Vermehrungsfreudig, aber gefährdet

Von Lutz Reidt · 08.04.2012
Kaum eine Wildtierart ist so vermehrungsfreudig wie der Feldhase. Bis zu vier Würfe mit jeweils ein oder zwei, oft aber auch drei bis fünf Junghasen bringt die Häsin im Verlaufe eines Jahres zur Welt.
Die Jungen sind - im Gegensatz zum Kaninchen - bereits behaart und zumindest der erste Wurf, der jetzt im zeitigen Frühjahr schon auf den Wiesen unterwegs ist, kann noch in diesem Jahr selber wieder Junge kriegen. Doch obwohl der Feldhase so fruchtbar ist, steht er in Deutschland auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. Nur in wenigen Regionen lohnt es sich noch, mit offenen Augen durch die vorösterliche Natur zu pirschen. Dort lässt sich dann auch ergründen, was Feldhasen zum brauchen, damit sie auch besonders schnell vor ihren Feinden flüchten können

Erste bunte Frühlingsboten begleiten Thomas Berner durch sein Jagdrevier am Niederrhein bei Wesel. Hellgrün leuchten die Knospen des Holunder und schneeweiß die Blüten von Kirschen und Schlehen in den meterhohen Hecken, die das 150 Hektar große Wiesengebiet säumen.

"Wunderschön die Feldlerche im Hintergrund am Singen. Vor uns ein Hase, der auch die höhere Deckung annimmt. Da der nächste Hase."

Mit kraftvollen Sätzen prescht der Feldhase durchs Gras und verschwindet im Dickicht der dornigen Hecken. In der Regel haben Füchse und sonstige Fressfeinde keine Chance, einen gesunden Hasen zu erbeuten.

"Feldhasen können maximal 72 Stundenkilometer erreichen. Man vermutet, dass das für einige hundert Meter anhalten kann; und zwar liegt es daran, dass es einfach die Strategie des Feldhasen ist, schnell weg zu springen, weg zu flüchten vor dem Räuber; ihn dadurch ein bisschen zu überraschen; und dann verliert er das Interesse und sucht sich ein anderes Beutetier."

Die Biologin Dr. Theresa Valencak von der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat genauer untersucht, warum Hasen so schnell sind. Es liegt an bestimmten Fettsäuren im Muskelgewebe - und zwar an den mehrfach ungesättigten Fettsäuren Omega 6 und Omega 3.

Was konkret diese Fettsäuren im Muskel bewirken, ist noch nicht genau geklärt. Theresa Valencak geht davon aus, dass die Fette bestimmte Stoffwechselvorgänge in den Muskelzellen günstig beeinflussen. Dies ermögliche dem Hasen auch bei niedrigen Außentemperaturen einen rasanten Kaltstart aus dem Stand heraus, ohne dass die Muskulatur darunter leide. Nur so habe das Fluchttier Feldhase im Laufe der Evolution einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Fressfeinden entwickeln können. Denn kein anderes Tier hat soviel ungesättigte Fettsäuren in den Muskelzellen wie der Feldhase:

"Wir sind losgezogen und haben bei ungefähr 40 Säugetieren gefunden, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der maximalen Laufgeschwindigkeit und dem Anteil von Omega-6-mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Das muss man sich so vorstellen, dass jeder Prozentpunkt Omega-6 mehrfach ungesättigte Fettsäure einen enormen Geschwindigkeitsgewinn - nämlich von einigen Metern pro Sekunde - bringen kann. Und das kann für den Feldhasen, der ein klassisches Fluchttier ist, über Leben und Tod entscheiden."

Nun hat der Feldhase nicht von vornherein diese Fettsäuren in der Muskulatur. Er muss sie jeden Tag neu aufnehmen, über die Nahrung. Und beim Fressen ist der Hase wählerisch, er braucht ganz bestimmte Ackerwildkräuter.

"Es hat sich gezeigt, dass Feldhasen besonders auf Kräuter und fettreiche Gräser abfliegen. Und zwar sind das in erster Linie der Löwenzahn in unserer Landschaft, der hat auch um 70 Prozent mehrfach ungesättigte Fettsäuren; der Weißklee ist noch hochwertiger; und Klatschmohn! Der Klatschmohn liegt auch bei 75 Prozent mehrfach ungesättigter Fettsäuren. Das sind genau die Pflanzen, die sehr gut sind für den Feldhasen, die sehr viel mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthalten."

Ackerwildkräuter wie Löwenzahn oder Klatschmohn sind jedoch selten geworden an den Feldrändern. Somit fehlt dem Hasen eine wichtige Nahrungsgrundlage und vor allem deswegen steht er auf der Roten Liste. Würden jedoch die Landwirte beispielsweise nur die Feldränder entlang der Wege und Hecken nicht mehr bewirtschaften, könnte Thomas Berner in diesen "Saumzonen" auch wieder öfter den Feldhasen aufscheuchen:

""Alle Welt spricht von Saumzonen, aber fahren Sie mal durch die Landschaft und schauen Sie sich die Hecken an: Dann haben sie einen asphaltierten Feldweg auf der einen Seite und eine Pflugfurche auf der anderen Seite bis in die Wurzeln ´rein. Das ist nur Lebensraum für Ringeltaube, Amsel und vielleicht noch die Elster. Für alle anderen Bodenbrüter oder auch für den Feldhasen ist das kein Lebensraum. Der braucht diese Saumzone - und bitte schön eine Saumzone, die nicht gepflegt wird. Hier sehen Sie vor uns noch Brennnessel-Stengel aus dem Vorjahr, hier sehen Sie auch noch einen Distel-Stengel aus dem Vorjahr und auch dieses wichtige Altgras, diese Altgras-Büsche."

Der Jäger ist stolz auf den Artenreichtum in seinem Revier. Die Hecken und Bauminseln mit den vielen Kräutern ringsum bieten nicht nur dem Feldhasen Deckung und Nahrung, sondern auch Rebhühnern, Kiebitzen und vielen anderen Tieren. Wer also etwas für den Feldhasen tut, der hilft der Natur insgesamt, an vielen Stellen Natur belassen zu bleiben und die Ödnis aus den heutigen Agrarsteppen zu vertreiben.
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