Maßnahmen gegen Verkehrslärm

Französische Städte testen den Lärmblitzer

07:29 Minuten
Ein Schild weist auf den Einsatz eines Lärmblitzers hin.
Achtung Lärmblitzer: Mehrere Städte in Frankreich testen eine neue Maßnahme gegen die Lärmbelastung durch besonders laute Verkehrsteilnehmer. © Deutschlandradio / Philip Artelt
Von Philip Artelt · 17.05.2022
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Verkehrslärm ist nicht nur nervig. Er kann für Betroffene auch gesundheitsgefährdend sein. Besonders laute Verkehrsteilnehmer zu ermitteln und zu bestrafen, ist allerdings aufwendig. Französische Städte testen dafür nun eine neue Technologie.
Ein nerviges Geräusch: Mofas auf einer viel befahrenen Straße in Lyon. Gerade abends drehen die Fahrer oft richtig auf, brettern manchmal sogar über die Straßenbahntrasse.
„In Bron haben wir regelrechte Rodeos“, sagt Hervé Thibaud, der stellvertretende Bürgermeister von Bron, einer Stadt im Ballungsraum Lyon. „Das sind kleine Zweiräder, die manchmal nicht mal für die Straße zugelassen sind und die deswegen sehr laut sind“
Hervé Thibaud erzählt von jungen Leuten, die mit den lauten Maschinchen durch die Wohngebiete brettern, ohne Helm, ohne Sinn und offenbar ohne Verstand.
Blick nach Paris. Dort beschäftigt sich Fanny Mietlicki mit dem Thema Lärm. Sie leitet die Organisation Bruitparif, die unter anderem im Auftrag der Stadtverwaltung den Lärm untersucht.

Lärm von Zweirädern stört besonders

„Wir interessieren uns für jegliche Art von Geräuschen in der Umwelt: den Autoverkehr, die Eisenbahn, aber auch Lärm in der Nachbarschaft oder auf Baustellen“, erklärt sie.
„Wir befragen die Bürger, was davon sie am meisten stört. Bei der letzten Befragung kam heraus, dass sie von allen Verkehrsmitteln den Lärm von Zweirädern am nervigsten finden.“
Bei Bruitparif entwickelten sie „Medusa“: Ein Gerät, das mit mehreren Mikrofonen den Lärm misst. Das ist hochkomplex, denn bei einem Geräusch ist nicht eindeutig, wo es herkommt – anders als bei einem Auto auf einem Kamerabild.
Geräusche überlagern sich, verstärken sich, löschen sich gegenseitig manchmal sogar aus, werden reflektiert. Jeder kennt das Echo aus den Bergen: Es kommt aus einer ganz anderen Richtung als die eigentliche Schallquelle.
Aus der Medusa entwickelte Bruitparif ein Gerät, das die Schallquelle nicht nur zuordnen kann, sondern auch das Fahrzeug mit einer Kamera festhält: den ersten Lärmblitzer.

Die Polizei darf heute schon die Fahrer nach Gehör bestrafen. Das wird aber kaum gemacht. Man muss das Fahrzeug anhalten. Und dann kann die Strafe auch noch angefochten werden. Also wenden die Polizisten eine andere Methode an: Sie messen die Lautstärke hinter dem Auspuff und vergleichen den Wert mit dem in den Zulassungspapieren. Das Problem ist, dass dieser Wert bei manchen Fahrzeugen sehr hoch ist. Das Lärmproblem ist damit nicht gelöst.

