Verliebt, verlobt, verheiratet
Vormittags sitzt Nurol Yel in einem Integrationskurs, abends arbeitet er als Koch in einem Restaurant. Seine Frau, eine Deutsch-Türkin, wegen der er nach Köln kam, sieht er fast nur am Wochenende. Den 26-Jährigen plagt Heimweh und er fragt sich, warum er sich den ganzen Stress eigentlich antut.
Mit eiligen Schritten geht Nurol Yel durch das Foyer der DITIB-Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Vorbei an einer Gruppe Türken, die vor dem Büro des Moscheevorstands warten. Nurol ist zu spät dran. Es ist 9.40 Uhr, der Integrationskurs läuft schon seit zehn Minuten. Nurol, in Jeans und schwarzer Winterjacke, öffnet vorsichtig die Tür zu dem kahlen, grau gestrichenen Klassenzimmer. Er nickt der Lehrerin entschuldigend zu und geht zu seinem Platz in der letzten Reihe.
„Césai, was haben Sie gestern gemacht?“
„Ich habe gestern Markise montiert.“
Die Lehrerin Afife Üstenak geht von Tisch zu Tisch und spricht ihre zwölf Schüler nacheinander an. Einige sind Türken wie Nurol, aber auch eine Inderin, eine Lettin und eine Iranerin sind darunter.
„Nurol, was haben Sie gestern gemacht?“
„Ich…habe äh zu Hause schlafen.“
Der 26-Jährige streicht sich verlegen über seine kurzen schwarzen Locken. Beim Sprechen blickt er schüchtern auf die Tischplatte – sein schlechtes Deutsch ist ihm peinlich, die Sprache ist ihm fremd. Seit Mai ist der gelernte Koch hier – der Liebe wegen. Seine Frau ist Deutsch-Türkin, eine erfolgreiche Webdesignerin aus Köln. Die beiden kennen sich schon seit vielen Jahren, auf einer Hochzeitsfeier in der Türkei funkte es. Irgendwann war klar: Sie wollen zusammen leben. In Ankara oder Köln? Die Entscheidung fiel auf Köln – wegen des guten Jobs seiner Frau. Nurol kannte bis dahin Deutschland nur aus Erzählungen.
„Ich hatte eigentlich keine richtige Vorstellung von Deutschland. Meine Frau sagte mir, dass alle sehr diszipliniert sind und viel arbeiten. Also habe ich mir gedacht, dass ich dann wohl auch viel arbeiten müsste, wenn ich herkomme.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Nurol packt seine Stifte aus: drei Kugelschreiber, vier Textmarker, ein Bleistift mit Radiergummi. Akribisch notiert er alle Vokabeln, die die Lehrerin an die Tafel schreibt.
„Anfangs habe ich den ganzen Tag zu Hause gesessen und darauf gewartet, dass meine Frau nach Hause kommt. Ich konnte kein Wort Deutsch. Seit ich in den Kurs gehe, fühle ich mich besser. Ich will schließlich hier leben und muss deshalb die Sprache lernen.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Nurol schlägt das Deutschbuch auf – Lektion 20 – Jobsuche.
„Vidal – nein, Entschuldigung, Sie haben schon gelesen. Nurol, lesen Sie mal die zweite Aussage!“
„Ich möchte vormittags arbeiten. Sie verdient Netto 5…nein 60…615…“
„Nein, 650 Euro.“
„650 Euro.“
Nurol verzieht das Gesicht. Insgesamt 600 Stunden hat ein Integrationskurs, mehr als die Hälfte ist rum. Wirklich verständigen kann er sich noch nicht. Nach einem Jahr werden seine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis überprüft, auch ein Sprachtest steht an. Doch außerhalb des Kurses hat er keine Gelegenheit, Deutsch zu sprechen. Mit seiner Frau spricht er Türkisch, deutsche Bekannte haben sie nicht.
„Das Problem in Köln ist: Man kann hier durchaus ohne Deutsch zu Recht kommen. Es gibt überall türkische Geschäfte, türkische Döner-Läden. Es gibt hier viele Türken, die noch nicht mal wissen, wie man auf Deutsch ‚Hallo’ sagt. Aber ich finde das nicht gut. Die schotten sich total ab und nehmen die Deutschen gar nicht war.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Die nächste Aufgabe ist die Erstellung eines tabellarischen Lebenslaufs. Nurol grinst, schüttelt den Kopf – diese Deutschen, sagt er.
