Vermittlung des Grauens
Am Sonntag wurde das neue Dokumentationszentrum der Gedenkstätte Bergen-Belsen eröffnet. Sieben Jahre wurde geplant, 13 Millionen Euro wurden verbaut; eine Summe, die sich der Bund und das Land Niedersachsen teilen. Kulturminister Bernd Naumann, Vertreter der niedersächsischen Landesvertretung und Gäste aus dem In- und Ausland kamen in Niedersachsen zusammen, um mit Überlebenden des KZs Bergen-Belsen eine Gedenkstätte zu eröffnen, die auf biografische Vermittlung setzt.
1998 hatte der Deutsche Bundestag die Empfehlung der Enquetekommission zur Deutschen Einheit angenommen, danach sollte die Erinnerung an die jüngste Geschichte in allen Bundesländern wach gehalten werden. Die Gedenkstätte Bergen-Belsen will nun zeigen, was Erinnerungskultur zu leisten vermag: mit einem Dokumentationszentrum, das maßgeschneidert für eine neue Dauerausstellung ist, die neben der üblichen Information auch auf Emotionen und die Vermittlung von Lebensgeschichten setzt.
"Keine Vögel, nichts. Und wenn ich jetzt komme, das ist hier sehr schön. Aber das ist nicht dasselbe. Und in anderen Plätzen, in Oświęcim oder in Ravensbrück, dort bleiben noch die Baracken, und das sieht ganz anders aus. Aber hier, hier ist nichts."
Maria Jaworska hat das KZ Bergen-Belsen überlebt. Sie steht jetzt in dem neuen Dokumentationszentrum, das auch ihre Geschichte erzählt. Damals hieß sie Maria Wisniewska, ihr Vater war Lehrer und gehörte zur polnischen Intelligenz, die von den Nationalsozialisten systematisch verfolgt und vernichtet wurde. 1943 starb er im schlesischen KZ Groß-Rosen, während seine Frau und die drei Kinder in unterschiedliche Lager kamen. Maria war zunächst in Ravensbrück und später in Bergen-Belsen.
Wer unvorbereitet nach Bergen-Belsen kommt, sieht nicht mehr viel. Ein Friedhof, ein paar Gedenksteine in einer friedlichen Heidelandschaft. Der amerikanischen Historiker Henry Friedlaender – selbst dem KZ entkommen – ist Vorsitzender der internationalen Expertenkommission, die das Dokumentationszentrum berät. Ihm ist wichtig, dass Bergen-Belsen in seiner historischen Bedeutung wieder lesbar und erfahrbar wird.
"Ich glaube dass nach dem Krieg, nach der Befreiung dieses Gelände überbäumt war, würde ich sagen. Man hat Bäume gepflanzt und wollte es verschwinden lassen. Das hat was mit der Geschichte von Niedersachsen zu tun."
Jetzt stellt sich Niedersachsen seiner Geschichte und versucht mit dem Ausbau der Gedenkstätte neue Maßstäbe zu setzen.
"Ich will das gar nicht so theoretisch behandeln. Die Leute haben daran geglaubt, und sie wollten es auch, dass eine Gedenkstätte, die wirklich was in sich hat, gebaut werden würde."
Bernd Busemann hat das Projekt unterstützt, der niedersächsische Kultusminister ist zugleich Vorsitzender des Stiftungsrates. Er ist froh, dass das neue Dokumentationszentrum eine hohe emotionale Qualität besitzt, und es vielleicht schaffen wird, die Erinnerung an Verfolgung und Mord auch bei jüngeren Menschen wach zu halten.
"Ich bin ja nicht ohne Grund nach Israel gefahren, nach USA gefahren, habe mir die dortigen Gedenkstätten angesehen, habe mit den Überlebenden, mit anderen gesprochen, wie macht man so was, wie fängt man so was an? Und es war da schon auch, gerade von den Überlebenden – wir wissen alle, dass sie in ein paar Jahren nicht mehr unter uns sein werden – war schon das große Anliegen, fasst das in pädagogisch didaktisch moderner Form zusammen, formuliert das, was da geschehen ist, welches Unrecht geschehen ist, wie viel Identität den Menschen genommen wurde. Es muss gerade für junge Menschen begreiflich und erfassbar gemacht werden. Und das denke ich, das kriegen wir hin."
In Bergen-Belsen wird nun eine komplexe Geschichte erzählt. Oft ist sie beschämend und traurig, sie handelt von Verfolgung, Mord und Vernichtung. 70.000 Menschen liegen hier in den Massengräbern. Nur wenige haben den Terror überlebt. Einige von ihnen erzählen jetzt in kleinen Videofilmen von ihrem Leben im Lager. Not und Zuversicht liegen nah beieinander. Ängste und Hoffnungen bekommen ein Gesicht, weil in der Ausstellung neben den üblichen Dokumenten genügend Platz für individuelle Erfahrungen ist.
"Es geht schon immer wieder durch. Und jetzt sind wir fertig, also das erste Mal auch, dass nun auch Überlebende, Gefangenenlagerinsassen, KZ-Insassen, aber auch Geborene des Displaced Camps persönlich hier sind. Es geht schon recht nahe. So etwas darf nie wieder geschehen, so eine Gedenkstätte hat ja eine Botschaft in sich."