Fanny Mietlicki

Die Lärmmessung ist aufwendig

Ein Ausflug nach Deutschland, in die Fränkische Schweiz. Dort ist Marco Krieglsteiner auf der Jagd nach Lärmsündern. Krieglsteiner ist Polizist, Leiter der Motorradkontrollgruppe der Polizei Bamberg Land.
„Die Fahrzeuge sind ja zugelassen mit der und der Dezibelhöhe. Da sind von Haus aus ja schon Maschinen dabei, die haben einen Dezibelwert von 105, 106, 107. Bei 107 Dezibel, da denken Sie, da startet ein Düsenjäger neben Ihnen. Also die Dinger sind wirklich richtig laut“, erzählt er.
Auch in Deutschland dürfen Polizisten nach Gehör und Gefühl strafen, wenn ein Verkehrsrowdy eindeutig sinnlos das Gas betätigt. Aber wie in Frankreich ist das mit Rechtsunsicherheiten verbunden. Auch in Deutschland haben die Beamten deshalb Messgeräte für den Lärm. Messen dürfen sie aber nur das Standgeräusch, und das ist viel leiser.
Vor dem Polizeiquartier blubbert ein Motorrad. Krieglsteiners Kollege Andre Nelle hat schon mal seine Dienstmaschine warmlaufen lassen für eine kleine Vorführung.
„Das Gerät besteht aus dem Mikrofon, dann gibt es die Geräuschkugel, die quasi störende Geräusche abfängt“, erklärt er. „Der Abstand muss immer gleich sein – vom Auspuff bis zum Mikrofon des Geräts.“ Dafür wird ein Abstandsmesser verwendet. Auch der Winkel muss genau stimmen.
Das Gerät wird mit einem Pfeifton kalibriert, damit es den richtigen Wert anzeigt. Dann, ja erst dann kann gemessen werden. Dreimal dreht Nelle die Drehzahl hoch auf 4500 Umdrehungen. 91,8 Dezibel, das ist im gesetzlichen Rahmen.
Die Messung mit dem Gerät ist gerichtsverwertbar, aber auch entsprechend aufwendig. Die Strafe für ein zu lautes Motorrad, sagen die Beamten, sei dagegen relativ gering. Deshalb nehmen sie sich laute Maschinen genauer vor.
„Das ist nur ein Anhaltspunkt für uns. Wir machen Geräuschmessung und steigen dann erst ein und überprüfen: Warum ist es zu laut? Ist es Verschleiß, Manipulation, unzulässige Anlagen, die verbaut sind? Da hat es nichts mehr mit dem Geräusch zu tun, da sind wir auf der Suche nach mehr.“
In Frankreich scheut man diesen Aufwand. Die neuen Automatikblitzer, die inzwischen von mehreren konkurrierenden Herstellern entwickelt werden, sollen das alles einfacher hinkriegen.

Bei Lyon startet der Testbetrieb für den Blitzer

Medienrummel in Bron bei Lyon. Techniker sitzen vor Bildschirmen am Straßenrand, ein Testauto donnert vorbei. An einem Laternenpfahl hängt ein grauer Kasten mit einer kleinen Kamera, darüber ist ein schwarzer, waagerechter Balken mit Dutzenden Mikrofonen angebracht.
Der neue Lärmblitzer wird eingeweiht – mit etwa einem halben Jahr Verspätung. Hier treffen wir auch den stellvertretenden Bürgermeister Hervé Thibaud wieder.
„Es mussten viele Verordnungen geschaffen werden. Das hat im Ministerium gedauert. Die Probezeit für das System ist auf zwei Jahre beschränkt. Deshalb müssen sich die Hersteller jetzt mit der Zulassung beeilen“, sagt er.
Zunächst wird der Lärmblitzer nur im Testbetrieb laufen. Ab kommendem Jahr soll dann auch gestraft werden. Ab welchem Lärmpegel? Das war bei der Einweihung noch nicht klar. Fest steht: Es soll ein einheitlicher Pegel für fast alle Fahrzeuge sein, nicht so ein Kuddelmuddel wie mit den vielen verschiedenen Werten in den Zulassungspapieren.

In Frankreich haftet der Motorradhalter

In Deutschland haben erste Städte schon Interesse an dem System signalisiert. Dass es kommen wird, ist aber unwahrscheinlich. Denn ein Motorrad muss man von hinten blitzen, vorne hat es kein Kennzeichen.
Der Unterschied ist nun: In Frankreich kann der Fahrzeughalter für einen Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen werden. In Deutschland nur der Fahrer. Der ist auf einem Foto mit Motorradhelm sowieso schon schwer erkennbar, bei einem Heckfoto dagegen gar nicht.

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