Verrückter Apfel-Fan und Orientierungs-Akazie
In "Unter Bäumen" schreibt der Österreicher Rudi Palla als Liebhaber und nicht als Fachmann von den großen Pflanzen. Der Filmemacher und Schriftsteller ist für seine Recherche an Originalschauplätze gereist und hat Reiseberichte gelesen. Nachdenklich erzählt er unter anderem vom Apfel-Fan John Appleseed und dem einzigen Baum in der Wüste Ténéré.
"Wie andere Menschen auch bewundere ich Bäume."
Das schreibt Rudi Palla ganz am Anfang seines neuen Buches "Unter Bäumen". Und gleich gibt er zu: Mit seinen botanischen Kenntnissen sei es nicht weit her, dennoch betrachte er sich als "Baum-Aficionado", als Liebhaber von Bäumen. Kein Fachmann also, sondern ein Liebhaber schreibt hier, und das spürt man auf jeder Seite des Buches, das in einem normalen, kleinen Buchformat, mit wenigen Zeichnungen und Fotos, daher kommt und allein durch Erzählweise und Blickwinkel besticht.
Mit leichter Hand nimmt er uns mit auf seine Ausflüge, die aus Botanik, Mythologie, Kulinarik und Sozial- und Kulturgeschichte erzählen und in entlegene Winkel der Erde führen.
Zum Teil ist der Autor für seine beeindruckende Recherche tatsächlich an Originalschauplätze gereist. Zum Teil hat er Romane und Reiseberichte durchstöbert, die löblicherweise am Ende des Buches in einem Literaturverzeichnis erscheinen. Immer im Mittelpunkt von Pallas Wanderungen stehen ein einzelner Baum oder eine Baumart.
Rudi Palla ist ein leiser, nachdenklicher Schriftsteller und Filmemacher. Kritiker haben ihn einmal als "aufmerksamen Chronisten des Vergangenen, Verschwundenen, des Unbemerkten und Abseits-Liegenden" bezeichnet. Nach einigen Dokumentarfilmen erschien 1989 sein erstes Buch, "Die Mitte der Welt". Darin stellt er in berührenden biografische Annäherungen Menschen auf dem Land vor: den Holzschuhmacher und den Erfinder, die Gemischwarenhändlerin, die Krämerin.
Aus seinem "Lexikon der untergegangenen Berufe" kann man erfahren, was einst ein "Abdecker" war, ein "Freiknecht" oder ein "Mautner". Wunderschön auch sein Bilder-Lese-Buch über Pflanzen mit "sprechenden Namen": Frauenschuh, Bärentatze, Milchdieb, Hexenzwirn. Rudi Palla ist also so etwas wie ein Enzyklopädist des entlegenen Wissens und in dieser Tradition des steht auch "Unter Bäumen".
Nicht die höchsten, dicksten, ältesten Bäume der Erde interessieren ihn. Palla spürt Baumgeschichten nach, die ihn besonders berühren. Zum Beispiel die Geschichte vom "L’Arbre du Ténéré". Die Ténéré ist eine Sandwüste in der südlichen Sahara, auch "Wüste der Wüsten" genannt.
In dieser unwirtlichen Landschaft gibt es tatsächlich einen Baum, erzählt Palla, einen einzigen im Umkreis von hunderten von Kilometern. Jahrhunderte lang diente die Akazie den Salzkarawanen der Tuaregs als Orientierungspunkt, wenn sie mit zehntausend und mehr Kamelen in Gewaltmärschen von zwölf, manchmal sogar sechzehn Stunden am Tag insgesamt sechshundert Kilometer durch die sengende Hitze zogen. Zur Orientierung gab es nicht viel mehr als den Sonnenstand und die verwehten Spuren vorheriger Karawanen und eben jene einsame Akazie, den "Arbre du Ténéré", nicht höher als drei Meter, aber weithin in der Wüste sichtbar. Den Tuareg ist es in hunderten von Jahren nicht eingefallen, dem Baum etwas anzutun.
