Vermittlerin zwischen den Religionen
Der Leopold-Lucas-Preis wird verliehen für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Theologie, Geistesgeschichte, Geschichtsforschung und Philosophie - an Persönlichkeiten, die sich um die Verbreitung des Toleranzgedankens verdient gemacht haben. In diesem Jahr wurde die Londoner Religionswissenschaftlerin und Publizistin Karen Armstrong geehrt.
Karen Armstrong ist nicht den geraden Weg gegangen. Die Tochter kleiner Leute war katholische Nonne, dann Studentin in Oxford, schließlich Lehrerin und Fernseh-Journalistin, bevor sie sich mit Anfang 50 zum Schreiben in einen Londoner Vorort zurückzog. Dort, in der Stille, fand sie einen neuen Zugang zum Glauben – und den Willen zum interreligiösen Dialog, eine Haltung, die ihr jetzt den hoch dotierten Leopold-Lucas-Preis eingebracht hat.
Für die 64-jährige Armstrong ist Religion eine sehr praktische Angelegenheit, wie Autofahren oder Kochen, sagt sie. Es gehe um "compassion", also das Mitleiden mit anderen, überhaupt um die Fähigkeit, die Position des anderen einnehmen zu können. Diese Haltung finde sie in allen monotheistischen Religionen – weshalb sie das Studium fremder Traditionen empfiehlt. Solch vergleichende Liberalität war Armstrong nicht in die Wiege gelegt. Sie kommt aus einer irisch-stämmigen katholischen Familie, in England eine Minderheit; sie ist in der materialistischen, harten Industriemetropole Birmingham aufgewachsen, und als sie mit 17 ins Kloster gehen wollte, fielen ihre Eltern aus allen Wolken:
"Ich bin römisch-katholisch erzogen, was in England nicht besonders angenehm ist – der Katholizismus ist sehr unbritisch. Er wird als ausländisch und auch als irisch angesehen. Meine Familie kommt aus Irland, und auch politisch gibt es ja dieses irisch-englische Problem. Meine Eltern waren nicht besonders religiös; sie gingen in die Kirche, ja, aber das war’s dann auch. Und sie waren völlig entsetzt, als ich ins Kloster ging. Und sie hatten Recht, denn ich war viel zu jung für eine solche Entscheidung."
Aber was wollte sie eigentlich im Kloster? Was erhofft sich eine 17-Jährige von diesem Lebensstil?
" Ich wollte Gott finden. Ich wollte mich selbst verlieren und diese ganzen Pubertäts-Verwirrungen loswerden; ich dachte, ich würde sehr schnell erleuchtet sein und in einem Zustand der Transzendenz leben – und natürlich ist das nicht passiert. Nach sieben Jahren habe ich das Kloster dann verlassen; ich war viel zu jung für sowas. Ich war 17, als ich eintrat, noch ein Kind. Und ich bin mit sehr großem Bedauern gegangen. Es war auch hart, diesen Lebensstil aufzugeben. Ich habe sechs Jahre gebraucht, den Schock dieses Abschieds zu verarbeiten."
Der Weg wieder hinaus, in eine säkulare Gesellschaft, war schwierig. Vor allem, weil sich draußen inzwischen einiges getan hatte.
"Ich bin 1962 in den Orden eingetreten, und ich verließ ihn 1969. Als ich herauskam, hatte ich weder von den Beatles noch von Vietnam je etwas gehört. Als ich aus dem Kloster kam, hatte sich die Welt völlig verändert: an der Uni von Oxford wurde freie Liebe gemacht und demonstriert, sie trugen nicht mehr die netten sauberen Kleider der 50er-Jahre. Es war absolut verwirrend für mich."
Aber sie kam mit ihren Studien voran. Sie machte in Oxford einen guten Studienabschluss und wollte Professorin für englische Literatur werden. Dann allerdings hatte sie eine ganze Reihe von Karriere-Desastern, wie sie sagt. Bis zum 50. Lebensjahr sei ihr fast alles "spektakulär missglückt".
