Strategie in der Krise

Reichen-Soli gegen die Rezession

Ilustration: Ein Geschäftsmann mit Aktentasche unter einem Arm mit Hammer und der Aufschrifft "Tax".
Die oberen zehn Prozent haben in den letzten Krisen viel verdient. Es spricht nichts gegen eine einmalige, satte Vermögensabgabe, meint Stefan Reinecke. © Getty Images / tommy
Ein Kommentar von Stefan Reinecke · 20.09.2022
Superreiche zu belasten, ist in Deutschland ein Tabu. Auch in der jetzigen Krise tragen kleine und mittlere Einkommen die Hauptlast. Der Journalist Stefan Reinecke fordert ein Umdenken und sagt: Wir brauchen eine Vermögensabgabe - gerade jetzt!
Reichtum in Deutschland ist fast unerschütterlich stabil. Ob Bankenkrise oder Corona, am Ende zeigt sich immer das gleiche Bild. Wer viel hatte, ist wundersamerweise trotz Börsenabsturz und Lockdown noch reicher geworden. Und die Habenichtse sind noch immer Habenichtse. Der Teufel scheißt auf den größten Haufen. Das scheint ein Naturgesetz zu sein.
Die goldenen Zeiten der Gleichheit sind in den westlichen Industriestaaten vorbei. Wir erleben eine Art soziale Pyramide, die in gewisser Weise an feudale Zeiten erinnert. Wer Geld hat und sich nicht völlig dumm anstellt, hat bald mehr davon. Wer nichts erbt, hat hingegen kaum Chancen mit Arbeit nennenswertes Eigentum zu erwerben.

Bloß nicht die Wirtschaftselite verärgern

Der Krieg in der Ukraine macht Dinge möglich, die vor Kurzem noch kaum vorstellbar waren. Einen Schattenhaushalt mit 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, den ausgerechnet ein FDP-Finanzminister durchwinkt. Ja, sogar die Schuldenbremse, das Heiligtum der FDP, scheint in Anbetracht der lawinenartigen Rezession, die da anrollt, gelockert werden zu können. Unvorstellbares wird vorstellbar. Nur eins nicht. Superreiche zu belasten. Das ist in Deutschland tabu.
Warum eigentlich? Die politische Klasse in Deutschland versteht sich auf good governance, auf Ausgleich und technokratische Lösungen. Aber nicht darauf, Ärger mit der wirtschaftlichen Elite zu haben. Das ist die unerfreuliche Seite der ansonsten erfolgreichen bundesdeutschen Sozialpartnerschaft. Deren Motto lautet: Wir finden immer einen Kompromiss, der am Ende allen hilft. Den Reichen mehr, den Ärmeren weniger. Aber alle haben etwas davon.

Kuchen, der verteilt werden kann, wird kleiner

Dieses Modell könnte bald an seine Grenzen stoßen, weil der Kuchen, den es zu verteilen gilt, kleiner werden könnte: Die Inflation steigt, die Energiepreise explodieren. Firmen müssen die Preise erhöhen, die Kundschaft aber hat wegen der Energiekosten weniger Geld. Außerdem steigen noch die Zinsen. Eine toxische Mischung.
Die Politik antwortet darauf wie immer: mit Kompromiss und Konsens. Bei der konzertierten Aktion von Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern, dem Hochamt des bundesdeutschen Korporatismus, beschwört der Kanzler den „Geist der Gemeinsamkeit“.
Nun, in der Krise kann Gemeinsinn durchaus helfen. Wenn das Boot in der Flaute rückwärts treibt, müssen alle anpacken. Warum aber macht der „Geist der Gemeinsamkeit“ in Deutschland immer einen großen Bogen um die Reichsten?

Satte Abgabe moralisch vertretbar

Die oberen zehn Prozent haben in den letzten Krisen viel verdient. Es spricht nichts gegen eine einmalige, satte Vermögensabgabe - um Energiepreise zu bremsen und kollabierenden kleineren Betriebe zu helfen. Das ist moralisch mehr als vertretbar. Es ist ein politisch sinnvolles, ja nötiges Signal, das zeigt, dass nicht nur die Durchschnittsverdiener für die Krise zahlen. Und es ist ökonomisch sinnvoll. Denn bei den Reichen liegt das Geld auf der hohen Kante, die Vermögensabgabe kann praktisch helfen, die schwindende Nachfrage auszugleichen.
Immer weiter steigende Ungleichheit ist kein Schicksal. Wenn man politisch mehr Gleichheit will, dann geht das. Das historische Vorbild liefert ausgerechnet das Heimatland des entfesselten Kapitalismus. Nach dem Crash 1929 setzte US-Präsident Roosevelt den Spitzensteuersatz auf 79 Prozent und die Erbschaftsteuer auf 77. In den USA mussten Besserverdienende bis 1980 70 Prozent Steuern zahlen. Heutzutage fordert so etwas noch nicht mal die Linkspartei. 
Eine einmalige Vermögensabgabe, eine Art Reichen-Soli gegen die Rezession, wäre ein Klacks im Vergleich zu dem, was Roosevelt 1932 tat. Aber sogar das gilt den Regierenden hierzulande als utopische Schwärmerei, oder es wird als pure Neiddebatte denunziert. Das ist ein Armutszeugnis. Die Politik beraubt sich damit eines Instrumentes, das sie braucht. Gerade jetzt.

Stefan Reinecke, geboren 1959, ist als Redakteur und Publizist in Berlin tätig. Seit 2002 arbeitet er für die Parlamentsredaktion der „taz“. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, darunter eine Biografie von Christian Ströbele (2016).

Der Publizist Stefan Reinecke
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