Verschwendung als "obszön" brandmarken

Bernd Sommer im Gespräch mit Katrin Heise · 28.03.2011
Nach der Katastrophe von Fukushima gelte es, unser Konsumverhalten zu korrigieren, meint Bernd Sommer von der Universität Essen. Für ein Umdenken bleibe nicht viel Zeit.
Katrin Heise: Unsere modernen Gesellschaften bauen auf Fortschritt und Wachstum, dazu ist Energie notwendig. Die Reaktorkatastrophe in Fukushima hat uns allerdings wieder einmal gezeigt, mit welchen Risiken das alles erkauft wird. Wer die nicht mehr tragen will, muss die friedliche Nutzung der Kernenergie infrage stellen. Das haben die Wähler gestern in Baden-Württemberg getan und einen grünen Ministerpräsidenten gewählt. Ob sie aber auch so weit gehen, das Wachstum, welches diesem Energiehunger unserer Gesellschaften ja zugrunde liegt, anzuzweifeln, oder ob sie doch eher dieses Wachstum mit nachhaltigen Mitteln erreichen möchten, darüber unterhalte ich mich jetzt mit Dr. Bernd Sommer, er beschäftigt sich als Sozialwissenschaftler am kulturwissenschaftlichen Institut Essen genau mit solchen Fragen. Schönen guten Tag, Herr Sommer!

Bernd Sommer: Guten Morgen aus Essen!

Heise: Herr Sommer, beobachten Sie, dass der Schock von Fukushima tatsächlich ein Umdenken einleitet in der Energiepolitik?

Sommer: Ich meine, es ist augenfällig – und die Wahlergebnisse von gestern Abend belegen das ja auch –, dass grüne Politik lange beziehungsweise noch nie so populär war wie zurzeit. Das manifestiert sich jetzt nicht nur in den Wahlerfolgen der grünen Partei, sondern auch bei anderen Parteien steht grüne Politik, das heißt Umweltpolitik, Klimapolitik, hoch im Kurs. Gleichzeitig erleben wir aber die paradoxe Situation, dass auch unser Ressourcenverbrauch so hoch ist wie nie zuvor, dass halt die Artenvielfalt gerade in einer dramatischen Weise zurückgeht, wir in einem historischen Ausmaß Treibhausgase in die Atmosphäre blasen und noch dergleichen mehr. Das heißt, wir sind auf unserer Bewusstseinsebene grün wie nie zuvor, gleichzeitig verhalten wir uns aber nicht so.

Heise: Und das ist ja auch nicht zum ersten Mal der Fall. So ein Schock dieser Art, den gab es so ähnlich schon mal vor 25 Jahren - Tschernobyl. So weit muss man aber gar nicht zurückgehen, erinnern wir uns ein Jahr zurück, da explodierte die Ölplattform im Golf von Mexiko. Machen wir nach einer gewissen Schamfrist nicht immer weiter wie bisher?

Sommer: In der Tat, es scheint so zu sein. Ich denke auch, bei Fukushima war sicherlich der Auslöser das Erdbeben und der darauffolgende Tsunami, aber die Gründe liegen tiefer. Ähnlich wie bei der Katastrophe im Golf von Mexiko scheint es mit einem Wohlstandsmodell zu tun zu haben – Sie haben das in der Anmoderation ja auch schon genannt –, das darauf beruht, permanent billige Energie zur Verfügung zu stellen, und einen wachsenden Ressourcenverbrauch zu benötigen. Und dafür sind wir bereit, sehr hohe Risiken in Kauf zu nehmen, oder die Kosten und Folgekosten, die durch dieses Wohlstandsmodell entstehen, zu diskontieren auf zukünftige Generationen oder auch schon heute auf andere Menschen in der Welt, zumeist in den ärmeren Teilen.

Heise: Und dann versuchen wir, wenn sich irgendwas dann zum Schlechten entwickelt hat, an den Risiken zu arbeiten und die eben zu minimieren, indem man technisch wieder da irgendwie nachrüstet. Wir wissen also, dass wir auch ohne derartige Katastrophen so nicht weitermachen können, Sie haben die Klimakrise ja erwähnt, wenn wir unseren Energiehunger nicht mindern, aber es keimt ja irgendwie auch eine Hoffnung auf, grünes Wachstum nämlich, also Investitionen in Klimaschutz und Umwelttechnologie. Ist das nicht eine Lösung?

