Verkehrte Welt

Moderation: Klaus Pokatzky · 13.08.2012
Noch in den 80er-Jahren wurden die meisten Linkshänder im Kindesalter auf Rechts umgeschult. Das hat sich inzwischen geändert. Nachteile im Beruf gebe es dennoch, meint die Psychologin Johanna Barbara Sattler: Viele technische Geräte seien auf Rechtshänder ausgelegt.
Klaus Pokatzky: Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum! – Das hat Ernst Jandl gedichtet. Vor 37 Jahren, 1976, hat der Amerikaner Dean R. Campbell den 13. August zum Internationalen Linkshändlertag ausgerufen. Die Liste der Linkshänder ist lang und erlesen: Johann Wolfgang von Goethe, Albert Einstein, Leonardo da Vinci und Ludwig van Beethoven gehören dazu, Cäsar und Napoleon. Und von den Lebenden sind Paul McCartney von den Beatles, Microsoft-Gründer Bill Gates und US-Präsident Barack Obama zu nennen. Und auch unser Kollege Gregor Sander, und zwar ein umerzogener! (…)

Barbara Sattler begrüße ich nun am Telefon in München, Psychotherapeutin und Psychologin, Buchautorin und Linkshänderin! Guten Tag, Frau Sattler!

Johanna Barbara Sattler: Guten Tag!

Pokatzky: Frau Sattler, Sie haben eine Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder gegründet. Wie lange ist das denn in Deutschland Ost und Deutschland West so gewesen, dass Linkshänder zu Rechtshändern umgeschult wurden?

Sattler: Als wir angefangen haben, Mitte der 80er-Jahre, war es üblich, dass die meisten Kinder auf Rechts umgeschult wurden. Die nicht umgeschult wurden, das war eher die Ausnahme. Und das ging bis in die 90er-Jahre hinein und ich würde sagen, so in den letzten zehn Jahren ist es immer besser geworden.

Pokatzky: Also, heute passiert das gar nicht mehr?

Sattler: Das würde ich nicht sagen. Es gibt schon noch Eltern oder Familien, die ihr Kind umschulen, hin und wieder auch Lehrer. Aber es ist nicht mehr so, wie das früher war. Und es gibt auch Kinder, die sich selbst auf die rechte Hand umschulen durch das Modell- und Nachahmungsverhalten, weil sie meinen, das sei richtig und alle wären so, und versuchen das dann.

Pokatzky: Dass das von Schule aus so gemacht wurde, welche Idee steckte denn da dahinter? Wollte man jetzt Linkshändern das Leben in einer Welt von Rechtshändern erleichtern, wo ja doch wirklich alles, also so gut wie alle Gerätschaften für Rechtshänder gemacht sind?

Sattler: Das waren Begründungen. Die nächste Begründung war, dass man ja sonst die Tinte verwischen würde, oder früher hatte man ja noch diese Schiefertafeln und auch da haben die Kinder verwischt, wenn nicht eine gute Haltung eingenommen wurde. Das waren Begründungen so, dass man halt die Norm als rechts sah und alle darauf eingepeilt hat.

Pokatzky: Ja, aber heute haben wir ja digitale Gerätschaften, die auch im Grunde alle für Rechtshänder gemacht sind. Da würde dieses Argument ja im Grunde doch noch weiter zählen.

Sattler: Natürlich, natürlich. Und dieses Argument ist leider auch zum Teil oder wird zum Teil auch noch angewandt. Wir haben inzwischen auch eine Liste von Berufen erstellt und an Kurzinformationen zu Problemen in verschiedenen Berufen und Händigkeit. Also, da gibt es schon Berufe, die besonders schwierig sind, gerade die mit Geräten und mit höchst komplizierten Geräten, da wird häufig nicht auf Linkshänder geachtet.

Pokatzky: Also, in der digitalen Welt sozusagen, was es da alles an Geräten gibt?

Sattler: Ja, zum Beispiel auf der Intensivstation im Krankenhaus, wo ja wirklich viel, viele Geräte und Monitore sind, die sind meistens mit Rechts zu bedienen. Ansonsten ist Krankenschwester ein sehr guter Beruf, außer auf der Intensivstation.

Pokatzky: Mit welchen Fällen werden Sie denn so in Ihrer täglichen Arbeit in der Beratungsstelle konfrontiert? Ist das, was wir da eben von Gregor Sander gehört haben, so ein typisches Beispiel?

Sattler: Ja, solche Sachen haben wir auch immer wieder, auch in meiner, bei unseren Anfragen, dass auf der einen Seite Eltern mit linkshändigen Kindern oder mit Kindern, wo die Händigkeit nicht klar ist und abgeklärt werden soll. Und es gibt auch eine ganze Menge Erwachsene, die leidvolle Sachen erzählen, was passiert ist, und die zum Teil auch rückschulen wie der Herr Sander.

Pokatzky: In welchen Fällen sollten sich denn Linkshänder, die sich also haben umschulen lassen auf die rechte Hand, wieder zum Arbeiten mit der linken Hand entscheiden und dann eben noch mal umschulen lassen?

