Verschandelung der historischen Silhouette

Von Robert Baag |
Der Energiekonzern Gazprom will in St. Petersburg einen gut 400 Meter hohen Tower errichten. Doch während die Stadtregierung das Bauvorhaben abgenickt hat, laufen die Bevölkerung und Denkmalschützer Sturm gegen das Projekt.
Das sächsische Dresden liegt an der Elbe. Russlands sogenannte "nördliche Hauptstadt" St. Petersburg liegt an der Mündung der Neva. Was hatten die Städte bis vor kurzem gemeinsam? Beide gehörten zum UNESCO-Weltkulturerbe. Dann aber baute Dresden trotz mehrfacher Warnungen eine neue Brücke über den Fluss - Elb-Florenzens Silhouette nahm Schaden. Konsequenz: Der Weltkulturerbetitel war futsch.

Dasselbe könnte jetzt bald der 1703 von Peter dem Großen an der Ostsee gegründeten Zaren-Metropole Sankt Petersburg drohen: Ein vom Volksmund als "Steklo-Skrob" - zu deutsch: "Glaskratzer" - verhöhntes gigantisches Turmprojekt wirft buchstäblich seinen Schatten über das "Venedig des Nordens", wie Petersburg gerne wegen seines spätbarocken, mit Elementen des Rokoko und des Klassizismus durchwirkten Stadtzentrums genannt wird. Diese gigantische 403 Meter hohe Glasnadel, mit ihrem konisch gewölbten Mittelteil einer Spindel nicht unähnlich, soll bald als Hauptquartier von "Gazprom-Neft" dienen, dem staatlich kontrollierten Energieriesen. Seit 2005 geplant, von da an stetig von lokalen, nationalen und internationalen Protesten begleitet, findet die Stadtregierung von St. Petersburg unter dem Vorsitz der Putin-Vertrauten Valentina Matvijenko nun aber offenbar, es reiche, es sei genug diskutiert worden:

"Es geht um einen gewaltigen Gebäudekomplex. Tagesordnungspunkt und Thema sind bekannt. Weitere Kommentare sind unnötig. Da die Frage aber von prinzipieller Bedeutung ist, bitte ich die Stadtregierung abzustimmen. - Wer ist dafür? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen!"

Handstreichartig sei dieses Vorgehen gewesen, so empfinden nicht nur oppositionelle Architektur- und Kunstexperten. Für Aufsehen - denn er protestiert! - sorgt Grigorij Ordzhonikidse, Mitglied der russischen UNESCO-Kommission. Per Telefon aus Moskau rügt er:

"Schon vor drei Jahren hat die UNESCO und deren Weltkulturerbekomitee eindeutig entschieden - schwarz auf weiß: Wenn mit dem Bau dieser vertikalen Dominante begonnen werden sollte, wird St. Petersburg in die Liste der Weltkulturerbeobjekte aufgenommen, die als 'bedroht' zu betrachten sind. - Diese Entscheidung gilt weiter!"

Für Jelena Zilinskaja, in der halbstaatlichen "Gesellschaftskammer" für Kulturschutz zuständig, ist die jüngste Petersburger Entscheidung mehr als befremdlich. Die Entscheidung gegen den "Ochta"-Turm - so sein offizieller Name - sei doch eigentlich schon klar gewesen, die Debatte beendet. Kaum als Stil der Gegenwart lasse es sich bezeichnen, wenn - wie hier - die Meinung der Bürger, der Experten, der Historiker, der Architekten einfach nicht berücksichtigt werde.

"Das Schicksal der Stadt, ihrer historischen Erscheinung, das", so Zilinskaja wörtlich, "ist doch die Angelegenheit aller dort lebenden Einwohner und nicht nur der Stadt-Oberen!"

Immerhin geht es um viel Geld: Krise hin oder her - mindestens drei Milliarden US-Dollar sollen in dem Gesamtkomplex "Ochta"-Zentrum verbaut werden, das von dem internationalen Architekten-Büro RMJM projektiert worden ist. Am Ufer der Newa, rund um den geplanten Turm, der dreimal höher wäre als die rund 100 Meter hohe Peter-und-Pauls-Kathedrale, das bislang höchste Gebäude der Stadt, soll außerdem ein großes Geschäftszentrum entstehen. Zöge Gazprom - wie geplant - aus Moskau nach St. Petersburg um, flössen Steuermehreinnahmen von mehreren Milliarden in die städtischen Kassen, locken die Befürworter. - Die Gegner aber lassen nicht locker, wollen weiter protestieren, auch wenn sie sich aus Moskau, von Premier Putin und Präsident Medvedev, nicht viel Hilfe erhoffen. Die Beiden seien zwar selber Leningrader bzw. Petersburger, aber - eben auch mit Gazprom eng verbunden. Kaum vorstellbar, dass das jüngste Votum der Stadtregierung gegen deren Meinung erfolgt wäre.

Radiohörer Fjodor während eines "call-ins" beim Sender "Echo Moskvy":

"Diese Gesetzlosigkeit der Stadtbehörden ist doch ohne Zustimmung des Kreml nicht denkbar. - Zweitens: Das Ganze ist eine grandiose Geldwasch-Maschine von Dollar-Milliarden! Und das angesichts einer notleidenden Stadt, angesichts notleidender Rentner. Hier wird das historische Zentrum unserer Stadt zerstört, denn anschließend werden sie überall solche Wolkenkratzer hinstellen und die Regierung von Matvijenko wird alles Mögliche genehmigen!"