Sommer: Es steht außer Frage, dass, gerade wenn wir nachhaltiger wirtschaften wollen, in vielen Branchen, insbesondere bei den Erneuerbaren, einen starken Auf- und Ausbau benötigen, und das mag durchaus gesamtwirtschaftlich dann auch zu positiven Wachstumsraten führen. Ich bezweifle aber, dass das reicht, und zwar: Wir werden im Jahr 2050 spätestens neun Milliarden Menschen auf dieser Erde sein, und für diese Größenordnung gibt es bislang keine glaubhaften Szenarien, die auf ein permanentes, stetiges Wirtschaftswachstum mit dem bisherigen Ressourcenverbrauch und Energieverbrauch einhergehen.

Heise: Das heißt, Sie bezweifeln, dass permanentes Wachstum auch nachhaltig sein kann?

Sommer: In der Tat. Wie gesagt, gerade in Bereichen wie zum Beispiel unserem heutigen Fleischkonsum, unsere Mobilitätsmuster, die sind so nicht globalisierbar und auf Dauer ausgelegt.

Heise: Unser Thema im Deutschlandradio Kultur: die Grenzen des Wachstums, mit dem Sozialwissenschaftler Bernd Sommer. Herr Sommer, Wachstum in seiner heutigen Form ist also menschheitsgefährdend? Warum halten wir trotzdem daran fest?

Sommer: Das ist eine gute Frage. Angeführt wird ja, dass Wachstum eine ganze Reihe von Problemen unserer modernen Industriegesellschaft lösen soll, zum Beispiel, dass Wachstum neue Arbeitsplätze schafft, dass Wachstum unsere Schulden abbauen kann, aber auch, dass wir durch steigenden Wohlstand auch alle glücklicher werden. Empirisch stehen all diese Argumente aber auf recht wackeligen Füßen.

Heise: Erläutern Sie das genauer, dass sie auf wackligen Füßen stehen, denn ich meine, sie sind ja wirklich seit Jahrzehnten die Argumente, die ins Feld geführt werden?

Sommer: Wenn ich an den letzten Punkt anknüpfen darf, also inwiefern macht steigender Wohlstand glücklich, so zeigt eigentlich die Glücksforschung oder alle dahingehenden aus dem Bereich stammenden Untersuchungen, dass ab der Erreichung eines bestimmten Versorgungsniveaus steigender Wohlstand sich nicht positiv auf das subjektive Wohlbefinden, auf das Glücksempfinden der Menschen auswirkt. Ein Beispiel: In den USA war das Glücksempfinden in den 50er-Jahren nicht geringer, als es heute ist, in dem Zeitraum hat sich aber sowohl gesamtgesellschaftlich als auch individuell ein massiver Wohlstandszuwachs vollzogen, der aber auch mit steigendem Ressourcenverbrauch und steigender Verschmutzung einhergeht.

Heise: Also das heißt, das Glück steigt nicht mit dem Wachstum, die Arbeitsplätze durchaus aber schon, Arbeitsplätze werden geschaffen.

Sommer: In der Tat ist es so, dass Wachstum natürlich auch Arbeitsplätze generieren kann, auf der anderen Seite haben wir auch gerade zu Anfang dieses Jahrtausends ein Phänomen erlebt wie das sogenannte jobless growth, also wo wir Wachstum hatten, aber gleichzeitig die Arbeitsmarktzahlen sich nicht positiv verändert haben. Was auch vollkommen ausgeblendet wird, ist letztendlich, dass es auch andere Möglichkeiten gibt jenseits des Wachstums, über die Integration von sogenannten freigesetzten Arbeitskräften in die Wirtschaft nachzudenken, sprich zum Beispiel durch die Veränderung von Arbeitszeitmodellen, dass ... mehr Teilzeitarbeit, mehr Leute eingebunden werden, anstatt das ... allein über Wachstum mehr Jobs zu generieren.

Heise: Was würde es denn jetzt eigentlich bedeuten, wenn wir das Ende des Wachstums verkünden würden. Heißt das Ende des Wachstums automatisch auch Verzicht?

