Vers-Lernen für den Platz im Paradies

Von Noemi Schneider |
Der Dokumentarfilm „Korankinder“ gibt Einblicke in die abgeschlossene Welt der religiösen Schulen der Muslime, den Madrasas. Der bengalische Regisseur Shaheen Dill-Riaz begleitet Koranschüler bei der Ausbildung und zeigt die Sicht von Kindern, Eltern, Lehrern und gesellschaftlichen Autoritäten auf diese Institution.
Ein Klassenzimmer in Amirabad, Bangladesh. Etwa 70 Kinder knien vor niedrigen Holzbänken, sie bewegen sich rhythmisch hin und her – wie in Trance und murmeln in einer fremden Sprache. Zwölf Stunden täglich lernen sie hier die über 6000 Verse des Koran auswendig.

„Der Koran ist das Buch Gottes. Es sind nicht die Worte des Propheten, sondern Allahs Worte. Wenn ich Allahs Worte verinnerliche, bekomme ich eine Belohnung.“

Nur wer die Verse komplett und wortwörtlich aus dem Gedächtnis rezitieren kann, wie Hafiz, sichert sich und seiner Familie einen Platz im Paradies und kann als Koranlehrer in einer Moschee oder als Geistlicher bei Feierlichkeiten arbeiten. Die religiöse Ausbildung der Kinder in den Madrasas ist für viele Eltern oft die einzige Möglichkeit, der Armut zu entfliehen und ihr gesellschaftliches Ansehen zu sichern. In Bangladesch haben die über 10.000 Madrasas deshalb die allgemeine Schulausbildung größtenteils abgelöst.

„Wie viele richtige Muslime gibt es hier überhaupt noch? Der Staat muss die Menschen zwingen, nach den islamischen Gesetzen zu leben. Das ist dringend nötig!“

Trotz des Bilderverbots gelingt es dem bengalischen Regisseur Shaheen Dill-Riaz, Einblicke in diese hermetische Welt zu bekommen. Er dokumentiert und beobachtet den Alltag in den Madrasas, spricht mit Schülern, Lehrern, Eltern und Kritikern. Dabei entsteht ein differenziertes Bild seiner Heimat Bangladesch, in der über 100 Millionen Muslime leben.