Verkehrstechnik

Der Ampelroboter von Kinshasa

Von Simone Schlindwein · 04.07.2014
Die Demokratische Republik Kongo ist fast so groß wie Westeuropa. Doch im ganzen Land gibt es nur 74 Ampeln. In der Hauptstadt Kinshasa ist es lebensgefährlich, die Straße zu überqueren. Nun soll ein Verkehrsroboter für mehr Sicherheit sorgen.
Die 17-jährige Chery Makamba steht mit ihrem Schulranzen am Straßenrand des Boulevards Lumumba. Die achtspurige Schnellstraße verbindet das Zentrum der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa mit dem Flughafen. Wenn nicht gerade Stau herrscht, rasen die Autos einfach nur so vorbei. Der Boulevard ist eine der wenigen geteerten Straßen in der Demokratischen Republik Kongo. Die Kongolesen sind stolz auf diese Autobahn – ein Vorzeigeprojekt. Doch: Seitdem die Autos nicht mehr durch Schlaglöcher manövrieren müssen, häufen sich an diesem Boulevard die tödlichen Unfälle. 500 Menschen starben im vergangenen Jahr an dieser Schnellstraße. Die meisten von ihnen Fußgänger, wie die Schülerin Chery, die eine der zahlreichen Schulen entlang des Boulevards besucht.
Jetzt überragt ein gigantischer Roboter am Straßenrand die Kinderköpfe. Er piepst und blinkt und schaltet eine Ampel an seinem Kopf von Rot auf Grün. Er hebt seinen gewaltigen Arm, damit der Verkehr stoppt und die Kinder die Straße überqueren können. Chery ist von dem Verkehrsroboter begeistert:
"Er spricht sogar, wenn man ihn anfasst, dann sagt er 'fass mich nicht an'. Vorher hat er auch den Fußgängern Anweisungen gegeben. Das macht er jetzt nicht mehr. Die Kinder haben mit ihm gespielt. Aber er hilft uns sehr. Bevor der Roboter installiert wurde, war es sehr schwer, die Straße zu überqueren. Es gab eine Ampel, aber die funktionierte nicht sehr oft. Der Roboter funktioniert sehr gut und es gibt jetzt nicht mehr so viele Unfälle wie früher."
Der Roboter soll Kinder sicher über die Straße lotsen
Der solarbetriebene Verkehrsroboter ist eine Erfindung des kongolesischen Verbandes "Frauen in die Technologieberufe". Dessen Vorsitzende, die Ingenieurin Therese Kirongozi, hat den Prototyp gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnen entworfen. Die 40-jährige Mutter von drei Kindern hatte stets Angst, dass ihre Kinder diesen Boulevard überqueren. Ingenieurin Kirongozi hatte eine Idee: einen Roboter zu entwickeln, der die Kinder sicher über die Straße lotst.
"Vor zwei Jahren hatte eine unserer jungen Ingenieurinnen einen Roboter entwickelt. Das war das Jahr, als es besonders viele Unfälle gab. Da standen wir Mütter von dem Ding und sagten uns: Kann man damit auch den Verkehr regeln? Wir tüftelten herum und integrierten verschiedene Systeme in den Roboter: Solaranlage, Kameras, Ampellichter, Speicherkarten, Infrarotgeräte – und voilà, er wurde zum intelligenten Verkehrsleitsystem. Wir haben mittlerweile zwei Typen: Einer hilft den Fußgängern über die Straße. Die zweite Generation reguliert den Straßenverkehr an Kreuzungen. Mit einer Kamera registriert er alles, was rund um ihn herum passiert, nachts sogar mit Infrarot. Er speichert alle Daten in einem Kontrollzentrum."
Ingenieurin Kirongozi stellte den Prototypen der kongolesischen Verkehrsbehörde vor. Diese genehmigte, die beiden Roboter im Straßenverkehr zu testen. Kongos Straßennetz ist extrem unterentwickelt. Nach 20 Jahren Bürgerkrieg hat die Regierung erst in den vergangenen Jahren begonnen, die Straßen zu teeren. Doch in die Verkehrssicherheit wurde wenig investiert. Es gibt gerade einmal 74 Ampeln im ganzen Land, auf einer Fläche so groß wie Westeuropa. Doch die Ampeln funktionieren oftmals nicht wegen Stromausfall. Der Roboter funktioniert dagegen mit Solarzellen. Der Direktor der Verkehrsbehörde, Willy Vale-Manga, sieht in dem Robotersystem noch andere Vorteile: Der Staat kann die gesammelten Daten nutzen, um Schnellfahrer zu ahnden oder Unfälle mit der Kamera aufzeichnen.
Auch die Nachbarländer sind an dem Roboter interessiert
"Wir haben dem Frauenverband für den Roboter ein Patent gegeben – für die Zeit nach der Experimentierphase. Denn der Roboter ist mehr als nur eine Ampel: Er registriert die Geschwindigkeit der Autos, schießt Fotos von denjenigen Fahrzeugen, die zu schnell fahren und meldet sogar Feuer, falls es brennt – das alles ist in diesem intelligenten Roboter integriert. Wir können diese Daten sehr gut nutzen. Das hilft uns sehr. Denn wir stecken in einem Dilemma: Wir haben den Großteil der 150.000 Kilometer Straße im Land modernisiert. Das heißt aber auch, wir brauchen moderne Verkehrssysteme für die Sicherheit. Doch das kann sich der Staat nicht leisten. Wir sind dafür Partnerschaften mit Privatunternehmen eingegangen sowie mit dem öffentlichen Sektor. Das hat geholfen: Wir haben jetzt 10.000 Verkehrsschilder und 60.000 Fahrbahnmarkierungen und 74 Ampeln, also ein großer Fortschritt."
Zwei Roboter stehen derzeit in Kinshasa. Ingenieurin Kirongozi tüftelt gerade an einem weiteren Prototyp. Sie verhandelt mit der Stadtverwaltung von Lumumbashi, diesen dort testen zu dürfen. Die Roboter sind zur Attraktion geworden. Die Kongolesen sind stolz auf so viel Erfindergeist. Ingenieurin Kirongozi reist derzeit in die Nachbarländer, die dieselben Verkehrsprobleme haben – um ihren Roboter auf die Straßen zu kriegen.