"Zuerst ging meine Doktorarbeit daneben, ein großer Skandal in Oxford; und so konnte ich nicht an der Uni lehren, was ich eigentlich wollte. So wurde ich Lehrerin, aber nach sechs Jahren musste ich aufhören; ich bin Epileptikerin, und bei mir fiel einfach zu viel Unterricht aus. Dann ging ich, mein Fehler, zum Fernsehen und machte sechs Jahre lang skeptische, sehr religionskritische Programme. Dann ging auch das zu Ende, als nämlich die Produktionsgesellschaft, für die ich arbeitete, das ganze Geld veruntreute, das sie von einem Fernsehkanal bekommen hatte. - So musste ich auch da gehen, und verbrachte dann vier Jahre mit dem Schreiben meines Buches 'A History Of God'. Und das war ein großer Erfolg. Und es hat meine Haltung zur Religion verändert."
Armstrong konnte noch einmal von vorn anfangen – und begann ganz bewusst, auch die Grundlagen der anderen monotheistischen Religionen zu erforschen. In allen drei rivalisierenden Glaubensrichtungen fand sie Dinge, zu denen sie eine Beziehung aufbauen konnte – im Judentum etwa die Fähigkeit zum Fragen, im Islam den "Pluralismus des Koran", sagt sie. Auf erstaunte Gegenfragen, worin denn der gelebte Pluralismus des Islam bestehe, verweist die UN-Beraterin auf die Geschichte: auch das Christentum habe seine Rolle in einem säkularen Europa erst nach vielen Kämpfen gefunden. Der Islam gehe jetzt durch jene schwierige Phase, die wir bereits hinter uns haben, sagt Armstrong. Allerdings seien die Voraussetzungen für eine Reform des Islam nicht unbedingt günstig.
"In der Vergangenheit waren die Muslime in der Lage, Katastrophen die Stirn zu bieten und daraus neue Einsichten zu gewinnen. Nach der Mongolen-Invasion im 14. Jahrhundert, die die Bevölkerung dezimierte und ganze Städte zerstörte, schufen die Muslime drei neue Imperien, weil sie von den Mongolen gelernt hatten. Gegen den Westen waren sie nicht in der Lage dazu. Es gab kein kreatives Comeback. So sind sie von einer Weltmacht zu einem abhängigen Block geworden."
Deshalb hänge es auch vom Verhalten des Westens ab, ob die islamische Welt sich in Zukunft günstig entwickeln werde. Karen Armstrong jedenfalls will ihren Teil dazu beitragen: als UN-Beraterin und als Vermittlerin zwischen den Religionen.
Für die 64-jährige Armstrong ist Religion eine sehr praktische Angelegenheit, wie Autofahren oder Kochen, sagt sie. Es gehe um "compassion", also das Mitleiden mit anderen, überhaupt um die Fähigkeit, die Position des anderen einnehmen zu können. Diese Haltung finde sie in allen monotheistischen Religionen – weshalb sie das Studium fremder Traditionen empfiehlt. Solch vergleichende Liberalität war Armstrong nicht in die Wiege gelegt. Sie kommt aus einer irisch-stämmigen katholischen Familie, in England eine Minderheit; sie ist in der materialistischen, harten Industriemetropole Birmingham aufgewachsen, und als sie mit 17 ins Kloster gehen wollte, fielen ihre Eltern aus allen Wolken:
"Ich bin römisch-katholisch erzogen, was in England nicht besonders angenehm ist – der Katholizismus ist sehr unbritisch. Er wird als ausländisch und auch als irisch angesehen. Meine Familie kommt aus Irland, und auch politisch gibt es ja dieses irisch-englische Problem. Meine Eltern waren nicht besonders religiös; sie gingen in die Kirche, ja, aber das war’s dann auch. Und sie waren völlig entsetzt, als ich ins Kloster ging. Und sie hatten Recht, denn ich war viel zu jung für eine solche Entscheidung."
Aber was wollte sie eigentlich im Kloster? Was erhofft sich eine 17-Jährige von diesem Lebensstil?