Das besorgte traurige Kolonialgeschichte: Ein französischer Militärlaster hat es geschafft, erzählt der Autor mit fühlbarer Erschütterung, den legendären Baum umzufahren. Heute stehen dort ein paar dürftige Sträucher, von Stacheldraht umfriedet, und eine abstrakte Skulptur aus Metallrohren, die an den "Arbre du Ténéré" erinnern soll.
Eine andere Geschichte zeigt sehr schön, wie der Autor es versteht, die unerwarteten Aspekte eines Themas hervorzulocken. Viel hat man schon über Apfelbäume gelesen, weiß über den Apfel in Mythologie und Literatur, den Baum der Erkenntnis, das Urteil des Paris.
Rudi Palla erzählt von Johnny Appleseed. Dieser verrückte Apfel-Fan lebte vor zweihundert Jahren in den USA, er hieß eigentlich John Chapman und war so etwas wie ein ökologischer Pionier. Sein Spitzname "Appleseed" stammt daher, dass er von der Idee beseelt war, im ganzen Mittleren Westen der Vereinigten Staaten Apfelbäume zu pflanzen. Appleseed zog als religiöser Missionar durchs Land, schloss Freundschaft mit Indianern und wilden Tieren, trug stets einen Kochtopf auf dem Kopf und hatte die Hosentaschen voller Apfelsamen. Da ein Apfel nur dann gut schmeckt, wenn er von einem veredelten, gepfropften Baum stammt, schmeckten die aus Apfelsamen gezogenen Bäumen von Johnny Appleseed fürchterlich sauer. Dennoch liebten die frommen, christlichen Amerikaner ihn und seine Bäume, die an den Garten Eden gemahnten.
Das Buch "Unter Bäumen" wird man vielleicht nicht in einem Zug durchlesen – die vielen Geschichten und Anekdoten, die Palla gesammelt hat, möchten nachwirken, und dazu muss man als Leserin und Leser ein Buch auch einmal beiseite legen können. Aber man wird das Buch immer wieder gern zur Hand nehmen, sich von dem ausführlichen Sach- und Personenregister zum Stöbern verführen lassen, diese oder jene Geschichte ganz oder zum Teil, schmunzelnd oder nachdenklich neu erkunden, die ideale abendliche Lektüre fürs Bett oder für einen Tag im Park, unter Bäumen.
Rudi Palla: Unter Bäumen. Reisen zu den größten Lebewesen
Zsolnay Verlag, Wien 2006
296 Seiten, 25,90 Euro
Das schreibt Rudi Palla ganz am Anfang seines neuen Buches "Unter Bäumen". Und gleich gibt er zu: Mit seinen botanischen Kenntnissen sei es nicht weit her, dennoch betrachte er sich als "Baum-Aficionado", als Liebhaber von Bäumen. Kein Fachmann also, sondern ein Liebhaber schreibt hier, und das spürt man auf jeder Seite des Buches, das in einem normalen, kleinen Buchformat, mit wenigen Zeichnungen und Fotos, daher kommt und allein durch Erzählweise und Blickwinkel besticht.
Mit leichter Hand nimmt er uns mit auf seine Ausflüge, die aus Botanik, Mythologie, Kulinarik und Sozial- und Kulturgeschichte erzählen und in entlegene Winkel der Erde führen.
Zum Teil ist der Autor für seine beeindruckende Recherche tatsächlich an Originalschauplätze gereist. Zum Teil hat er Romane und Reiseberichte durchstöbert, die löblicherweise am Ende des Buches in einem Literaturverzeichnis erscheinen. Immer im Mittelpunkt von Pallas Wanderungen stehen ein einzelner Baum oder eine Baumart.
Rudi Palla ist ein leiser, nachdenklicher Schriftsteller und Filmemacher. Kritiker haben ihn einmal als "aufmerksamen Chronisten des Vergangenen, Verschwundenen, des Unbemerkten und Abseits-Liegenden" bezeichnet. Nach einigen Dokumentarfilmen erschien 1989 sein erstes Buch, "Die Mitte der Welt". Darin stellt er in berührenden biografische Annäherungen Menschen auf dem Land vor: den Holzschuhmacher und den Erfinder, die Gemischwarenhändlerin, die Krämerin.
