Verloren in der Kalauerschlacht

Von Jörn Florian Fuchs · 11.12.2009
In ihrem Roman "Das Zeugenhaus" beschreibt die Schriftstellerin Christiane Kohl das Zusammentreffen von Nazis und ehemaligen KZ-Häftlingen während der Nürnberger Prozesse. Der österreichische Schriftsteller Franzobel hat aus diesem Material nun ein Theaterstück geschrieben.
Es klingt wie eine schöne Erfindung des seligen George Tabori: Während der Nürnberger Prozesse wohnen plötzlich alte Nazis und Überlebende unmittelbar Tür an Tür. Sie alle warten auf ihre Vorladung als Zeugen der Anklage beziehungsweise Verteidigung. Nette Idee? Nein, Realität! 1945 trafen zum Beispiel Gestapochef Rudolf Diels oder Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann auf KZ-Häftlinge. Sie wohnten in zwei benachbarten Villen. Was sich da im beschaulichen Nürnberger Stadtteil Erlenstegen so alles abspielte, hat die Schriftstellerin Christiane Kohl aufwändig recherchiert und 2005 in Romanform veröffentlicht.

Fürs Staatstheater Nürnberg hat nun der österreichische Theaterzampano Franzobel aus Kohls Material eine dreistündige Kalauerrevue kreiert, von der sich die Autorin kurz vor der Premiere medienwirksam distanzierte. Ganz unrecht hat sie nicht, denn Franzobel dampft sämtliche Figuren zu blassen Textaufsagekaspern ein. Statt Psychologie gibt’s jede Menge Verbalinjurien und allerlei morbide Späße. Da echauffiert sich die Gräfin von Farben-Schatull (welch ein amüsanter Namensdreher …) über die Zustände im Allgemeinen und fehlende Pelzmäntel im Speziellen, während vormalige Hardcore-Nazis über Hitlers Milchallergie schwadronieren ("Das Gedärm des Führers war die reinste Käserei!").

Währenddessen erklärt sich Gestapo-Mann Rudolf Diels zum Widerstandskämpfer und trägt dazu eine schicke Hannibal-Lecter-Maske. Zwei psychisch äußerst angeschlagene und auch ein wenig verschlagene Ex-Häftlinge irren derweil in Bettlaken herum und werden zu Schreckgespenstern im allerplattesten Sinne. Und dann beginnt schließlich die ganz große Kalauerkiste zu rattern: Hitler hat Gattin Eva natürlich nur wegen ihres Nachnamens geehelicht, Starfotograf Hoffmann nutzte für sich immer nur die "Kunst der Stunde" etc. pp.

Das Nürnberger Ensemble um Michael Hochstrasser, Pius Maria Cüppers und Rebecca Kirchmann spielt das alles zwar ausnahmslos glänzend und manchmal mit erfreulichem Hang zur Selbstironie, doch geraten die Akteure im Laufe des Abends immer tiefer in Franzobels (w)irren Texttaifun. Nur ganz am Ende gelingen Regisseur Kay Neumann einige dichtere Bilder und Momente, wenn sich etwa ein gescheiterter Hitlerattentäter nachträglich-stellvertretend in die Luft jagt.

Im ganzen ist dieses "Spiel vom Zeugen" jedoch eine aufgeblasene, infantile Nullnummer.