„Die Deutschen haben wirklich für alles ganz klare Regeln, für die Jobsuche, aber auch für Hunde. Außerdem habe ich mich über die ganzen Fahrräder gewundert. Man fährt hier sogar damit zur Arbeit. Sogar Senioren trauen sich hier zu, Rad zu fahren. Die älteren Leute hier scheinen extrem fit zu sein. Sie strahlen viel Lebensfreude aus. Das finde ich toll.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Gegen Mittag gibt es eine kurze Pause. Nurol sitzt mit seinen Mitschülern Shavan, Cesai und Marina in der Cafeteria. Sie versuchen, ein wenig Deutsch zu reden und trinken süßen türkischen Tee. Bis 14 Uhr geht der Kurs. Danach zieht sich Nurol zu Hause um und geht zur Arbeit.
Auf dem Herd kocht bereits die Milch für den Nachtisch. Nurol, jetzt in weißem Küchenkittel, steht am Herd und rührt Joghurt. Das Restaurant „Konak“ in der Kölner Innenstadt gehört einem Bekannten. Hier konnte Nurol sofort anfangen, als er nach Köln kam. Nurol hackt Knoblauch, gibt ihn in die Pfanne, dann legt er einen Hackfleischspieß auf den Grill, reibt sich die Hände.
„Ich habe schon in der Türkei gern als Koch gearbeitet. Ich mag meinen Beruf, weil ich selber gern esse. Besonders gern mag ich weiße Bohnen nach dem Rezept meiner Oma.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Nurols Chef schneidet Dönerfleisch in dünnen Streifen. Nurol schüttet klein gehacktes Gemüse in die Pfanne, nimmt den Spieß vom Grill, gibt die ersten beiden Essen raus an die Kellnerin.
„Adana, Iskender, Sebze, Pilaw – okay!“
Zeit zum Durchatmen bleibt dem Küchenteam nicht. Nurol schneidet das Fleisch für die nächste Bestellung, gibt neues Gemüse in die Pfanne. Die letzten Gäste gehen meist erst kurz vor Mitternacht. Nurol gähnt jetzt schon. Ausschlafen kann er nicht, morgen früh sitzt er wieder im Integrationskurs. Seine Frau arbeitet tagsüber, die beiden sehen sich eigentlich nur am Wochenende.
„Man gewöhnt sich daran, aber manchmal wache ich morgens auf, sehe aus dem Fenster und denke: Wo bin ich hier gelandet, warum tue ich mir den ganzen Stress an? Ich habe natürlich Heimweh. Manchmal spüre ich einen unheimlichen Druck, weil ich meine Eltern vermisse. Außerdem mag ich das Klima hier nicht, es ist einfach zu kalt. Dann frage ich mich, wie es wäre, in die Türkei zurückzugehen.“
„Césai, was haben Sie gestern gemacht?“
„Ich habe gestern Markise montiert.“
Die Lehrerin Afife Üstenak geht von Tisch zu Tisch und spricht ihre zwölf Schüler nacheinander an. Einige sind Türken wie Nurol, aber auch eine Inderin, eine Lettin und eine Iranerin sind darunter.
„Nurol, was haben Sie gestern gemacht?“
„Ich…habe äh zu Hause schlafen.“
Der 26-Jährige streicht sich verlegen über seine kurzen schwarzen Locken. Beim Sprechen blickt er schüchtern auf die Tischplatte – sein schlechtes Deutsch ist ihm peinlich, die Sprache ist ihm fremd. Seit Mai ist der gelernte Koch hier – der Liebe wegen. Seine Frau ist Deutsch-Türkin, eine erfolgreiche Webdesignerin aus Köln. Die beiden kennen sich schon seit vielen Jahren, auf einer Hochzeitsfeier in der Türkei funkte es. Irgendwann war klar: Sie wollen zusammen leben. In Ankara oder Köln? Die Entscheidung fiel auf Köln – wegen des guten Jobs seiner Frau. Nurol kannte bis dahin Deutschland nur aus Erzählungen.
„Ich hatte eigentlich keine richtige Vorstellung von Deutschland. Meine Frau sagte mir, dass alle sehr diszipliniert sind und viel arbeiten. Also habe ich mir gedacht, dass ich dann wohl auch viel arbeiten müsste, wenn ich herkomme.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Nurol packt seine Stifte aus: drei Kugelschreiber, vier Textmarker, ein Bleistift mit Radiergummi. Akribisch notiert er alle Vokabeln, die die Lehrerin an die Tafel schreibt.
