Verschieden glauben, gemeinsam leben (Teil V)

Von Ita Niehaus · 21.08.2010
Der Dialog zwischen den Religionen gewinnt in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Im fünften Teil der Reihe "Verschieden glauben, gemeinsam leben" geht es zum Dortmunder Islamseminar.
In einem Veranstaltungsraum der Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion DITIB in Dortmund. Imam Mustafa Altuntas trägt Verse aus der 36. Sure des Korans vor. Mehmet Soyhun, islamischer Theologe und DITIB-Beauftragter für interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit im Regionalverband Essen, wiederholt die Verse – auf Deutsch.

"Er sagt, wer wird Knochen wieder lebendig machen, nachdem sie bereits morsch geworden sind? Sag: Der wird sie wieder lebendig machen, der sie erstmals hat entstehen lassen."

Das Thema heute im Dortmunder Islamseminar: Die Auferstehung der Toten – aus christlicher und muslimischer Sicht. Mehmet Soyhun und Pater Siegfried Modenbach, der Leiter des Katholischen Forums Dortmund, halten die Einstiegsreferate.

Mehmet Soyhun: "Dass Gott allmächtig ist und dass Gott alles hinkriegen kann. Deshalb habe ich auf die vier Erschaffungsweisen von Gott bei den Menschen hingewiesen. Und das habe ich auch an praktischen Beispielen aus dem Koran versucht zu belegen, dass Gott den Menschen auch zeigen kann, wie das sein kann.

Das Beispiel der Siebenschläfer, von Moses oder dass in einer verwüsteten Stadt ein Prophet vorbeikommt und sagt, wie soll das denn zur Wiederauferstehung kommen? Er stirbt, 100 Jahre vergehen und als er wieder aufgeweckt wird, wird er gefragt, wie lange hast Du denn geschlafen? Er sagt, nur einen Tag. Und er schaut auf den Esel und sieht, dass er schon verwest ist und Gott bedeckt diese Knochen mit Fleisch. Das sind konkrete Beispiele, wie die Auferstehung auch für uns sein kann."

Siegfried Modenbach: "Ich wollte vor allem vermitteln, was Auferstehung bedeutet für uns Christen und vor allem, woher wir unsere Auferstehungshoffnung haben. Nämlich von Jesus Christus selbst, der sozusagen als Prototyp der Auferstehung uns sehr schön deutlich macht, was Auferstehung für jeden Christen bedeutet."

Eine lebendige Diskussion entsteht unter den rund 40 Teilnehmern nach den Vorträgen. Über offen gebliebene Fragen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Mehmet Soyhun: "Das Gemeinsame ist, dass nach dem Leben, nach dem jenseitigen Tag, auch nach dem Christentum eine Auferstehung sein wird. Aber dass Jesus für die Sünden der Menschen gekreuzigt wird und dann aufersteht und zu Gott hochfährt sozusagen.

Als ich das damals zum ersten Mal gehört habe - warum musste ein Mensch für uns leiden? Weil wir aus dem Background kommen, dass wir keine Erb- oder Ursünde haben, haben wir das überhaupt nicht erforderlich. Aber wenn man aus der Komplexität des Christentums an die Sache herangeht, dann kann man dafür natürlich ein Verständnis entwickeln – aber trotzdem ist das unverständlich für uns Muslime."

Muslim: "Was passiert direkt nach dem Tod, die Zeit bis zur Auferstehung? Da konnte der Pfarrer keine Antwort darauf geben. Der hat das so begründet, dass ein Tag wie 1000 Jahre sein können, dass 1000 Jahre wie ein Tag sein können, eine Sekunde oder ein Augenzwinkern. In der Zeit verlässt die Seele den Körper. Es ist eine andere Dimension. Was ich über meinen Glauben weiß, weiß ich – nur der Pfarrer hat mir nicht erklären können, wie das Christentum das sieht, das war für mich interessant."

Siegfried Modenbach: "Ich kann einfach nur sagen, ich glaube daran, dass ich nach meinem Tod vielleicht sofort, vielleicht nach einer gewissen Zeit - wobei ich weiß, dass es da keine Zeit mehr geben wird -, aber dass ich in die Fülle des Lebens bei Gott hineinkomme und dass es mir da sehr gut gehen wird. Die Vorstellungen darüber, wie es sein wird, sind unterschiedlich. Ich selbst mache mir da eigentlich keine Vorstellungen."

Ulrike Hoppe: "Sie haben Isa, Jesus als den Menschen und Propheten, aber sie haben nicht Jesus als den Christus, als den Messias und Sohn Gottes. An dem Punkt wird Auferstehung für Muslime etwas, wo sie sich vom christlichen Verständnis auch abgrenzen müssen."

Ulrike Hoppe, Mitglied im Katholischen Forum Dortmund, moderiert den Abend. Seit vielen Jahren engagiert sie sich im interreligiösen Dialog, gründete vor fast 17 Jahren das Islamseminar mit. Auch Ahmad Aweimer vom Rat der muslimischen Gemeinden in Dortmund ist von Anfang an mit dabei.

Ulrike Hoppe: "Wir haben ´ne Gesprächsebene, wo Vertrauen da ist, wo man versucht, gegenseitig sich die Position darzustellen und auch vorsichtig zu fragen. Aber wo es nicht darum geht, sich gegenseitig die Rechtgläubigkeit abzusprechen. Das macht bei uns das Islamseminar auch aus, dieses gegenseitige Ausloten, was haben wir an Gemeinsamkeiten, wo sind die Grenzen, und mit beidem respektvoll umzugehen."

Ahmad Aweimer: "Respekt füreinander entwickeln, auf Augenhöhe begegnen, sich gegenseitig bereichern und Bildung. Wir versuchen wirklich etwas zu transportieren von beiden Seiten und das ist für meine Begriffe schon ein Gewinn an Lebensqualität."

Respektvoll miteinander umzugehen, das heißt auch: Die Veranstaltung zwischendurch zu unter- brechen, um den Muslimen Gelegenheit zu geben, am Abendgebet in der Moschee teilzunehmen.

Das Islamseminar ist ursprünglich ein Projekt des Dortmunder AntiRassismusForums. Es entstand 1993 nach den Brandanschlägen von Mölln und Solingen. Das Ziel: Den interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen zu intensivieren, um Ängste und Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen. Zunächst wurden vor allem grundlegende Informationen über den Islam vermittelt.

Doch schon lange ist aus dem "Islamseminar" ein "Dialogforum" geworden. Gegenseitige Besuche und Gespräche auch über kontroverse Themen gehören ganz selbstverständlich zum Dialogalltag. Kontakte sind entstanden, Freundschaften. Und die haben sich auch schon in Konfliktsituationen bewährt.

1997 etwa, da fühlten sich einige Mitbürger provoziert, als eine Moschee mit einem Außenlautsprecher zum Gebet rief. Obwohl das damals in einigen Dortmunder Stadtteilen gar nicht so ungewöhnlich war. Ahmad Aweimer und Rainer Schwarz, der stellvertretende Vorsitzende der Christlich-Islamischen Gesellschaft, erinnern sich.

Ahmad Aweimer: "Da haben wir uns zusammengetan, Vertreter der Kirchen und der Moscheen. Und da hat man gefragt, was meinen Sie, wenn wir eine Erklärung geben? Ich habe geantwortet: `Ich habe es erwartet.' Wenn uns so jemand mit Hässlichkeit begegnet, dann erwarte ich von meinem Dialogpartner, dass er sich solidarisch erklärt. Genauso die Erwartung soll er auch haben, dass ich ihm beistehen kann."
Rainer Schwarz: "Und ich denke, das Wichtige ist an der Stelle, der Muezzinruf durfte erschallen – das ist gar nicht strittig, weder rechtlich noch gesellschaftlich. Aber die Muslime in Dortmund haben größtenteils gesagt, wir verzichten darauf, um unsere Nachbarn nicht zu provozieren.

Ich persönlich kann zwar keine Provokation darin erkennen, aber manche Nachbarn erleben das so. Und das muss man den Muslimen sehr anrechnen, dass sie nämlich an der Stelle sagen, wir nehmen uns in Zweifelsfällen zurück."

Im persönlichen Alltag mit dem Glauben der anderen konfrontiert zu werden, ist nicht immer einfach. Weder für Christen noch für Muslime. Doch die positiven Erfahrungen überwiegen im Islamseminar.

Ahmad Aweimer: "Nach dem Fall der Mauer gab es den ersten Kirchentag in Leipzig. Ich kann mich erinnern, (da) waren einige Hundert Leute im Saal, auch wir waren vertreten. Und dann fragten sie, seid Ihr Muslime oder Christen geworden? Ist das eine Mission oder so was? Und dann waren alle begeistert oder überrascht, dass beide Seiten gesagt haben, ich bin in meiner Religion gefestigter, ich weiß von meiner Religion mehr. Also ich kann von mir sagen, ohne das Islamseminar wäre mein Wissensstand über meine eigene Religion, aber auch über die anderen, über das Leben nicht so, wie er heute sein kann."

Ulrike Hoppe: "Es ist einfach auch immer wieder spannend, indem ich mir das Selbstverständnis der anderen zu einer Frage klarmache, muss ich mich auch selber noch mal hinterfragen: Wie sehe ich das? Und das passiert bei jedem Seminar, das ich vorbereite. Und ich bin auch, wie Ahmad sagt, letztlich in meinem eigenen Glauben gefestigter, weil ich mich ein paar Mal hab anfragen lassen muss und mir dann hab klar machen müssen: Warum bist Du noch Christin, warum glaubst Du das so? Und warum bist Du zum Beispiel noch nicht konvertiert?"

Wenn es um den Dialog zwischen Christen und Muslimen geht, dann ist auch immer wieder die Rede vom "Kuscheldialog", von "falscher Toleranz" oder "Naivität".

