Verschenktes Potenzial

Rezensiert von Uwe Friedrich |
In den Betonkatakomben eines heutigen Machtzentrums beginnt die Geschichte vom schier unglaublich milden Kaiser Titus. Am Ende wird er seinen Gegenspielern alle Mord- und Brandanschläge großmütig verzeihen. Aber er bleibt auch alleine zurück, das Licht der Aufklärung fällt durch vergitterte Fenster auf einen Herrscher, der von seinem Volk verlassen wurde, der vielleicht nie Freunde hatte und ganz gewiss keine Liebe in seinem Leben finden wird.
Das traurige Schicksal des Mächtigen kann aber kaum anrühren, denn Mozarts letzte italienische Oper "La clemenza di Tito" war schon bei der Uraufführung unzeitgemäß. Er vertonte ein altes Libretto, das noch ganz der barocken Tradition verpflichtet ist und mehr Wert auf die Ausstellung typisierter Affekte legt als auf die Gestaltung lebensnaher Charaktere. Diese Oper ist eher eine Ansammlung hochvirtuoser Konzertarien, notdürftig mit Rezitativen verbunden, die sein Gehilfe in aller Eile schreiben musste.

Auf der Bühne hatte dieser "Titus" es von jeher schwer, und nun ist an der Berliner Staatsoper auch der britische Regisseur Nigel Lowery mit dem Versuch gescheitert, den verworrenen Intrigen theaterwirksames Leben einzuhauchen. Er steckt Titus in einen barocken Hermelinmantel, die Hofbeamten in Bratenröcke und Zylinder des 19. Jahrhunderts, das Volk repräsentiert das Proletariat der fünfziger Jahre, dazu stolpert der unentschlossene Intrigant Sesto als Hamlet durch die gemalten Kulissen. Alle lieben irgendwie immer gerade den Falschen und tauchen wie in einer verhinderten Türenkomödie stets im falschen Moment auf.

Doch Lowery verschenkt das groteske Potential der Vorlage. Eine detaillierte Gestaltung der sozialen Unterschiede oder der geschichtlichen Ebenen, die er in den Kostümen aufzeigt, findet nicht statt. Eine Botschaft, gar eine innere Notwendigkeit, gerade diese Oper zu inszenieren, kann er nicht deutlich machen. Es scheint so, als habe Lowery sich gedacht, "irgendetwas wird mir schon einfallen", als die Staatsoper ihm "Titus" anbot. Aber dann ist ihm leider nichts eingefallen.

Ähnliches gilt auch für den Dirigenten Philippe Jordan, der die Ouvertüre noch schwungvoll, ein wenig ruppig nahm, dem der Elan jedoch bald abhanden kam. Seine außerordentlich elegante Schlagtechnik ist zwar sehr schön anzuschauen, aber schon zur Pause hätte man ihm einen doppelten Espresso oder einen Schokoriegel gegönnt, um den Puls ein wenig nach oben zu treiben. Die Rezitative klappern gelegentlich sehr, große Ensemble sind immer ein wenig gefährdet und den grandiosen Huldigungschor gegen Ende lässt Jordan völlig effektfrei verpuffen.

Trotz des wenig hilfreichen Dirigenten singt Roberto Saccá in der Titelrolle auch die schwierigen Koloraturen seiner letzten Arie souverän und entwickelt durchaus herrschaftliches Charisma. Melanie Diener nahm als intrigante Servilia die Höhen oft allzu sportlich nach dem Motto "dabei sein ist alles" und sorgte mit ihrer Erleichterung über die ausbleibenden Buhs beim Schlussapplaus für den anrührendsten Moment des Abends.

Und dann war da noch Elina Garanča, die von einer großen Plattenfirma gerade zum Mezzosopran-Gegenstück zu Anna Netrebko aufgebaut wird. Sie singt die Partie des innerlich zerrissenen Attentäters stilsicher und geschmackvoll, sicher und schön, und das Publikum reagierte erwartungsgemäß enthusiastisch. Insgesamt bewies aber auch diese Premiere vor allem, wie ungeheuer schwierig es ist, die späten Mozartopern überzeugend auf die Bühne zu bringen.

Wolfgang Amadeus Mozart: "La clemenza di Tito"
Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme: Nigel Lowery
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Berlin, Staatsoper Unter den Linden