Verlierer der Wohlstandsgesellschaft

Von Jörg Taszman · 16.10.2007
Der einstige Dokumentarfilmer Ulrich Seidl polarisiert mit seinen Filmen vor allem in seiner Heimat Österreich. Fern der Glitzerwelten des Konsums zeigt er in seinem zweiten Spielfilm "Import/Export" österreichische Männer, die in den Osten gehen, und eine ukrainische Frau, die im Westen landet. Dabei geht es um materielle wie geistige Armut.
Olga stapft durch den Schnee einer ukrainischen Kleinstadt. Die hübsche, junge, blonde Frau und alleinstehende Mutter arbeitet als Krankenschwester im örtlichen Krankenhaus. Der viel zu geringe Lohn wird ihr nur mit Monaten Verspätung und nie voll ausgezahlt. Einmal besucht sie eine Freundin, die als Camgirl im Internet die harten, sexuellen Fantasien österreichischer Männer befriedigt. Parallel dazu zeigt Ulrich Seidl einen klassischen Loser in der Wohlstandsgesellschaft im Westen. Pauli lässt sich als harter Kerl für eine Security Firma ausbilden. Ganz bewusst gleichen sich bei Ulrich Seidl der Osten und der Westen mehr, als man es so gerne wahrhaben möchte.

Ulrich Seidl: " Die Geschichte des Films beschreibt eben zwei Menschen, die auf der Suche sind nicht nur nach Arbeit, sondern auf der Suche sind nach einer Existenzberechtigung und auf der Suche sind vielleicht nach einem würdigen Dasein. Insofern, glaub ich, gleichen sich auf der einen Seite die Welten ein bisschen, nach dem äußeren Erscheinungsbild immer mehr, weil die Grenzen noch anders verlaufen. Die Grenzen sind gesellschaftlicher Natur. Und ich lasse diese beiden Menschen auch durch verschiedene Welten reisen. "

Olga nimmt eine Chance wahr, in Österreich als Haus- und Kindermädchen zu arbeiten. Pauli wird von einer ausländischen Gang erniedrigt. Er liebt Kampfsport und Hunde, ist hoch verschuldet und hat bisher noch jeden Job verloren. Als er mit einem Kampfhund bei seiner Freundin auftaucht, ist es auch aus mit ihr.

Szene aus dem Film:
" - Komm rein. Ich nehm an die Leine Christina. Ich habe ihn an der Leine, okay. Hey wieso scheißt du dich so ein? Der macht doch nichts!
- Das ist doch kein Kätzchen! Bitte geh weg! Bitte geh weg von mir!
- Der tut dir nichts!
- Ist mir scheißegal! Du schleichst dich jetzt aus meiner Wohnung. Es reicht allein schon, dass er hier drinnen war. Ich bin tolerant, aber...
- Du bist n Scheiß tolerant, du hast nur Angst vor dem Hund!
- Ich hab Angst vor ihm. Verstehst du das nicht? Und jetzt geh! Bitte Paul. Verstehst du, wenn du einen Hund dir anschaffst, dann ist es aus. Also wenn du dir einen Hund kaufst, ist es aus. Kannst dir aussuchen. Hund oder ich?"

Fast dokumentarisch beginnt Ulrich Seidls neuer Film, dem man nur langsam anmerkt, dass es sich hier um einen Spielfilm mit Darstellern handelt, von denen einige keine klassischen Schauspieler sind. Ganz bewusst entschied sich der Filmemacher für eine ukrainische Haupdarstellerin, die keine Filmerfahrung hatte, eigentlich Krankenschwester ist und vor Beginn der Dreharbeiten noch nie im Westen war. Ulrich Seidl interessiert es nicht, ob er mit Profis oder Amateuren arbeitet. Es gehört zu seiner Methode, dass die Darsteller sich und ihre Lebenserfahrungen für die Entwicklung der Rollen mit einbringen. Auch die Grenzen zwischen Inszeniertem und Dokumentarischem sind bei ihm fließend.

Seidl: " Ich habe mich in all meinen Filmen sowohl mit dem Dokumentarischen als auch mit dem Fiktiven auseinandergesetzt und viele Filme, die ich früher gemacht habe, waren auch eine Mischung. Sie waren vielleicht mehr Dokumentarfilme, aber der Anteil des Fiktionalen wurde auch immer mehr und immer größer. Und irgendwann bin ich mit meinem System an eine Grenze angelangt, wo ich gesagt habe, also, das ist jetzt zu perfekt. Ich möchte jetzt sozusagen ganz in den Spielfilm gehen und habe für diese Methode, Spielfilme zu machen, aber sozusagen meine Erfahrungen mit hineingenommen als Dokumentarfilmregisseur und versuche, auch bei den Spielfilmen, das was ich zeige, möglichst authentisch zu zeigen. "

Auch wenn Ulrich Seidl eine ganz singuläre Stellung im österreichischen wie europäischen Film einnimmt und sich selbst als "Einzelkämpfer" bezeichnet, so hat er sich diesmal mit dem amerikanischen Kameramann Ed Lachman zusammengetan, der schon mit Larry Clark zusammengearbeitet hat und auch selber Regisseur ist. Gerade weil er deshalb auch viel hinterfragte, sieht Ulrich Seidl diese Zusammenarbeit als sehr profitabel an. Bei aller Härte und einem Hang zur Ausweglosigkeit führt Ulrich Seidl seine Figuren nie vor. Er ist kein Misanthrop und der etwas eigentümliche, trockene Humor,den Österreicher gerne pflegen, spielt in seinen Filmen durchaus eine Rolle.

Seidl: " Also, Humor ist mir immer wichtig für jeden Film. Und es ist nicht so, dass ich für einen Film es mehr dosiere und für den anderen weniger, weil ich ja auch nicht auf Pointen hin schreibe oder arbeite. Bei mir ist es ja so, dass bei bestimmten Szenen jemand im Publikum lacht und möglicherweise passiert es dann, dass sein Nachbar sich drüber ärgert, dass gelacht wird, weil er findet, diese Szene ist nicht zum Lachen. Das heißt, es wird nicht bewusst initiiert, wo darf oder wo soll der Zuschauer lachen, sondern es ist immer so eine Gratwanderung zwischen dem Lachen und dem Weinen. "

Bis auf sein Spielfilmdebüt "Hundstage" sind die Filme des Österreichers bisher im Kino nie sonderlich erfolgreich gelaufen und gerade im großen Deutschland tut man sich mit österreichischen Filmen und dem speziellen Humor und Wiener Schmäh oft sehr schwer. Immerhin wollten sehr viele Kinobesitzer "Import-Export" auch spielen, der mit über 30 Kopien gestartet wird. Hoffentlich gibt es dann auch genug neugierige Zuschauer, die sich im Kino jenseits des gepflegten, gutbürgerlichen Autorenkinos zu Hause fühlen.