eine alte Frau. Redestoff fürs Dorf:

Judith Zander liest aus "Dinge, die wir heute sagten":
"Na wat seggst dootau nu isse doot
Joo nu isse doot ick heww dat
De Olsch
Ich hab dat erst gestern inne Zeitung …"
Denkt sie, die junge Autorin Judith Zander, auch im Alltag an den Tod?

"Ja doch, ich denke eigentlich ständig daran. Also nicht so sehr, wie ich mein Ableben organisieren sollte, sondern dass, wenn Leute unterwegs sind, dass nichts kalkulierbar ist und dass sich alles von einem auf den anderen Augenblick ändern kann."

Andererseits reizt sie manchmal gerade das, was sie nicht steuern kann. Zum Beispiel auf Reisen. Vielleicht war es auch deshalb nach sieben Jahren im überschaulichen Leipzig Zeit, in die unberechenbare Großstadt Berlin zu ziehen. Aber ihr Charakter hat sich dadurch nicht verändert. Wie ihre Romanfigur Romy ist auch Judith Zander eine Grüblerin geblieben:

"Also es geht bei den einfachsten Entscheidungen schon los, wie im Supermarkt vor dem Regal stehen und 'Welchen Käse kaufe ich jetzt?' Das ist ein Entscheidungsproblem. Und das lässt sich, glaube ich, auch nicht mehr abstellen."

Judith Zander verlässt den Steg am Teich, spaziert durch den Laub- und Nadelwald auf dem Gutsanwesen, blickt hoch in die Kronen der mächtigen Bäume:

"Bäume sind eine eigene Kategorie. Also wenn man da anfängt, darüber nachzudenken, dass das Pflanzen sind, dann wird einem ganz unheimlich zumute, also dass Pflanzen wirklich solche Ausmaße erreichen können."

Judith Zander liest aus dem Gedicht "Hotel":

"wollen wir
lieber
ein waldbuch führen logieren wir
lieber im wald ich trage dich
ein unter schlafem namen
komme dir nach
in dein tanngemach das
nadelbett hält uns wach wie
eine unverhoffte haut …"

Zum Thema:
Homepage des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs.