Vermummungsverbot in Hongkong

Wie die alten Kolonialherren

11:23 Minuten
Eine maskierte Person, die an einer Demonstration in Hongkong teilnimmt.
Noch demonstrieren die Einwohnerinnen und Einwohner Hongkongs mit Masken, um sich einerseits vor Tränengas und andererseits vor Sanktionen zu schützen. © dpa-Bildfunk / AP / Vincent Thian
Shi Ming im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 04.10.2019
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Mithilfe eines Rückgriffs auf altes Kolonialrecht setzte Carrie Lam ein Vermummungsverbot in Hongkong durch. Der Journalist Shi Ming erläutert verschiedene Strategien, mit denen China den wichtigen Handelsplatz unter Kontrolle bringen will.
Die Hongkonger Regierung hat ein Notstandsgesetz aktiviert und ein Vermummungsverbot erlassen. Regierungsgegner dürfen bei Protesten ihre Gesichter nicht mehr hinter Masken verstecken. Die Regierung in Peking begrüßte die Regelung, die auf der Grundlage eines fast 100 Jahre alten Gesetzes aus der Kolonialzeit zustande gekommen ist. Das hindert die Demonstrierenden jedoch nicht daran, weiterhin vermummt und zu Tausenden auf die Straße zu gehen.
Der Journalist Shi Ming erklärt im Deutschlandfunk Kultur, im weiteren Verlauf der Proteste werde sich nun zeigen, ob dieses Gesetz seine Wirksamkeit verlieren werde oder nicht. Je nachdem, wie viele Menschen von nun an auf die Straße gingen, sei eine Entwicklung in die eine oder andere Richtung denkbar.

Mentalitätswandel in Hongkong

Er glaubt jedenfalls, dass eher noch mehr Menschen an den Protesten teilnehmen werden. Schon jetzt sympathisierten weite Teile der Eliten mit der Bewegung, was den übrigen Teilnehmern Sicherheit gebe. Insgesamt seien diese Proteste Ausdruck eines Mentalitätswandels, erklärt Ming. Habe der durchschnittliche Bewohner dieser Stadt bis vor kurzem noch als jemand gegolten, der nur sein eigenes wirtschaftliches Wohl im Blick hatte, so sei dies nun anders. Daran erkenne man die Alarmiertheit der Bevölkerung.
Dass die Verwaltungschefin Carrie Lam nun ausgerechnet altes Kolonialrecht herangezogen habe, um die Proteste einzudämmen, sei mit dem wirtschaftlichen Stellenwert Hongkongs zu erklären. Auch für die Pekinger Regierung sei die Sonderverwaltungszone natürlich von höchster Wichtigkeit. Die Proteste und das Notstandsgesetz dürften sich auf keinen Fall auf die wirtschaftliche Attraktivität dieser Stadt auswirken.

Augenwischerei, um Handelspartner zu beruhigen

Nur so sei Lams 180-Grad-Wende zu verstehen, erklärt Ming. Bis vor Kurzem habe sie noch öffentlich erklärt, dass Hongkong als Teil Chinas natürlich chinesischem Recht zu folgen habe. Nun behauptet Lam, sie werde nicht von China instruiert, und beruft sich auf altes Hongkonger Recht aus der Kolonialzeit. Dass Lam sage, Hongkong befinde sich nicht im Notstand, obwohl sie gleichzeitig Notstandsregeln aktiviere, sei also nichts weiter als Augenwischerei, um Handelspartner zu beruhigen.
Doch komme dieser Sinneswandel nicht zufällig, erklärt Ming. Lam habe eben erst an den Feierlichkeiten zum 70-jährigen Bestehen der Volksrepublik China teilgenommen, wo sie sämtliche Politiker bis hin zum Staatspräsidenten getroffen habe. Ferner berichtet Ming, die Pekinger Regierung habe sämtliche Staatsunternehmen gebeten, Immobilien in Hongkong zu erwerben. So wolle man die Stadt auf Dauer auch wirtschaftlich dominieren.

Zivile Strafen könnten folgen

Abgesehen von polizeilichen Strafen, die nun drohten, würde das Vermummungsverbot zudem kleineren zivilen Strafen Tür und Tor öffnen, gibt Ming zu bedenken. So könnten Schüler beispielsweise vor ihren Schulen gegängelt werden, müssten Studierende sich Sorgen um ihren Studienplatz machen oder Angestellte Angst vor einer Kündigung haben. Denn durch das neue Gesetz wäre es ein Leichtes, die Gesichter der Demonstrierenden über Gesichtsscans zu identifizieren und die Personen entsprechend zu sanktionieren.
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