Sattler: Also, die Linkshänder … Das würde ich gerne noch mal ein bisschen differenzieren. Die Linkshänder lassen sich nicht umschulen auf Rechts, die werden umgeschult. Das ist etwas, was mit ihnen getan wird, oder sie tun es selber aus dem Modellverhalten …

Pokatzky: … um sich anzupassen, um nicht die Außenseiter zu sein …

Sattler: … genau. Und diese Frage der Rückschulung ist schon, die muss im individuellen Fall besprochen werden und abgeklärt werden in Richtung einer richtigen Händigkeitsabklärung. Und dann muss auch die ganze Fragestellung des Berufs oder beziehungsweise der Lebenssituation geklärt werden, ob es in ein Leben reinpasst, sich zurückzuschulen oder ob das für jemanden zu viel wird. Das ist ein Prozess, die Rückschulung, es dauert Zeit, es dauert ein, zwei Jahre, bis man so weit ist, dass man wirklich schnell und automatisiert mit der linken Hand wieder schreiben kann.

Pokatzky: Inwieweit hat sich denn die Situation der Linkshänder verbessert, seitdem wir jetzt nicht mehr obligatorisch in den Schulen sie zwingen, mit der rechten Hand zu schreiben?

Sattler: Die Situation hat sich um einiges verbessert, eben durch die Toleranz, dass die Kinder rücksichtsvoller behandelt werden, dass auch diese Aussage: "Heb die schöne Hand", nicht mehr so häufig zu hören ist. Aber in der Schule wird noch relativ wenig für die Schreibhaltung getan. Viele Kinder rutschen in diese Hakenhaltung, viele haben Schreibhaltungen, die nicht locker und entkrampft sind. Und da müsste noch einiges getan werden.

Pokatzky: Was können da Lehrer genau tun, um ein entkrampftes …

Sattler: … ja, Eltern können auch sehr viel tun, Eltern und Lehrer, dass sie dem Kind die Blattlage nach rechts zeigen, also, dass das Blatt nach rechts gekippt ist und dass die Hand wirklich unter der Schreibzeile geführt wird. Sehr gut ist auch, wenn die Kinder frühzeitig mit Füller schreiben, wenn sie vielleicht im Vorschulalter schon ein paar Übungen mit dem Füller machen. Das können Kinder sehr wohl und das zeigt ihnen, warum sie darauf achten sollen, dass sie nicht drüber wischen.

Pokatzky: Das klingt jetzt so ganz einfach, ist es wirklich so einfach, mit so ganz einfachen Mitteln?

Sattler: Nein, es ist … Das zu zeigen ist nicht so einfach. Beziehungsweise es wird immer wieder vergessen. Wir haben Schreibgruppen für Kinder im Vorschulalter, wir zeigen es ihnen. Dann kommen sie in die Schule und niemand achtet mehr wirklich drauf. Vielleicht die Eltern zu Hause, aber in der Schule ist keine Zeit oder wird kein Gewicht darauf gelenkt. Und irgendwann sagt das Kind: Warum soll ich mich da bemühen? Der Füller, ach, wer weiß, wann der kommt! Und leider kommt der in vielen Schulen erst in der zweiten Klasse, was für den Linkshänder zu spät ist.

Pokatzky: Was die Akzeptanz der Linkshänder angeht: Beim Sport können die ja durchaus Vorteile haben. Also beim Fußball mit den Füßen oder eben auch bei der Handballmannschaft, da wissen die Trainer um den taktisch klugen Einsatz linkshändiger Spieler. Hat das auch das "Ansehen" verbessert?

Sattler: In gewissem Maße ja. Die Linkshänder sind in vielen Sportarten gerne gesehen wie beim Fußball, aber auch beim Handball ganz besonders, beim Fechten. Dort ist eher die Gefahr, dass die kleinen Linkshänder umgeschult werden, wenn die Lehrer noch nicht so sehr darauf achten und eben beim Tennis allen den Schläger in die rechte Hand drücken und gar nicht merken, dass das vielleicht ein linkshändiges Kind ist, oder beim Golfen, da passiert das schon hin und wieder. Aber bei den Spitzensportarten, die lieben die Linkshänder.

Pokatzky: Es gibt inzwischen ja schon Linkshänderläden mit lauter Gerätschaften des alltäglichen Lebens, die speziell für Linkshänder konstruiert wurden. Wenn Sie jetzt mal eine Empfehlung machen müssten, jemand kauft sich vielleicht ein neues iPhone oder eine andere Gerätschaft so aus dieser digitalen Welt, die nicht speziell für Linkshänder konstruiert sind, was ist der wichtigste Tipp für Sie, für die?

Sattler: Bei dem … Wichtig ist bei der Computermaus, dass man keine ergonomisch geformte Computermaus nimmt. Gut sind, wenn man eine Funkmaus nimmt, weil man die da hinstellen kann, wo man möchte. Das finde ich ganz wichtig. Bei den iPhones ist es meistens so, dass da das relativ ausgewogen ist.

Pokatzky: Sagt Barbara Sattler zum Welttag der Linkshänder. Und auf der Homepage von Barbara Sattler finden Sie eine Liste, wenn Sie eine Beratung für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder brauchen. Und die Adresse lautet: lefthander-consulting.org. Danke Frau Sattler!

Sattler: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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