Rainer Schwarz: "Es gibt keinen nicht-kritischen Dialog. Diese Begrifflichkeit ist Schrott. Ich sage es so deutlich, weil es ist eine Begrifflichkeit von Leuten, die dem Dialog grundsätzlich unterstellen, dass er nicht kritisch sei. Ich möchte mich auf diese Begrifflichkeit nicht einlassen, weil unser Dialog ist immer ein kritischer, aber ein kritisch-solidarischer."

Ute Guckes: "Das lass ich mir nicht mehr sagen. Denn im Islam gibt es tausend verschiedene Interpretationsweisen und das was die Islamisten sagen, ist nicht die wahre und koranische Interpretation dieses Glaubens. Was heißt hier Naivität? Ich muss meinen Gesprächspartnern natürlich vertrauen, dass sie mir das so wiedergeben, wie sie das verstehen. Und da können Sie sehr viel Unterschiedliches hören. Die ganzen Leute, die immer die Gewaltbereitschaft des Islam erklären, haben ganz offensichtlich nicht im Koran nachgelesen."

Uta Guckes ist Vertreterin der evangelischen Kirche im Trägerkreis des Islamseminars. Auch für sie ist eine gute Streitkultur wichtig. Tabuthemen gibt es nicht – alles kommt auf den Tisch. Auch das Thema feministische Theologie.

Ute Guckes: "Da sind wir nicht einer Meinung, auch im Vorbereitungskurs nicht, aber wir besprechen jedes Jahr, können wir ein Thema platzieren, was die Perspektive von Frauen einbringt. Da ist die Perspektive nicht identisch, aber man diskutiert so lange, bis man ein Thema gefunden hat, dass alle akzeptieren können. Beispiel: Letztes Jahr wollten wir feministische Bibelexegese und entsprechend Koranexegese. So ging das nicht durch, auch weil das Wort Feminismus so ein Reizwort ist. Was daraus geworden ist, ist 'Auslegung von Koran und Bibel aus der Sicht von Frauen'. Das war zwar nicht identisch, aber es war eine starke Annäherung ans Thema."
Ahmad Aweimer: "Wir brauchen diesen Dialog auch, behutsam zu gehen und (dass) die Menschen mitgehen können. Wir sagen nicht aus feministischer Sicht. Aber die Frauen kommen und sagen ihre Ansicht. Ganz offen."

Gespräch Christin und Muslima: "'Ich kann verstehen, warum Jesus nicht von muslimischer Seite anerkannt werden kann als Gott.' - 'Er ist ja anerkannt, aber nicht als Gott, sondern als Prophet wie Mohammed auch, es sind einfach Repräsentanten, die sagen, es ist jemand da, der Euch erschaffen hat.' - 'So denke ich auch, für mich ist Mohammed auch ein Prophet.' - 'Ja sicher.'"

Der offizielle Teil des Islamseminars ist inzwischen vorbei, die Gespräche aber gehen weiter.

Ria Seifert und Muslima: "'Dass wir nicht so Gegner sind, wie das immer dargestellt wird. Sondern dass wir gemeinsame Wurzeln haben, wir sind gar nicht so unterschiedlich. Dass wir eine Hoffnung haben nach dem Tod und die Muslime sagen das Gleiche. Das haben wir gemeinsam. Das lerne ich in diesen Seminaren, dass wir gar nicht so weit auseinander sind.' - 'Sind wir auch nicht.'"

Mehmet Soyhun: "Einige Unterschiede kann man nicht wegdiskutieren, die müssen stehen bleiben. Man muss sie lediglich registrieren und respektieren lernen. Und sagen, aha, das ist bei Ihnen so, jetzt weiß ich es."

Und worauf kommt es vor allem an, damit der Dialog gelingt?

Ahmad Aweimer: "Keine faulen Kompromisse machen, sondern wirklich darstellen, was man ist, weil wenn jemand faulen Kompromiss oder vertuscht, der kommt nicht weiter. Das ist wie Lügen, und Lügen haben kurze Beine. Geduld und noch mal Geduld und Ausdauer. Und wenn das mit dem notwendigen Respekt gemacht wird, da wird man erfolgreich sein."

Doch das allein reicht nicht aus. Das Thema ist immer noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch in Dortmund tragen noch zu wenige den interreligiösen Dialog mit. Die meisten engagieren sich ehrenamtlich. Und dennoch: Es lohnt sich – auch wenn der Weg manchmal steinig ist.

Ulrike Hoppe: "Was ich mir auf die Dauer wünschen würde, weil ich denke, der interreligiöse Dialog wird immer komplexer, ausdifferenzierter – dass es auf die Dauer wirklich ein Dialogforum gibt, wo Haupt- und Ehrenamtliche miteinander arbeiten. Und was bewusst von allen Beteiligten finanziert ist. Weil ich halte es für den wirklichen interreligiösen Dialog für schwierig, wenn er sozusagen unter der Ägide unter einem konfessionellen Träger läuft."

Ahmad Aweimer: "Ich will, dass die Menschen miteinander kommunizieren können, ohne Ängste, ohne Vorurteile und ohne dass die andere als exotisch oder fremd bezeichnet wird. Wenn das zum Alltag geworden ist, dann denke ich mir, vielleicht haben wir unser Ziel erreicht."
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