Verkehr

Die Wilde Zicke wächst

Straßenbahn in Naumburg
Die Naumburger wollen ihre Straßenbahn verlängern. © dpa / Picture alliance / Waltraud Grubitzsch
Von Christoph Richter  · 11.03.2014
Eine Linie, zweieinhalb Kilometer, acht Haltestellen: Das reicht den Naumburgern nicht aus. Sie wollen ihre Straßenbahnlinie - Wilde Zicke genannt - um 400 Meter verlängern und finanzieren den Ausbau aus eigener Tasche.
Es quietscht und ruckelt, die Sitzbänke der alten DDR-Triebwagen der Naumburger Straßenbahn sind aus hartem Holz. Die Fahrscheine werden vom Fahrer verkauft, der sie anschließend auch ganz altmodisch knipst. Man fühlt sich fast wie in einer Filmkulisse. In Naumburg ist es jedoch Teil des öffentlichen Nahverkehrs. Und: Mit einer einzigen Linie von gerademal zweieinhalb Kilometern und acht Haltestellen, ist es der kleinste Straßenbahnbetrieb Deutschlands. Jetzt hat man in Naumburg aber Großes vor, denn man will das Netz um 400 Meter verlängern. Doch die Stadt tut sich schwer, weil die Kassen leer sind, erklärt der gebürtige Schweizer Andreas Messerli, Geschäftsführer der Naumburger Straßenbahn GmbH:
"Um die Kassen doch ein bisschen füllen zu können, haben wir im September eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Und einfach so gesagt, die 16 Fahrleitungsmaste, die für die 400 Meter benötigt werden - ein Mast kostet etwa 750 Euro - dass man diese 750 Euro spendet. Innert einer Woche waren diese Maste reserviert."
Mittlerweile sind auch von den 600 benötigten Schwellen, bereits schon 400 verkauft. Preis: 70 Euro.
"Insgesamt sind Leistungen von 90.000 Euro zusammen gekommen."
Ganz allein zahlen die Menschen in Naumburg die Verlängerung ihrer Bahnlinie natürlich nicht, denn auch die Stadt und das Land Sachsen-Anhalt gehen in Leistung. Aber eben nur, wenn sich die Naumburger mit beteiligen. Eine, die ihre Schatulle geöffnet hat, ist die Blumenhändlerin Manuela Steffen. Neben dem Hauptbahnhof hat sie ihr Geschäft. Direkt vor der Ladentür ist die Endhaltestelle.
"Da habe ich gar nicht überlegt weiter. Und habe eine Schwelle mit spendiert."
Um den Kindern und Enkeln später noch zeigen zu können, wie es früher mal war, das Straßenbahnfahren. Gerne würde sie ihren Namen auf der Schwelle eingraviert sehen.
"Ja eigentlich schon. So als Erinnerung, als kleines Denkmal …"
Stück deutsche Verkehrsgeschichte
Geht aber nicht, zu teuer. Stattdessen wird man an die Endhaltestelle eine Tafel mit den Spendernamen hängen, sagt der straßenbahnverrückte Manager Messerli. Er - der einst das Nachtbussystem in Bern organisiert hat - und nun großen Anteil daran hat, dass ein Stück deutsche Verkehrsgeschichte am Leben erhalten wird.
"Wir haben täglich Anrufe von spendenwilligen Leuten, die sagen: Liebe Straßenbahn, toll das ihr 400 Meter weiter fahren wollt, ich trage auch was dazu bei. Das ist unglaublich.
Bei dem Ausbau der Strecke um 400 Meter geht es aber nicht um Nostalgie, unterstreicht Messerli, sondern um knallharte wirtschaftliche Argumente.
"Der große Vorteil ist, wir können mit denselben Wagen, denselben Personalaufwand eine Station weiterfahren. Und hätten ein völlig neues Einzugsgebiet, wo es nochmal bis zu 20 Prozent mehr Fahrgäste gibt."
Andreas Messerli gesteht aber, dass eine Stadt wie Naumburg mit einer Kernbevölkerung von etwa 25.000 Einwohnern eine Tram eigentlich gar nicht bräuchte, dass das Land Sachsen-Anhalt in einem Ort dieser Größenordnung eine Straßenbahn gar nicht fördern müsste.
"Richtig. Es war nicht einfach eine Lösung zu finden. Es gab zum Glück aber die Idee in das Gesetz ein Passus einzubauen, dass Straßenbahnen, die ausschließlich mit historischen Wagen betrieben werden, gesondert gefördert werden können. Und dank dieses Passus fahren wir."
100.000 Fahrgäste fahren jährlich mit den Oldtimern eher ruckelnd und zuckelnd durch die engen Straßen Naumburgs, weswegen man der Tram irgendwann auch den Spitznamen Wilde Zicke gegeben hat.
"Da muss man wirklich sagen, für ältere Menschen ist es beschwerlich, ein Aufstieg in die Bahn ist nötig. Also wirklich Ein-Steigen. Aber der Fahrer hilft mit. Denn der persönliche Kontakt zum Fahrer ist ein großes Plus, was wir hier bieten. Jeder der einsteigt, muss ein persönliches Wort zum Fahrer sagen. Es geht nicht, sich einfach stumm in die Bahn zu setzen."
Demnächst soll der verlängerte Linienbetrieb der Naumburger Straßenbahn - die einst die einzige Ringtramlinie Europas war - aber noch exotischer werden, wenn nämlich bald wieder eine Bahn aus den 1920er-Jahren fährt. Mit einem Fahrschein zu einem Preis von 1,60 Euro kann man dann - wie es früher hieß - mit der Elektrischen fahren. Ganz wie zu Zeiten der Weimarer Republik, als Naumburg nicht zu Sachsen-Anhalt, sondern noch zur Preußischen Provinz Sachsen gehörte.