Viele Zeitzeugen kommen zu Wort: russische Kriegsgefangene, politisch Verfolgte, Sinti und Homosexuelle. Und nicht zuletzt berichten Juden von ihrem Leid. Die Botschaften sind oft sperrig, wie die von Toni Dreilinger, die im April 1945 in Bergen-Belsen befreit worden ist.
"Und da ist der englische Panzer eingefahren und hat erklärt, ihr seid frei, ihr sollt keine Angst haben, der Krieg ist zu Ende. Und ich habe so gewartet auf das Ende des Krieges, ich habe mich hingelegt auf den Boden und habe so geweint. Ich konnte mich nicht zurückhalten, das war der Zusammenbruch, ich sage, ich wollte so leben, ich wollte so überleben. Und wofür? Ich weiß, ich habe keinen Vater, ich habe keine Mutter, ich war 18 Jahre alt, ich habe keine Geschwister, ich habe niemanden, ich habe nichts."
Die anspruchsvolle Aufgabe, einen solchen Gedenkort zu entwerfen, musste der Architekt Michael Zimmermann vom Braunschweiger Büro KSP lösen. Er entwarf einen minimalistischen Baukörper aus Beton, der eine architektonische Verbindung zum Lager sucht, das selbst nicht bebaut werden durfte.
"Von vorne ist es ein ganz kleiner Kopf, der so ein bisschen die Überraschung dieses schwebenden Balkens hat, aber dann ist es ein ganz langer, 200 Meter langer Riegel, der sich dann eigentlich erst erschließt, und der Raum ansonsten in all seinen Ebenen absolut dient. Ein Volumen, der Innen- und Außenweg miteinander verzahnt, die beiden liegen ja so ineinander. Wenn ich nachher, besonders oben am Ende des Ausstellungsraumes stehe und sage, wo bin ich jetzt eigentlich, und plötzlich merke ich eigentlich, ich bin jetzt plötzlich im Lager, und dann kommen einem vielleicht, nachdem man das alles gesehen hat, noch mal so ein paar andere Dinge in den Kopf, vielleicht auch Dinge, die noch nicht übers Auge und über den Verstand gehen, so was muss so ein Raum dann auch noch bieten können, also ein Stück Kontemplation."
Bergen-Belsen wird zu einem Ort der Aufklärung und des Gedenkens, hier soll dokumentiert und geforscht werden. Auch das ist erst jetzt richtig möglich, nachdem die Archive in England und Moskau geöffnet wurden.
Ein erster Schritt ist getan, das neue Dokumentationszentrum ist Teil eines steinernen Wegs, der durch das ehemalige Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht und durch das KZ-Gelände führt. Demnächst soll das Gelände wieder lesbar werden, man soll sehen, wo die Baracken gestanden haben. Entsprechende Pläne gibt es schon. Die Archäologen der jüngsten Vergangenheit haben noch viel zu tun.
Links:
Gedenkstätte Bergen-Belsen
KSP Engel und Zimmermann Architekten
"Keine Vögel, nichts. Und wenn ich jetzt komme, das ist hier sehr schön. Aber das ist nicht dasselbe. Und in anderen Plätzen, in Oświęcim oder in Ravensbrück, dort bleiben noch die Baracken, und das sieht ganz anders aus. Aber hier, hier ist nichts."
Maria Jaworska hat das KZ Bergen-Belsen überlebt. Sie steht jetzt in dem neuen Dokumentationszentrum, das auch ihre Geschichte erzählt. Damals hieß sie Maria Wisniewska, ihr Vater war Lehrer und gehörte zur polnischen Intelligenz, die von den Nationalsozialisten systematisch verfolgt und vernichtet wurde. 1943 starb er im schlesischen KZ Groß-Rosen, während seine Frau und die drei Kinder in unterschiedliche Lager kamen. Maria war zunächst in Ravensbrück und später in Bergen-Belsen.
Wer unvorbereitet nach Bergen-Belsen kommt, sieht nicht mehr viel. Ein Friedhof, ein paar Gedenksteine in einer friedlichen Heidelandschaft. Der amerikanischen Historiker Henry Friedlaender – selbst dem KZ entkommen – ist Vorsitzender der internationalen Expertenkommission, die das Dokumentationszentrum berät. Ihm ist wichtig, dass Bergen-Belsen in seiner historischen Bedeutung wieder lesbar und erfahrbar wird.
"Ich glaube dass nach dem Krieg, nach der Befreiung dieses Gelände überbäumt war, würde ich sagen. Man hat Bäume gepflanzt und wollte es verschwinden lassen. Das hat was mit der Geschichte von Niedersachsen zu tun."
Jetzt stellt sich Niedersachsen seiner Geschichte und versucht mit dem Ausbau der Gedenkstätte neue Maßstäbe zu setzen.
"Ich will das gar nicht so theoretisch behandeln. Die Leute haben daran geglaubt, und sie wollten es auch, dass eine Gedenkstätte, die wirklich was in sich hat, gebaut werden würde."
