Verkommene Medienwelt

30.09.2008
In seinem dritten Roman "Willkommen neue Träume" ist Peter Niemanns Gesellschaftskritik vor allem auch eine Medienkritik. Die manipulativen Strategien der Medienkonzerne wie die vielfältigen Vernetzungen zwischen Freizeit, Konsum und Selbstsuche stehen bei ihm immer im Zentrum. Dabei ist er auf der Höhe der zeitgenössischen Diskurstheorien, von F. A. Kittlers Mediengermanistik bis hin zu aktuellen Computer- und Popsprachen.
Der 1961 in Niederbayern geborene Norbert Niemann hat bereits mit seinen beiden Romanen "Wie man’s nimmt" 1998 und "Schule der Gewalt" 2001 große Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Er stellt sich in die Tradition, ein gesellschaftliches Panorama erzählerisch zu erfassen, soziale Brennpunkte aufzuspüren, die wunden Punkte des allgemeinen Einverständnisses zu umkreisen.

Auch in seinem dritten Roman "Willkommen neue Träume" ist seine Gesellschaftskritik vor allem auch eine Medienkritik. Die manipulativen Strategien der Medienkonzerne wie die vielfältigen Vernetzungen zwischen Freizeit, Konsum und Selbstsuche stehen bei Niemann immer im Zentrum. Dabei ist er auf der Höhe der zeitgenössischen Diskurstheorien, von F.A. Kittlers Mediengermanistik bis hin zu aktuellen Computer- und Popsprachen.

Der "Held" seines Romans heißt Asger Weidenfeldt, ist erfolgreicher Fernsehmoderator in Berlin und dabei immer noch recht jung. Die Reise von Berlin in den Süden, die am Beginn des Romans steht, ist eine erzählerisch breit angelegte Bewusstseinsreise von der Metropole in die Provinz. Dort wartet seine Mutter auf ihn, die für die Mediengeneration vor ihm steht, der Roman betreibt somit neben einer deutschen Familiengeschichtsschreibung auch Medienarchäologie: Clara Weidenfeldt wohnt in einem Dorf am Chiemsee und führt als mondäne Schauspielerin ein großes Haus. Sie wirkt wie eine Grande Dame aus dem bundesdeutschen Film der Sechziger- und Siebzigerjahre. Man stellt sie sich, der Landstrich legt es nahe, unwillkürlich in großen Szenen von Fassbinder-Filmen vor.

Die Medienwelt ist aber nur eine Seite des Romans, es öffnet sich am Chiemsee ein Panoptikum von Figuren, die sämtliche Schattierungen der Ökonomisierung und Medialisierung des gegenwärtigen Lebens wiedergeben. Die alternde Diva Weidenfeldt ist mit Bürgermeister Stegmüller liiert, und so bietet der Roman Einblicke in kommunalpolitische Diskussionen, wie sie momentan selten in einem literarischen Text verhandelt werden. Es geht um Infrastuktur, um Fragen des Tourismus und der wirtschaftlichen Weiterentwicklung, um geschäftliche Interessen und Verflechtungen mit der Politik, um Einfluss und Macht.

Niemann lässt alle Protagonisten auf einem großen Fest, das die Mutter Weidenfeldt zu Ehren ihres heimgekommenen Sohnes gibt, aufeinanderprallen, ein Show-Down, in dem hinter der jeweiligen Maske das wahre Gesicht der Personen zum Vorschein kommt. Das ist spannend, zeitdiagnostisch und entlarvend.

Die Sprache des Autors wirkt dabei manchmal dick aufgetragen, manchmal sind die Umrisse zu grob und die Flächen zu breit ausgemalt, und auch die theoretisierenden Gedankengänge und Aussagen der Figuren wirken gelegentlich bemüht. Doch "Willkommen neue Träume" ist auf jeden Fall ein großangelegter Zeitroman eines hochinteressanten, auf hohem Niveau reflektierenden und schreibenden Autors, der das Literarische an der Literatur ernst nimmt und gefällige Serviceleistungen ablehnt.

Rezensiert von Helmut Böttiger

Norbert Niemann: Willkommen neue Träume
Roman, Hanser Verlag, München, 600 Seiten, 24,90 Euro