Aus seinem "Lexikon der untergegangenen Berufe" kann man erfahren, was einst ein "Abdecker" war, ein "Freiknecht" oder ein "Mautner". Wunderschön auch sein Bilder-Lese-Buch über Pflanzen mit "sprechenden Namen": Frauenschuh, Bärentatze, Milchdieb, Hexenzwirn. Rudi Palla ist also so etwas wie ein Enzyklopädist des entlegenen Wissens und in dieser Tradition des steht auch "Unter Bäumen".
Nicht die höchsten, dicksten, ältesten Bäume der Erde interessieren ihn. Palla spürt Baumgeschichten nach, die ihn besonders berühren. Zum Beispiel die Geschichte vom "L’Arbre du Ténéré". Die Ténéré ist eine Sandwüste in der südlichen Sahara, auch "Wüste der Wüsten" genannt.
In dieser unwirtlichen Landschaft gibt es tatsächlich einen Baum, erzählt Palla, einen einzigen im Umkreis von hunderten von Kilometern. Jahrhunderte lang diente die Akazie den Salzkarawanen der Tuaregs als Orientierungspunkt, wenn sie mit zehntausend und mehr Kamelen in Gewaltmärschen von zwölf, manchmal sogar sechzehn Stunden am Tag insgesamt sechshundert Kilometer durch die sengende Hitze zogen. Zur Orientierung gab es nicht viel mehr als den Sonnenstand und die verwehten Spuren vorheriger Karawanen und eben jene einsame Akazie, den "Arbre du Ténéré", nicht höher als drei Meter, aber weithin in der Wüste sichtbar. Den Tuareg ist es in hunderten von Jahren nicht eingefallen, dem Baum etwas anzutun.
Das besorgte traurige Kolonialgeschichte: Ein französischer Militärlaster hat es geschafft, erzählt der Autor mit fühlbarer Erschütterung, den legendären Baum umzufahren. Heute stehen dort ein paar dürftige Sträucher, von Stacheldraht umfriedet, und eine abstrakte Skulptur aus Metallrohren, die an den "Arbre du Ténéré" erinnern soll.
Eine andere Geschichte zeigt sehr schön, wie der Autor es versteht, die unerwarteten Aspekte eines Themas hervorzulocken. Viel hat man schon über Apfelbäume gelesen, weiß über den Apfel in Mythologie und Literatur, den Baum der Erkenntnis, das Urteil des Paris.
Rudi Palla erzählt von Johnny Appleseed. Dieser verrückte Apfel-Fan lebte vor zweihundert Jahren in den USA, er hieß eigentlich John Chapman und war so etwas wie ein ökologischer Pionier. Sein Spitzname "Appleseed" stammt daher, dass er von der Idee beseelt war, im ganzen Mittleren Westen der Vereinigten Staaten Apfelbäume zu pflanzen. Appleseed zog als religiöser Missionar durchs Land, schloss Freundschaft mit Indianern und wilden Tieren, trug stets einen Kochtopf auf dem Kopf und hatte die Hosentaschen voller Apfelsamen. Da ein Apfel nur dann gut schmeckt, wenn er von einem veredelten, gepfropften Baum stammt, schmeckten die aus Apfelsamen gezogenen Bäumen von Johnny Appleseed fürchterlich sauer. Dennoch liebten die frommen, christlichen Amerikaner ihn und seine Bäume, die an den Garten Eden gemahnten.
Das Buch "Unter Bäumen" wird man vielleicht nicht in einem Zug durchlesen – die vielen Geschichten und Anekdoten, die Palla gesammelt hat, möchten nachwirken, und dazu muss man als Leserin und Leser ein Buch auch einmal beiseite legen können. Aber man wird das Buch immer wieder gern zur Hand nehmen, sich von dem ausführlichen Sach- und Personenregister zum Stöbern verführen lassen, diese oder jene Geschichte ganz oder zum Teil, schmunzelnd oder nachdenklich neu erkunden, die ideale abendliche Lektüre fürs Bett oder für einen Tag im Park, unter Bäumen.
Rudi Palla: Unter Bäumen. Reisen zu den größten Lebewesen
Zsolnay Verlag, Wien 2006
296 Seiten, 25,90 Euro