Bernd Busemann hat das Projekt unterstützt, der niedersächsische Kultusminister ist zugleich Vorsitzender des Stiftungsrates. Er ist froh, dass das neue Dokumentationszentrum eine hohe emotionale Qualität besitzt, und es vielleicht schaffen wird, die Erinnerung an Verfolgung und Mord auch bei jüngeren Menschen wach zu halten.
"Ich bin ja nicht ohne Grund nach Israel gefahren, nach USA gefahren, habe mir die dortigen Gedenkstätten angesehen, habe mit den Überlebenden, mit anderen gesprochen, wie macht man so was, wie fängt man so was an? Und es war da schon auch, gerade von den Überlebenden – wir wissen alle, dass sie in ein paar Jahren nicht mehr unter uns sein werden – war schon das große Anliegen, fasst das in pädagogisch didaktisch moderner Form zusammen, formuliert das, was da geschehen ist, welches Unrecht geschehen ist, wie viel Identität den Menschen genommen wurde. Es muss gerade für junge Menschen begreiflich und erfassbar gemacht werden. Und das denke ich, das kriegen wir hin."
In Bergen-Belsen wird nun eine komplexe Geschichte erzählt. Oft ist sie beschämend und traurig, sie handelt von Verfolgung, Mord und Vernichtung. 70.000 Menschen liegen hier in den Massengräbern. Nur wenige haben den Terror überlebt. Einige von ihnen erzählen jetzt in kleinen Videofilmen von ihrem Leben im Lager. Not und Zuversicht liegen nah beieinander. Ängste und Hoffnungen bekommen ein Gesicht, weil in der Ausstellung neben den üblichen Dokumenten genügend Platz für individuelle Erfahrungen ist.
"Es geht schon immer wieder durch. Und jetzt sind wir fertig, also das erste Mal auch, dass nun auch Überlebende, Gefangenenlagerinsassen, KZ-Insassen, aber auch Geborene des Displaced Camps persönlich hier sind. Es geht schon recht nahe. So etwas darf nie wieder geschehen, so eine Gedenkstätte hat ja eine Botschaft in sich."
Viele Zeitzeugen kommen zu Wort: russische Kriegsgefangene, politisch Verfolgte, Sinti und Homosexuelle. Und nicht zuletzt berichten Juden von ihrem Leid. Die Botschaften sind oft sperrig, wie die von Toni Dreilinger, die im April 1945 in Bergen-Belsen befreit worden ist.
"Und da ist der englische Panzer eingefahren und hat erklärt, ihr seid frei, ihr sollt keine Angst haben, der Krieg ist zu Ende. Und ich habe so gewartet auf das Ende des Krieges, ich habe mich hingelegt auf den Boden und habe so geweint. Ich konnte mich nicht zurückhalten, das war der Zusammenbruch, ich sage, ich wollte so leben, ich wollte so überleben. Und wofür? Ich weiß, ich habe keinen Vater, ich habe keine Mutter, ich war 18 Jahre alt, ich habe keine Geschwister, ich habe niemanden, ich habe nichts."
Die anspruchsvolle Aufgabe, einen solchen Gedenkort zu entwerfen, musste der Architekt Michael Zimmermann vom Braunschweiger Büro KSP lösen. Er entwarf einen minimalistischen Baukörper aus Beton, der eine architektonische Verbindung zum Lager sucht, das selbst nicht bebaut werden durfte.
"Von vorne ist es ein ganz kleiner Kopf, der so ein bisschen die Überraschung dieses schwebenden Balkens hat, aber dann ist es ein ganz langer, 200 Meter langer Riegel, der sich dann eigentlich erst erschließt, und der Raum ansonsten in all seinen Ebenen absolut dient. Ein Volumen, der Innen- und Außenweg miteinander verzahnt, die beiden liegen ja so ineinander. Wenn ich nachher, besonders oben am Ende des Ausstellungsraumes stehe und sage, wo bin ich jetzt eigentlich, und plötzlich merke ich eigentlich, ich bin jetzt plötzlich im Lager, und dann kommen einem vielleicht, nachdem man das alles gesehen hat, noch mal so ein paar andere Dinge in den Kopf, vielleicht auch Dinge, die noch nicht übers Auge und über den Verstand gehen, so was muss so ein Raum dann auch noch bieten können, also ein Stück Kontemplation."
Bergen-Belsen wird zu einem Ort der Aufklärung und des Gedenkens, hier soll dokumentiert und geforscht werden. Auch das ist erst jetzt richtig möglich, nachdem die Archive in England und Moskau geöffnet wurden.
Ein erster Schritt ist getan, das neue Dokumentationszentrum ist Teil eines steinernen Wegs, der durch das ehemalige Kriegsgefangenenlager der Wehrmacht und durch das KZ-Gelände führt. Demnächst soll das Gelände wieder lesbar werden, man soll sehen, wo die Baracken gestanden haben. Entsprechende Pläne gibt es schon. Die Archäologen der jüngsten Vergangenheit haben noch viel zu tun.
Links:
Gedenkstätte Bergen-Belsen
KSP Engel und Zimmermann Architekten