„Anfangs habe ich den ganzen Tag zu Hause gesessen und darauf gewartet, dass meine Frau nach Hause kommt. Ich konnte kein Wort Deutsch. Seit ich in den Kurs gehe, fühle ich mich besser. Ich will schließlich hier leben und muss deshalb die Sprache lernen.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Nurol schlägt das Deutschbuch auf – Lektion 20 – Jobsuche.
„Vidal – nein, Entschuldigung, Sie haben schon gelesen. Nurol, lesen Sie mal die zweite Aussage!“
„Ich möchte vormittags arbeiten. Sie verdient Netto 5…nein 60…615…“
„Nein, 650 Euro.“
„650 Euro.“
Nurol verzieht das Gesicht. Insgesamt 600 Stunden hat ein Integrationskurs, mehr als die Hälfte ist rum. Wirklich verständigen kann er sich noch nicht. Nach einem Jahr werden seine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis überprüft, auch ein Sprachtest steht an. Doch außerhalb des Kurses hat er keine Gelegenheit, Deutsch zu sprechen. Mit seiner Frau spricht er Türkisch, deutsche Bekannte haben sie nicht.
„Das Problem in Köln ist: Man kann hier durchaus ohne Deutsch zu Recht kommen. Es gibt überall türkische Geschäfte, türkische Döner-Läden. Es gibt hier viele Türken, die noch nicht mal wissen, wie man auf Deutsch ‚Hallo’ sagt. Aber ich finde das nicht gut. Die schotten sich total ab und nehmen die Deutschen gar nicht war.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Die nächste Aufgabe ist die Erstellung eines tabellarischen Lebenslaufs. Nurol grinst, schüttelt den Kopf – diese Deutschen, sagt er.
„Die Deutschen haben wirklich für alles ganz klare Regeln, für die Jobsuche, aber auch für Hunde. Außerdem habe ich mich über die ganzen Fahrräder gewundert. Man fährt hier sogar damit zur Arbeit. Sogar Senioren trauen sich hier zu, Rad zu fahren. Die älteren Leute hier scheinen extrem fit zu sein. Sie strahlen viel Lebensfreude aus. Das finde ich toll.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Gegen Mittag gibt es eine kurze Pause. Nurol sitzt mit seinen Mitschülern Shavan, Cesai und Marina in der Cafeteria. Sie versuchen, ein wenig Deutsch zu reden und trinken süßen türkischen Tee. Bis 14 Uhr geht der Kurs. Danach zieht sich Nurol zu Hause um und geht zur Arbeit.
Auf dem Herd kocht bereits die Milch für den Nachtisch. Nurol, jetzt in weißem Küchenkittel, steht am Herd und rührt Joghurt. Das Restaurant „Konak“ in der Kölner Innenstadt gehört einem Bekannten. Hier konnte Nurol sofort anfangen, als er nach Köln kam. Nurol hackt Knoblauch, gibt ihn in die Pfanne, dann legt er einen Hackfleischspieß auf den Grill, reibt sich die Hände.
„Ich habe schon in der Türkei gern als Koch gearbeitet. Ich mag meinen Beruf, weil ich selber gern esse. Besonders gern mag ich weiße Bohnen nach dem Rezept meiner Oma.“ (Übersetzung aus dem Türkischen)
Nurols Chef schneidet Dönerfleisch in dünnen Streifen. Nurol schüttet klein gehacktes Gemüse in die Pfanne, nimmt den Spieß vom Grill, gibt die ersten beiden Essen raus an die Kellnerin.
„Adana, Iskender, Sebze, Pilaw – okay!“
Zeit zum Durchatmen bleibt dem Küchenteam nicht. Nurol schneidet das Fleisch für die nächste Bestellung, gibt neues Gemüse in die Pfanne. Die letzten Gäste gehen meist erst kurz vor Mitternacht. Nurol gähnt jetzt schon. Ausschlafen kann er nicht, morgen früh sitzt er wieder im Integrationskurs. Seine Frau arbeitet tagsüber, die beiden sehen sich eigentlich nur am Wochenende.
„Man gewöhnt sich daran, aber manchmal wache ich morgens auf, sehe aus dem Fenster und denke: Wo bin ich hier gelandet, warum tue ich mir den ganzen Stress an? Ich habe natürlich Heimweh. Manchmal spüre ich einen unheimlichen Druck, weil ich meine Eltern vermisse. Außerdem mag ich das Klima hier nicht, es ist einfach zu kalt. Dann frage ich mich, wie es wäre, in die Türkei zurückzugehen.“