"Verlorenes wiedergewinnen"

Von Heinz-Jörg Graf · 06.09.2013
Gemälde, die dem Kunstgeschmack der Nationalsozialisten nicht entsprachen, wurden in den 30er-Jahren aus deutschen Museen entfernt. Damit gingen auch Informationen über die Bilder verloren. Die Forschungsstelle "Entartete Kunst" in Berlin identifiziert seit zehn Jahren von Nazis verfemte Werke - mit beachtlichem Erfolg.
Sage und schreibe 21.000 Gemälde entfernten die Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren aus deutschen Museen. Es waren Werke der modernen Kunst. Bilder von Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde oder Otto Dix. Der braune Kunstgeschmack gruselte sich vor ihnen und erklärte sie kurzerhand zur "entarteten Kunst."

Meike Hoffmann, Kunsthistorikerin und Leiterin der Forschungsstelle für "Entartete Kunst" in Berlin:

"Es ist ja so, dass mit vielen Themen provoziert wurde: mit sozialkritischen, mit sexuellen Themen. Genau da haben die Nationalsozialisten angesetzt. Sie waren der Meinung, dass Kunst verherrlichen muss. Es sollten die schönen Dinge des Deutschtums dargestellt werden: starke Männer, fruchtbare Frauen, das schöne deutsche Land und alles, was das nicht gewährleisten konnte, wurde als 'entartet' bezeichnet."

Die moderne Kunst verschwand aus den Ausstellungsräumen. Dabei gingen Informationen über die Herkunft vieler beschlagnahmter Bilder verloren. Hier setzt die Arbeit der Forschungsstelle für "Entartete Kunst" ein. Mit Hilfe alter Beschlagnahmelisten und teilweise großem Rechercheaufwand versucht sie, Gemälde zu identifizieren, die der Nazi-Wut zum Opfer fielen.

Der Erfolg kann sich sehen lassen. Eine Datenbank gibt inzwischen Auskunft über zehntausend Kunstwerke, die damals verteufelt wurden. Die Datenbank wird reichlich angeklickt.

"Hauptnutzer sind die Provenienzforscher: Museumsmitarbeiter, die ihre ehemaligen Sammlungen rekonstruieren und untersuchen, welche Werke beschlagnahmt worden sind. Aber auch Sammler, merken wir immer wieder - wer etwas erwerben will, vorher sich erkundigt, woher stammt das Werk überhaupt. Auch vor jeder Auktion haben wir Anfragen von Auktionshäusern."

Das Symposium, das zum rundem Geburtstag der Berliner Forschungsstelle jetzt am Kunsthistorischen Institut stattfand, zog reges Interesse auf sich. Über 100 Museumsleute, Wissenschaftler und Studenten folgten mit gespanntem Interesse den Vorträgen. Zum Beispiel einem Bericht über ein Liebermann-Bild, das im ehemaligen "Schlesischen Museum der bildenden Künste in Breslau" hing. Das Museum hatte sich 1943 dieses Gemäldes durch Verkauf entledigt. Begründung des damaligen Direktors: Wertlos und entbehrlich sei der Liebermann, einfach unnötiger Ballast.

Das Symposium legte nicht nur eine Arbeitsbilanz der letzten zehn Jahre vor, sondern zeigte auch Perspektiven auf. So beschäftigt sich ein neues Forschungsprojekt mit der Rolle von Kunsthändlern vor und nach 1945. Dass man diesen Fragen heute überhaupt nachgehen kann, verdanken die Wissenschaftler vor allem den Enkeln der Kunsthändler.

"Die Enkelgeneration, die wird jetzt neugierig, die möchte wissen, was ist denn da passiert. Mein Vater, meine Mutter haben damals nie mit mir über diese Dinge geredet, jetzt möchte ich die gerne erforschen lassen. Es ist auch häufig so, dass wir von diesen schriftlichen Nachlässen kaum wussten und wir sehen jetzt: Es gibt sie doch. Sie wurden vorher einfach nicht hervorgeholt."

In den letzten zehn Jahren hat die Forschungsstelle für "Entartete Kunst" Dokumente ausgewertet, Fakten gesammelt und Werke identifiziert. Sozusagen Grundlagenforschung betrieben. Künftig will sie verstärkt auch geistigen Prozessen nachgehen. Im "Dritten Reich" war moderne Kunst öffentlich nicht anschaubar. Ihre Wahrnehmung und Rezeption hat darunter bis heute gelitten.

"Was ist da für ein Bruch entstanden? Wie gehen wir heute mit der Moderne um? Was lebt fort? Diese ganz subtilen Dinge, die zu recherchieren. Hier vielleicht auch einen Anschluss zu schaffen, also nicht nur Verlorenes wiederentdecken, sondern wiedergewinnen. Dass wir die geistige Ebene wieder gewinnen, mit der wir damals gebrochen haben."
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