" Ich wollte Gott finden. Ich wollte mich selbst verlieren und diese ganzen Pubertäts-Verwirrungen loswerden; ich dachte, ich würde sehr schnell erleuchtet sein und in einem Zustand der Transzendenz leben – und natürlich ist das nicht passiert. Nach sieben Jahren habe ich das Kloster dann verlassen; ich war viel zu jung für sowas. Ich war 17, als ich eintrat, noch ein Kind. Und ich bin mit sehr großem Bedauern gegangen. Es war auch hart, diesen Lebensstil aufzugeben. Ich habe sechs Jahre gebraucht, den Schock dieses Abschieds zu verarbeiten."
Der Weg wieder hinaus, in eine säkulare Gesellschaft, war schwierig. Vor allem, weil sich draußen inzwischen einiges getan hatte.
"Ich bin 1962 in den Orden eingetreten, und ich verließ ihn 1969. Als ich herauskam, hatte ich weder von den Beatles noch von Vietnam je etwas gehört. Als ich aus dem Kloster kam, hatte sich die Welt völlig verändert: an der Uni von Oxford wurde freie Liebe gemacht und demonstriert, sie trugen nicht mehr die netten sauberen Kleider der 50er-Jahre. Es war absolut verwirrend für mich."
Aber sie kam mit ihren Studien voran. Sie machte in Oxford einen guten Studienabschluss und wollte Professorin für englische Literatur werden. Dann allerdings hatte sie eine ganze Reihe von Karriere-Desastern, wie sie sagt. Bis zum 50. Lebensjahr sei ihr fast alles "spektakulär missglückt".
"Zuerst ging meine Doktorarbeit daneben, ein großer Skandal in Oxford; und so konnte ich nicht an der Uni lehren, was ich eigentlich wollte. So wurde ich Lehrerin, aber nach sechs Jahren musste ich aufhören; ich bin Epileptikerin, und bei mir fiel einfach zu viel Unterricht aus. Dann ging ich, mein Fehler, zum Fernsehen und machte sechs Jahre lang skeptische, sehr religionskritische Programme. Dann ging auch das zu Ende, als nämlich die Produktionsgesellschaft, für die ich arbeitete, das ganze Geld veruntreute, das sie von einem Fernsehkanal bekommen hatte. - So musste ich auch da gehen, und verbrachte dann vier Jahre mit dem Schreiben meines Buches 'A History Of God'. Und das war ein großer Erfolg. Und es hat meine Haltung zur Religion verändert."
Armstrong konnte noch einmal von vorn anfangen – und begann ganz bewusst, auch die Grundlagen der anderen monotheistischen Religionen zu erforschen. In allen drei rivalisierenden Glaubensrichtungen fand sie Dinge, zu denen sie eine Beziehung aufbauen konnte – im Judentum etwa die Fähigkeit zum Fragen, im Islam den "Pluralismus des Koran", sagt sie. Auf erstaunte Gegenfragen, worin denn der gelebte Pluralismus des Islam bestehe, verweist die UN-Beraterin auf die Geschichte: auch das Christentum habe seine Rolle in einem säkularen Europa erst nach vielen Kämpfen gefunden. Der Islam gehe jetzt durch jene schwierige Phase, die wir bereits hinter uns haben, sagt Armstrong. Allerdings seien die Voraussetzungen für eine Reform des Islam nicht unbedingt günstig.
"In der Vergangenheit waren die Muslime in der Lage, Katastrophen die Stirn zu bieten und daraus neue Einsichten zu gewinnen. Nach der Mongolen-Invasion im 14. Jahrhundert, die die Bevölkerung dezimierte und ganze Städte zerstörte, schufen die Muslime drei neue Imperien, weil sie von den Mongolen gelernt hatten. Gegen den Westen waren sie nicht in der Lage dazu. Es gab kein kreatives Comeback. So sind sie von einer Weltmacht zu einem abhängigen Block geworden."
Deshalb hänge es auch vom Verhalten des Westens ab, ob die islamische Welt sich in Zukunft günstig entwickeln werde. Karen Armstrong jedenfalls will ihren Teil dazu beitragen: als UN-Beraterin und als Vermittlerin zwischen den Religionen.