Verlust für Berlin

Kunstsammler Marzona gibt Archiv nach Dresden

Der Kunstsammler Egidio Marzona posiert am 06.02.2014 in Berlin. Marzona schenkt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 372 Werke aus seiner Kunstsammlung.
Der Kunstsammler Egidio Marzona - hier im Februar 2014 in Berlin. © dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Von Christiane Habermalz · 20.06.2016
Noch vor anderthalb Jahren hatte der Kunstsammler und Mäzen Egidio Marzona davon gesprochen, sein riesiges "Archiv der Avantgarden" nach Berlin zu geben, das bereits viele seiner Werke besitzt. Nun beschenkt er stattdessen Dresden. Was ist passiert?
Begeistert war man in Berlin nicht. Der Kunstsammler und Mäzen Egidio Marzona gibt sein "Archiv der Avantgarden" des 20. Jahrhunderts nicht an die Spree, sondern an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Berlin, das in den vergangenen Jahren eine Reihe von Schenkungen und Dauerleihgaben von Marzona erhalten hatte, ging leer aus. Von einem Zerwürfnis mit dem Sammler wollte Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek Berlin, dennoch nicht sprechen:

"Wir treffen uns fast jede Woche, hecken Projekte aus, und Misstrauen ist - glaube ich - wirklich der falsche Begriff, zumal Egidio Marzona immer von einem Netzwerk der Archive geträumt hat."

Fakt ist: Noch an seinem 70. Geburtstag vor anderthalb Jahren hatte der Deutschitaliener davon gesprochen, die über eine Million Archivarien, darunter Bücher, Autografen, Briefe, Flyer, Plakate, Manifeste, Fotos und Kataloge nach Berlin zu geben.

Ein Angebot, das er nicht abschlagen konnte?

Nun machte offenbar die junge, frisch bestellte Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlung Dresden, Marion Ackermann, dem Sammler schlicht ein Angebot, das dieser nicht abschlagen konnte. Was genau, vereinbart wurde, darüber soll erst am Mittwoch öffentlich gesprochen werden. Aber von einem eigenen Haus ist die Rede, ausgestattet mit genügend Mitteln für Aufarbeitung und Erforschung des riesigen Archivs.
Genau das hatte sich Marzona in Berlin für sein "Archiv der Avantgarden" gewünscht. Lange machte er sich Hoffnung, dass seine Archivarien im geplanten Neubau des Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum unterkommen könnte. Doch das passe nicht ins integrative Konzept, und für ein so gewaltiges Archiv fehle schlicht die nötige Fläche, sagte Parzinger:
"Na - das ist so, dass im Neubau das Archiv ja nie vorgesehen war. Es sollte eine Ausstellungsplattform geben für die Bestände des Archivs Marzona, einige sind ja bereits Teil der Kunstbibliothek, aber dort sollte nie das Archiv Marzona rein – vollständig ginge ja sowieso nicht dann bräuchte man 50.000 qm, ist ja auch schwieirig zu planen, weil man ja gar nicht weiß, was das Archiv alles enthält."

Großteil seiner Sammlung bereits Berlin vermacht

Marzona hatte in den vergangenen Jahren Berlin bereits einen Großteil seiner Sammlung vermacht – vor allem Konzeptkunst der 60er- und 70er-Jahre, Minimal Art und Arte Povera, 2002 zunächst als Dauerleihgaben, vor zwei Jahren dann als endgültige Schenkung. Und auch Teile des Archivs – über 40.000 Dokumente, Künstlerbriefe, Plakate und Schallplatten sind in Berlin.
Für seine Sammlung plus Archiv war ihm schon vor einigen Jahren ein eigenes Haus in Aussicht gestellt. Doch daraus wurde nichts. Jetzt hatte Marzona offenbar genug. Für Berlin und die Konzeption des Museums des 20. Jahrhunderts ändere sich dennoch nichts, gibt sich Kunstbibliotheks-Direktor Wullen zuversichtlich:

"Wir haben weiterhin eine ganz starke Sammlung Marzona. Wir haben die gesamten Archivteile, die er uns 2002 geschenkt hat. Wir bekommen jetzt eine neue Schenkung von ihm, nämlich die Schenkung der Dauerleihgabe, und wir werden das ejtzt natürlich nutzen hier am Kulturforum. Dieses Avantgardenarchiv wird es geben!"

Dresden ist ja nicht weit weg....

Viele der wertvollen Bücher aus Marzonas Bibliothek seien zudem in Berlin schon vorhanden, fügt Parzinger hinzu. Und Dresden sei ja nicht weit weg, und man sei zu Kooperationen und gemeinsamen Projekte bereit:

"Vielleicht muss auch nicht immer alles nach Berlin. Vielleicht ist das etwas, mit den massiven Überschneidungen bei der Bibliothek die natürlich auch wichtig sind, und er sagt, ich teil das nicht auf, nach dem was ihr gebrauchen könnt und was nicht. Und diese Überschneidungen sind natürlich in Dresden in ganz geringem Maße nur gegeben. Und in Dresden füllt das eine Lücke, die dort nach 1945 entstanden ist."
Dass Marzona sich nun mit seinem Archiv nach Dresden orientiert, ist für Berlin trotz aller zur Schau getragenen Nonchalance ein herber Verlust. Der ambitionierte Sammler hat über Jahrzehnte alles zur künstlerischen Avantgarde zusammengetragen, was er finden konnte. Die schiere Masse seiner Erwerbungen – erst kürzlich sollen 500 Umzugskartons aus einem Nachlass in Südamerika dazugekommen sein – stellt allerdings jeden potentiellen Beschenkten vor gewisse Herausforderungen.
Dresden, bislang eher für die alten Meister als für künstlerische Avantgarde bekannt, will sich ihnen offenbar stellen. Eine Chance für die Stadt, ihr Image zu verändern, ein Prozess, der bereits mit der personellen Neuaufstellung in den Staatlichen Kunstsammlungen begonnen wurde.
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