Sommer: Das muss man, denke ich, auch differenziert betrachten. Es gibt sicherlich eine ganze Reihe von Lebensbereichen, wo auch ohne massive Eingriffe in den Alltag halt Optimierungsmöglichkeiten bestehen, also die Energieeffizienz ist hier zu nennen, Elektrogeräte müssen nicht zwangsläufig mit Stand-by-Funktion gefertigt werden, auch bei der Gebäudeisolierung gibt es einen massiven Optimierungsspielraum. Ich denke aber, dass das alles nicht ausreicht. Wie schon verwiesen, ist unser historisches Maß an Fleischkonsum oder auch unser derzeitiges Mobilitätsmuster in der westlichen Welt, das sich zunehmend ausweitet, nicht auf Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit ausgelegt. Das heißt, wir müssen in diesen Bereichen auch über Formen der Reduktion und des Weniger nachdenken.

Heise: Und wer sollte das tun, die Politik? Sollte die anfangen zu predigen, weniger ist mehr?

Sommer: Ich denke, das ist eine Frage des Sowohl-als-auch. Natürlich ist es so, dass jeder Einzelne auch heute schon Spielräume hat. Ich denke, dass es obszön werden muss, beispielsweise mit einem SUV zum Einkaufen oder zur Arbeit zu fahren, so wie es heute schon obszön ist, wenn sich jemand dicke Goldketten um den Hals hängt und das doch für ein Naserümpfen sorgt. Das Gleiche gilt beispielsweise halt, wenn jemand bereits zu diesem Zeitpunkt des Jahres sagt, dass er die dritte Flugreise für einen Wochenendtrip in eine europäische Hauptstadt unternommen hat, dass dies auch etwas Obszönes ist und wir das auch zum Ausdruck bringen müssen. Da sind Vorbilder gefragt in der Politik aber auch anderswo, gleichzeitig hat die Politik aber auch Gestaltungsspielräume auf der regulatorischen Ebene, ohne Frage.

Heise: Menschlich ist es aber, dass man immer wieder doch sagt, meinen Kindern soll es mal besser gehen. Da steckt doch der Glaube an Wachstum schon drin, schon ganz früh.

Sommer: Aber genau die paradoxe Situation ist ja, dass wir erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg zumindest, heute, das die Generationen nicht mehr sagen können, dass es ihren Kindern besser gehen wird, als es zuvor der Fall war, weil wir sozusagen auf Kosten zukünftiger Generationen gelebt haben, weil wir in unserem Boden Müll aus der Gewinnung der Energie aus Atomkraft verbuddelt haben, weil wir den Deponierraum in der Atmosphäre vollgepackt haben mit Kohlendioxid, das alles darauf hinauslaufen wird, dass es – so zumindest die Prognosen – halt zukünftig sehr viel schwieriger wird, auf diesem Planeten zu Wohlstand zu gelangen.

Heise: Sie haben es eben sehr vorsichtig formuliert, wie so ein Ziel überhaupt erreicht werden kann, die Grenzen des Wachstums zu akzeptieren, nämlich durch Vorbildfunktion. Das bedeutet dann ja aber auch, dass man sehr, sehr langfristig erst da hinkommt, bis sich so eine ganze Gesellschaft da verändert, also die Zeit lassen Sie uns?

Sommer: Nein, in der Tat haben wir diese Zeit nicht. Prognosen aus den Klimawissenschaften gehen davon aus, dass wir bei den Treibhausgasemissionen spätestens bis zu 2020 den Scheitelpunkt erreicht haben müssen, zurzeit steigen sie weltweit weiter an, sonst lässt sich vermutlich ein gefährlicher Klimawandel nicht verhindern, und da besteht ein hoher Zeitdruck. Ich denke, wie ich das schon angedeutet habe: Es geht nur durch sogenannte Vorbildfunktion einerseits, aber natürlich hat die Politik große Spielräume. Sie kann halt Richtlinien setzen, sie kann durch den Abbau von Subventionen in schädlichen Bereichen für eine Kurskorrektur sorgen, sie kann durch eine alternative Ausgestaltung von Wahlmöglichkeiten Verhaltensveränderungen hervorrufen und dergleichen. Nur gemeinsam wird das, denke ich, gelingen.

Heise: Und leicht wird es sicherlich nicht, von Glaubensgrundsätzen Abschied zu nehmen. Ich sprach mit dem Sozialwissenschaftler Bernd Sommer vom Kulturwissenschaftlichen Institut Essen. Vielen Dank, Herr Sommer!

Sommer: Ich danke auch, einen schönen Tag!