Verkrampft lustig

Von Christian Gampert |
Wann erreicht Opel – und damit die Finanzkrise – das Theater, ist die zentrale Frage um die René Polleschs Stück „Wenn die Schauspieler mal einen freien Abend haben wollen, übernimmt Hedley Lamarr“ kreist. Statt die politische Relevanz einzulösen, treibt der Regisseur seine Darsteller wie Harald Schmidt zu immer neuen Mätzchen an.
Gute Idee, Harald Schmidt mit René Pollesch zusammenzuspannen. Denn obwohl Schmidts „Elvis“-Abend und seine gewöhnungsbedürftige „Hamlet“-Variante Stuttgarter Publikumserfolge waren, hat der Entertainer am Staatstheater bislang nur besseren Flachsinn abgeliefert – also das, was er auch im Fernsehen tut.

René Pollesch dagegen meint es bitter ernst. Zwar kommen seine Stücke krakeelend und bunt daher, und bei Polleschs manischem Stücke-Output ist naturgemäß jede Menge Nonsense dabei; aber der Wunsch, ein ganz anderes, authentischeres Theater zu machen, die Schauspieler als Individuen ernst zu nehmen und die üblichen Fiktionalisierungen durch den Kakao zu ziehen, die kapitalistische Wirtschaftsform als Ganze anzugreifen: all das hat eine andere Ernsthaftigkeit als Schmidts massenkompatible Blödelshows.

Der Pollesch-Schauspieler Harald Schmidt agiert nun in Stuttgart erstaunlich gruppendienlich, er drängt sich nicht vor, hält als verschrullter Professor ein paar seltsame Ansprachen und reiht sich dann wieder ein in den Chor (das ist das neue dramaturgische Element, das Pollesch einführt). Pollesch dagegen ist diesmal verkrampft lustig, reiht jede Menge Trash, Filmzitate, Verwechslungs-Komödie aneinander und stellt im Grunde den ganzen Abend lang nur eine Frage: Wann erreicht Opel (und damit die Finanzkrise) das Theater? Wie können wir auf dem Theater davon reden?

Natürlich wird diese Frage (von Schmidt!) schon wieder so ironisch vorgebracht, dass man sich rausreden kann: alles gar nicht so gemeint. Mit einem kleinen Versprecher wird aus „Opel“ „Oper“ – Gelegenheit für Pollesch, Henry Purcells Frost-Arie einzuspielen und den Schauspielern einen Aussprache-Trainer (Christian Brey) auf den Hals zu hetzen.

Und um die Schauspieler soll’s ja gehen: „Wenn die Schauspieler mal einen freien Abend haben wollen, übernimmt Hedley Lamarr“, so der längliche Titel. Hedley Lamarr ist ein Namens-Klon von Hedy Lamarr, der österreichischen Hollywood-Diva der 1940-iger Jahre – und die war zwar unglaublich schön, aber ebenso launisch auf den Proben. Auch mit Hedley Lamarr, ihrem männlichen Gegenstück, will angeblich kein (Theater-) Regisseur mehr arbeiten. Hedley dagegen bietet seinen Kollegen an, das große Haus mit Solo-Abenden zu bespielen, auf dass der Rest des Ensembles mal Zeit fürs Privatleben habe.

Von Pollesch hätte man nun erwartet, dass er Harald Schmidt als Hedley, als Pausenclown besetzt – sofern man bei Pollesch überhaupt noch von Rollen-Umrissen sprechen kann. Er tut aber etwas viel Intelligenteres: Hedley Lamarr ist ein Chor, die Gemeinschaft der Loser. Der Chor übernimmt die Stelle von uns allen, potentiell Ausgemusterten, Arbeitslosen, Versagern, Ersatzschauspielern, und blödelt sich durch den Abend. Und dieser Chor, der in Stuttgart sonst von Volker Lösch in belehrender Absicht benutzt wird, mutiert bei Pollesch nun zum karikaturistischen Element: Wir sprechen Müll, aber mit einer Zunge.

Denn die Schauspieler wissen zum Teil gar nicht, dass sie einen freien Abend haben, und spielen diverse Texte weiter. So stoßen mehrere Handlungsebenen zusammen: der Hedley-Chor, ein futurologischer Kongress (nach Stanislaw Lem), ein angeblich stattfindendes „Bankett der befreiten Literaten“ und allerlei Unsinn mehr. Ort der Handlung ist ein Hotel, von Janina Audick als monströse, mehrstöckige Puppenstube auf die große Bühne gebaut; man kann in alle Zimmer gleichzeitig sehen, und wie bei Pollesch üblich, werden alle Zimmerschlachten und Jagden durch die Flure von einem Videoteam abgefilmt, damit die mediale Verdinglichung dann oben am Monitor gleich mitbetrachtet werden kann.

Worum geht’s überhaupt?, fragen die Abonnenten. Also: um Menschen im Hotel, um Filmmusik und Film-Zitate. Um die „Abschaffung des Regisseurs“, um Charles Darwin, Schleimpilze, Flechten, Hecken aus Pappmaché, trashige Hirsch-Büsten. Pollesch argumentiert gegen eindeutige soziale und dramaturgische Konstruktionen – und benötigt dann doch den ganzen Bildungsschrott (auch Filmgeschichte ist Bildungsschrott), um überhaupt etwas halbwegs Unterhaltsames zustande zu bringen.

Denn es ist nicht abendfüllend, den Schauspielern bei der Diskussion ihrer realen Sorgen zuzuhören – ob jemand für seine Arbeitszeit einen Babysitter hat oder nicht, möchte man auf der Bühne nicht wirklich erörtert wissen. Pollesch tippt solche Themen immer wieder ironisch an – und rettet sich dann in die Karikatur von Filmklassikern, weil er etwas bieten muss. Die krabbelnden Tanzparodien, die unter einer Dusche stattfinden, sind allein von der Kamera-Position her eindeutige „Psycho“-Verschnitte.

Wie immer begegnen uns bei Pollesch verwirrte, hysterisierte Menschlein, die auf einer Meta-Meta-Ebene Entfremdungszusammenhänge beklagen. Allerdings stottert der Motor des Textproduzenten Pollesch mittlerweile beträchtlich, und das Überraschende ist: Die Aggression kommt ihm immer mehr abhanden. Wo früher Beschimpfungsorgien gegen den Kapitalismus und den Warencharakter der Liebe und des Theaters an der Tagesordnung waren, erhebt sich jetzt die schüchterne, die einzig wichtige Frage: Wann erreicht Opel das Theater?

Auf Deutsch: wie kann das Theater wieder gesellschaftlich relevant werden? „Alle wollen was über Opel machen“, „aber keiner kann’s“. Auch Pollesch nicht. Er liefert hier einen chaotischen, zahnlosen Abend, eine Aneinanderreihung von Ideen und Aufschreibseln, eine lärmiges, aber letztlich verlegenes Konstrukt. Für eine bestimmte In-Group von Theaterintellektuellen so zwischen 30 und 40 ist Pollesch immer noch Kult; ob er selber an seine Art von Theater noch glaubt, steht in den Sternen. Einfach mal weitermachen, solange die Pollesch-Mode noch anhält ...